Zusammenhalt oder „Konfliktkultur“
Welchen Integrationsszenarien wird sich Österreich 2030 stellen müssen - und mit welchen globalen Entwicklungen ist im Bereich der Migration zu rechnen? Geht es nach dem Strategieexperten Karl Rose von der Karl-Franzens-Universität Graz, dann sind es drei Szenarien, die auf die Gesellschaften in Europa zukommen könnten.
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Auch wenn medial dem Thema Asyl eine große Aufmerksamkeit zukomme - die wahren Migrationsströme würden von wirtschaftlichen Prozessen ausgelöst. In diesem Kontext spiele wenn die Familienzusammenführung eine weitere tragende Rolle, so Rose, der im Rahmen eines Hintergrundgesprächs im Integrationsstaatssekretariat am Donnerstag gleich zu Beginn mit einigen Mythen der Zuwanderung aufräumen wollte.

Karl Rose
Experte Rose: „Migration soll dem Wohl des Ziellandes dienen“
Starke Wirtschaft führt zu starker Migration
„Wer eine starke Wirtschaft hat, wird auch eine starke Migration haben“, so Rose, der seine Strategieanalysen in Zusammenarbeit mit dem Integrationsfonds und im Austausch mit Vertretern aus der Wirtschaft entwickelte. Ihm gehe es darum, für die Politik, die oft kurzfristig und linear handle, Zukunftsszenarien zu skizzieren, die auch strategische Handlungsoptionen ermöglichten. Rose, der in den Niederlanden im Bereich Strategieplanung für den Ölkonzern Shell tätig war, empfiehlt der Politik, von Konzernen zu lernen, die viel öfter mit unerwartbaren bzw. alternativen Szenarien kalkulierten.
Drei mögliche Szenarien
Der Experte, der selbst jahrelang eigentlich Arbeitsmigrant in unterschiedlichen Ländern war, ortet im Wesentlichen drei mögliche Szenarien, die den Bereich Migration und Wanderungsbewegungen prägen werden.
- Das erste Modell ist eines des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das geprägt ist von Wirtschaftswachstum, Zusammenhalt in Europa, wobei Migration im weitesten Sinn steuerbar ist und Migranten ebenso produktiv zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.
- Das zweite Szenario geht von einer „fragmentierten Gesellschaft“ aus, geprägt von langjähriger Rezession, Störungen im Zusammenhalt innerhalb der EU und von Verteilungskämpfen und sozialen Spannungen. Migration ist in diesem Szenario ein innenpolitisches Streitthema, und die Gesellschaft stellt sich als zunehmend polarisiert dar. Rose nennt es auch die „Weimarer Republik Europa“.
- Das dritte Szenario ist für Rose zentral von Populismus geprägt: Nach einer stagnierenden folgt in diesem Szenario eine fallende Wirtschaftsentwicklung. Parteien und Parlamente werden an den Rand gedrängt. Im Migrationsbereich verdrängt die Assimilation, die beinahe als sozialdarwinistischer Überlebensvorgang in der Zielgesellschaft zu beschrieben ist, die Migration.
Zwischen erstem und zweitem Szenario
Im Moment bewege man sich in Europa zwischen den Szenarien eins und zwei. Das konstatierte auch Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP), der die Strategieanalyse mit in Auftrag gegeben hatte. „Wir laufen stark in Richtung Konfliktgesellschaft, die wir in Österreich aber nicht brauchen können“, so Kurz. „Wir können nur einen Bruchteil von Migration steuern, aber wir können Mindeststandards setzen, damit Integration stattfindet“, so Kurz. Für ihn bleibe das Motto „Deutsch vor Zuwanderung“ neben den strengen Standards bei der Familienzusammenführung ein Schlüsselkriterium.

APA/Herbert Pfarrhofer
„Das Modell Alaba hilft“: Kurz mit ÖFB-Chef Windtner und David Alabas Vater George im März bei der Vorstellung einer Integrationskampagne
In einem sind sich der Experte und der Poltiker einig: Integration habe zum Wohl des Ziellandes zu erfolgen. Das sei auch in den oft herangezogenen Modellländern Skandinaviens der Fall. Kurz will ein auch emotional positives Österreich-Bild in der Integration vermitteln, etwa durch würdevollere, feierlichere Verleihungen bei der Staatsbürgerschaft. Allerdings kämpft Österreich, wie sich auf Nachfrage von ORF.at zeigt, mit einem doch vergleichsweise jungen Identitätsbegriff, will man nicht immer auf Mythen von vor 1918 zurückgreifen.
„Ausländerfeindlichkeit kein christlicher Wert“
„Uns hilft das Modell Alaba“, sagte Kurz, der insgesamt für das Österreich-Selbstbild klassische Identitätsmuster erweitert sehen möchte. Das gelte auch für seine eigene Partei, die sich in dieser Hinsicht „so breit als möglich“ aufstellen wolle. Kurz konterte damit indirekt die Kritik der Wiener ÖVP-Stadtpolitikerin Ursula Stenzel, die ja das prominente Antreten des Salzburger JVP-Chefs Asdin El Habbassi auf Platz fünf der Bundesliste kritisiert hatte. Sie kenne einige, welche die ÖVP deshalb nicht wählten, ließ sich Stenzel zitieren.
„Ausländerfeindlichkeit ist jedenfalls kein sehr christlicher Wert“, so Kurz, der sich über die Kandidatur seines JVP-Vertreters auf der Bundesliste dezidiert freute. Für ihn sei Integration durch Leistung ein zentraler Bestandteil seiner Vorstellung - „und das“, so Kurz, „ist ja ein sehr bürgerlicher Wert“.
Regionale kommt vor nationaler Identität
Die Herausforderung bleibe die Vermittlung des positiven Österreich-Bildes auf einer emotionalen Ebene. „Die Österreicher“, so Rose, „definieren sich sehr stark über ihre regionale Identität.“ Man sei zuerst Steirer oder Wiener und erst in nächster Linie Österreicher. Das unterscheide Österreich von Ländern mit einer starken supraregionalen Identität wie etwa den USA.
Aber, so Rose zur Frage, wie man abseits eines „Rot-Weiß-Rot“-Gedankens den Wert eines Landes vermitteln könnte: „Unser primäres soziales Motiv ist Leistung. Und Menschen in unserer Gesellschaft motiviert man mit Stolz.“ In anderen Ländern sei das etwa die Frage der Macht als Motivation. Österreich, so Rose, könnte noch viel mehr die Botschaft vermitteln, wo in der Welt das Land mit seiner eigenen Leistung überall auftauche.
Die österreichische Identität könnte jedenfalls in mehr liegen als im Rot-Weiß-Rot der Heimatflagge. Vielleicht liegt sie ja im Stolz auf Produkte, die Österreich in der Welt vertreten - und sei es in Form eines rosa-blauen Schnittenpackerls.
Gerald Heidegger, ORF.at
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