Tumulte in weiteren Städten
Mit Tränengas und Gummigeschoßen hat die ägyptische Polizei Mittwochfrüh die Räumung der Protestlager der Islamisten in der Hauptstadt Kairo begonnen. Die Angaben über Tote und Verletzte gehen derzeit weit auseinander. Laut Muslimbrüdern kamen in Kairo mehr als 300 Menschen ums Leben, Tausende wurden verletzt. Die Nachrichtenagentur AFP berichtete von 124 Toten. Aus Sicherheitskreisen wurden 23 Tote bestätigt, davon sechs Polizisten.
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Die Anhänger des von der Armee abgesetzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi versuchen weiter, die Lager in Kairo aufrechtzuerhalten, oder setzen die Proteste auf anderen Plätzen fort. Sie riefen des Weiteren landesweit dazu auf, „auf die Straße zu gehen, um dieses Massaker zu stoppen“. Augenzeugen berichteten von Straßenschlachten und Schusswechseln, die noch andauern.

Reuters/Amr Dalsh
Mit Tränengas geht die Polizei gegen die Islamisten vor
Die Regierung forderte die Anhänger Mittwochmittag zur Vernunft und zum Gewaltverzicht auf. Die Muslimbruderschaft müsse aufhören, zur Gewalt anzustiften, hieß es in einer Erklärung. Die Regierung werde „die Anführer für vergossenes Blut, die anhaltenden Unruhen und die Gewalt zur Verantwortung ziehen“.
Verwaltungsgebäude gestürmt
Wie al-Jazeera berichtete, seien zahlreiche Anhänger der Muslimbruderschaft dem Aufruf gefolgt. In Alexandria sei demnach die Uferstraße von Islamisten blockiert worden. In der nördlichen Küstenstadt Marsa Matruh sei ein Verwaltungsgebäude von Mursi-Anhängern gestürmt worden. Ein Anrainer berichtete dem Nachrichtensender al-Arabija, Demonstranten hätten eine Geschäftsstraße im Kairoer Stadtteil Mohandisin blockiert. In der Innenstadt der Touristenstadt Luxor protestierten Demonstranten gegen die Polizeigewalt.
In der Stadt al-Arisch sollen bewaffnete Islamisten mehrere Verwaltungsgebäude gestürmt haben. Nach Angaben von Augenzeugen vertrieben sie die dort arbeitenden Beamten mit Schüssen in die Luft. Besetzt wurden unter anderem die Steuerbehörde und die Telefonzentrale. In den Städten Minja und Assiut kam es ebenfalls zu Zusammenstößen mit der Polizei. In Assiut lieferten rund 3.000 Mursi-Anhänger den Sicherheitskräften Auseinandersetzungen. In Minja sei Tränengas gegen Tausende Mursi-Anhänger eingesetzt worden, die eine Kirche in Brand gesteckt hätten - mehr dazu in religion.ORF.at.
Flughafen abgeriegelt, Zugsverbindungen gekappt
Polizei und Armee reagierten am Mittwoch mit Straßensperren rund um den internationalen Flughafen von Kairo. Das Innenministerium ordnete die Einstellung des Zugsverkehrs in ganz Ägypten an. Damit soll verhindert werden, dass sich Unterstützer aus der Provinz den Protestaktionen der Islamisten in Kairo anschließen.

APA/EPA/Hesham Mostafa
Die Straßenschlachten in Kairo dauern an
Lage in Kairo unübersichtlich
Die Armee startete ihren Einsatz Mittwochfrüh in Kairo mit einem Großaufgebot. Gleichzeitig ging sie gegen zwei Protestcamps vor, darunter auch das größte seiner Art im Nordosten der Hauptstadt. Dort hatten Tausende Demonstranten bei der Moschee Rabia al-Adawija seit sechs Wochen ausgeharrt und mit Mahnwachen und Sitzblockaden die Wiedereinsetzung des Anfang Juli vom Militär entmachteten Mursi gefordert.
Nachdem viele Demonstranten den Aufforderungen der Polizei, den Protest aufzugeben, nicht nachgekommen waren, ging diese mit Tränengas und Gummigeschoßen gegen die Versammelten vor. Über dem Gebiet kreisten Polizeihubschrauber. Aus den Lagern stiegen schwarze Rauchwolken auf, Schüsse waren zu hören. Demonstranten flüchteten, während Bulldozer die Zelte dem Erdboden gleichmachten.

AP/Ahmed Gomaa
Mit Panzerfahrzeugen und Bulldozern räumt die Polizei die Lager
Mitglieder der Muslimbruderschaft festgenommen
Während die Räumung des kleineren Lagers am Nil-Ufer in der Nähe der Universität von Kairo laut einem Bericht des Staatsfernsehens nach einiger Zeit abgeschlossen wurde, dauern die Straßenschlachten an der Moschee Rabia al-Adawija an. Die Polizei nahm offenbar führende Mitglieder der Muslimbruderschaft fest. Namentlich bekannt ist bisher nur die Verhaftung von Mohammed al-Beltagi, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Er hatte die Proteste mitorganisiert.
Politische Lösung nicht in Sicht
In den vergangenen Wochen kam es bereits mehrfach zu Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern Mursis. Mehr als 300 Menschen starben. Erst am Dienstag hatte es in Kairo erneut Straßenschlachten gegeben. Internationale Vermittlungsbemühungen scheiterten.
Die Muslimbrüder und die salafistische Nur-Partei hatten zwar diese Woche ihre Bereitschaft zum Dialog signalisiert. Doch die neue Gewalt dürfte eine politische Lösung nicht einfacher machen. Zudem schwächte der vom Militär unterstützte Interimspräsident Adli Mansur den politischen Einfluss der Muslimbruderschaft weiter. Er ernannte mindestens 18 neue Provinzgouverneure, die Hälfte von ihnen Generäle im Ruhestand. Mursi hatte zahlreiche Zivilisten, darunter auch Muslimbrüder, auf die Posten gehoben. Er hatte damit mit einer Tradition seines Vorgängers Hosni Mubarak gebrochen, der diese Ämter oft mit pensionierten Armee- und Polizeioffizieren besetzt hatte.
Mursi-Absetzung führte zu Spaltung Ägyptens
Mursi war im Juni 2012 als erster frei gewählter Präsident Ägyptens an die Macht gekommen. Gegner warfen ihm jedoch vor, gemeinsam mit den Muslimbrüdern eine Islamisierung des Landes voranzutreiben. Sie sahen die Ideale der Revolution von 2011 verraten, die zum Sturz Mubaraks geführt hatte. Gleichzeitig gelang es Mursi nicht, die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, was den Unmut in großen Teilen der Bevölkerung zusätzlich schürte.
EU fordert Ende der Gewalt
Die EU warnte angesichts der aktuellen Unruhen vor weiterer Gewalt im Land. „Berichte über Tote und Verletzte sind äußerst beunruhigend“, sagte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Mittwoch in Brüssel. „Konfrontation und Gewalt sind kein Weg, um die wichtigen politischen Fragen zu lösen und die derzeitigen Herausforderungen zu bestehen“, sagte er. „Wir wiederholen die EU-Position, dass Gewalt keine Lösung ist, und wir fordern alle Seiten zu allergrößter Zurückhaltung auf.“
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