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Experte ortet „lokale Konflikte“

Die Eskalation der politischen Situation in Ägypten könnte lokale Konflikte im ganzen Land schüren, meint der deutsche Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. Zwar erwartet Schulze keine Verhältnisse wie in Syrien, aber einen Kollaps der Sicherheitslage.

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Eskalationspotenzial ortete der Experte im Interview mit den Schweizer Tageszeitungen „Tages-Anzeiger“ und „Der Bund“ (Donnerstag-Ausgabe) in lokalen Konflikten. Ein Bürgerkrieg wie in Syrien könnte nur entstehen, wenn es „klare Fronten gäbe“, erklärte Schulze. In Ägypten sei die Konfliktsituation aber zu heterogen. „Wahrscheinlicher ist, dass die Sicherheitslage kollabiert, in Kairo, aber auch in den Provinzen.“ Die Folge wäre dann nicht ein Bürgerkrieg, sondern ein „vielseitiger, mehr und mehr militant ausgeführter Konflikt zwischen einzelnen Teilen der Gesellschaft“, meinte der Islamwissenschaftler.

Längerer Prozess bis zur Demokratie

Der Dozent der Universität Bern bezweifelt, dass sich die Muslimbrüder in den kommenden Monaten in politische Verhandlungen einbinden lassen werden. Die Wiederherstellung der Demokratie in Ägypten werde ein längerer Prozess sein, so Schulze. „Entscheidend ist, dass es dem Verfassungsrat gelingt, ein Grundrecht zu schreiben, dem auch die Muslimbrüder zustimmen“, sagte er. Fraglich sei, ob sich gemäßigte Kräfte durchsetzen und an der Verfassungsreform beteiligen werden.

Der Islamwissenschaftler schloss zwar nicht aus, dass sich die Muslimbrüder radikalisieren könnten, bezeichnete diese Möglichkeit aber als unwahrscheinlich. Die Gruppierung betrachte sich als Teil des Mittelstandes und hätte deshalb „kein Interesse an einer militanten Politik“, erklärte Schulze.

Salafisten könnten „Erbe der Muslimbrüder“ antreten

Die radikalislamischen Salafisten (Partei des Lichts, al-Nur), Juniorpartner im Kabinett des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi, könnten „das Erbe der Muslimbrüder“ antreten. „Im Gegensatz zu den Muslimbrüdern sind sie bereit, im Verfassungsrat mitzuspielen,“ so Schulze.

„Man wird schon bald von den ehemaligen Muslimbrüdern sprechen. Und die Salafisten werden Teile von ihnen integrieren.“ Da sie aber in den Staat eingebunden seien, würden sie sich wohl nicht militarisieren, wie andere ultrareligiöse Verbände, wie etwa im Jemen. Die radikale Partei des Lichts und die gemäßigte Islamistenpartei Starkes Ägypten sind die einzigen unter den größeren Islamistenparteien, die sich nach Mursis Sturz nicht mit den Muslimbrüdern solidarisierten.

Kopten als Sündenböcke

Besondere Gefahr gehe derzeit auch von lokalen Konflikten aus. Durch die Protestaufrufe der Muslimbruderschaft würden Leute in ganz Ägypten mobilisiert, die nicht unbedingt als Muslimbrüder anzusehen seien. „Wenn in Oberägypten jetzt Kirchen angegriffen werden, sind das Aktionen, die aus einer lokalen Logik heraus entwickelt werden“, sagte Schulze. „Der Aufruf der Muslimbrüder legitimiert da nur einen lokalen Konflikt.“ Auch wenn die Muslimbrüder die Christen in Ägypten nicht für den Sturz Mursis verantwortlich machten, könnten Benachteiligte die Kopten generell „zu Sündenböcken machen“ - mehr dazu in religion.ORF.at.

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