Modewellen bei Internetdienstnamen
Beliebige Groß- und Kleinschreibung, zum Teil auch mitten im Wort wie bei YouTube, anscheinend fehlende Vokale und willkürliche Doppelbuchstaben: Internet-Start-ups sind bei der Namenssuche erfinderisch. Kunstworte gehören mittlerweile offenbar zu Internetdiensten einfach dazu - und das aus mehreren Gründen.
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Vor rund 20 Jahren war der Trend für merkwürdige Namen im Silicon Valley gestartet worden. Yahoo - zunächst als „Jerry and David’s Guide to the World Wide Web“ gegründet - gab sich 1995 den heutigen Namen, als Abkürzung für "Yet Another Hierarchical Officious Oracle“ (frei übersetzt: „Noch ein hierarchisches Büroorakel“). Gleichzeitig verweist Yahoo auf den Namen der Menschen in „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift. Das Kunstwort Google wiederum leitet sich von Googol ab, der englischen Bezeichnung für zehn hoch 100.
Napster und Flickr
Ende der 90er Jahre setzte dann die Musiktauschbörse Napster, die angeblich den frisurbedingten Spitznamen von Entwickler Shawn Fanning trägt, den nächsten Trend: Reihenweise schossen Applikationen mit der Endung „-ster“ aus dem Boden, unter anderen der erfolglose Facebook-Vorgänger Friendster. Es folgte das abschließende „–r“ ohne Vokal davor, etwa bei der Fotowebsite Flickr und dem Fotoblog tumblr. Das Phänomen war endgültig etabliert.
Warum Twitter einst „twttr“ hieß
Ein Grund dafür zeigte sich auch bei einer der erfolgreichsten Websites dieser Tage: Twitter. Ursprünglich ging der Kurzmitteilungsdienst unter dem Namen twttr an den Start, und der grassierende Namenstrend war nur ein Grund. Vor allem war die URL Twitter.com schon vergeben und ein Kauf schien zu teuer, zitiert das „Wall Street Journal“ („WSJ“) Mitbegründer Biz Stone. Erst als das Unternehmen lief, habe man die Vokale „dazugekauft“. Auch Flickr hätte eigentlich Flicker heißen sollen, auch hier war die Domain aber bereits vergeben.
Da mittlerweile auch jedes Miniunternehmen eine Website hat, sind mittlerweile rund 250 Millionen Domainnamen registriert. Und für praktisch jedes sinnvolle Wort gibt es bereits eine Dot-Com-Adresse. Diese dann den Inhabern abzukaufen, ist teuer: Für Investing.com flossen vergangenes Jahr 2,5 Millionen Dollar, berichtet das „WSJ“. Die einzige Möglichkeit ist daher für die meisten Start-Ups, neue Wörter zu erfinden.
"-Ly", "-li", "-lee" und "-fy"
Dabei orientieren sich viele Unternehmen an erfolgreichen Vorbildern. Und dabei sind der Kurz-URL-Dienst bitly und der Musikstreamingdienst Spotify ganz hoch im Kurs: Eine Wall auf Pinterest – selbst ja auch eine mehr oder weniger geglückte Wortzusammenführung aus „pin“ und „interest“ - nennt mittlerweile über 160 Dienste, die auf "-ly", "-li" oder "-lee" enden.
Spotify, dem Vernehmen nach ein Zufallsprodukt durch ein Missverständnis der beiden Gründer, kann laut „WSJ“ mittlerweile auf über 60 Nachahmer blicken. Den Wortteil „box“ tragen demnach rund 30 Unternehmen, zehn setzen auf „square“. Immer schon und immer noch populär sind willkürlich eingefügte Doppelbuchstaben, man denke an die frühere MP3-Börse KaZaA sowie an Social-Bookmark-Plattformen wie digg und reddit.
Erzwungene Kreativität als Bumerang
Gegenüber Atlantic Wire sehen die Namenkonsulenten Nancy Friedman und Laurel A. Sutton die Trends wesentlich kritischer. Viele Firmen würden versuchen, originell zu sein und mit merkwürdigen Namen ihre Kreativität unter Beweis zu stellen. Das Problem sei aber, dass sie sich zwar von klassischen Geschäften abheben, in ihrer Angrenzung aber alle sehr ähnlich seien.
Und erfolgreiche Namen zu kopieren, sei überhaupt nicht besonders clever: Sobald es einen Trend in die Richtung gibt, gehe man unter, meint Sutton. Sobald der Name auch nachgeahmt wird, färbt das auf das Produkt ab: „Warum sollten Konsumenten etwas haben wollen, das es schon gibt?“ Auch die URL-Knappheit lassen beide nur bedingt gelten: Oft seien es einfach schlechte Namen - und dafür gebe es keine Ausrede.
Länderdomains als Hilfe
Mit einem einfachen „Go“ in der Webadresse vor dem Firmennamen sei vielen schon geholfen. Und auch mit Länderdomains könne man das kreativ umgehen – wenn man der erste ist: Der anonyme „Beichtdienst“ Whisper habe etwa die Länderdomain von St. Helena gewählt, das „sh" unterstützt auch lautmalerisch die Aufforderung zum leisen Sprechen. Einige "-ly“-Firmen sicherten sich libysche Webadressen - auch eine billige Möglichkeit, solange es nicht alle machen. Eine eingängige Webadresse sei zudem meist nur für das Finden und den ersten Besuch wichtig. Dann seien sie ohnehin meist gebookmarket oder würden per App angerufen.
Keine Buchstabensuppe
Einfach ist die Namenssuche jedenfalls nicht: Er sollte irgendeinen Sinn ergeben, leicht im Gedächtnis bleiben und nicht wie eine rein zufällige Buchstabenkombination wirken. Die meisten Unternehmen würden auf kurze Namen mit fünf bis sieben Buchstaben setzen, meint Steve Manning, Gründer der Namensberatungsagentur Igor gegenüber dem „WSJ“. Die Firmen würden dazu neigen, ihre Kunden zu unterschätzen, so Manning.
Vorsicht vor anderen Kulturen
Und manchmal machen auch Kultur- oder Sprachunterschiede einen Strich durch die Rechnung. Der Australier Anthony Goldbloom suchte laut der Zeitung lange einen Namen für seinen Dienst, der Big-Data-Wissenschaftler mit großen Unternehmen verbinden soll. Er schrieb ein Programm, das alle maximal dreisilbigen und aussprechbaren Wörter ausspucken sollte, für die es noch verfügbare Dot-Com-Adressen gab.
Aus den 700 Resultaten wählte er Kaggle. Nachdem er aber in die USA gezogen war, musste er feststellen, dass vor allem im Mittleren Westen seine Firma wie „Kegel“ ausgesprochen wurde. Und anders als im Deutschen steht das Wort dort für die gleichnamige Beckenbodenübung gegen Inkontinenz.
Kein ganz neues Phänomen
Dass technische Gegebenheiten die Namenswahl beeinflussen, ist nichts Neues, erinnert die Zeitung. Mit dem Aufkommen von Branchenverzeichnissen hätten viele Firmen mit dem Buchstaben A beginnende Namen gewählt, um ganz vorne vorzukommen. Und mit der Einführung von Tastentelefonen boomten Namen mit sieben Buchstaben, deren numerische Entsprechung gleichzeitig die kostenlose 800-Hotline war.
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