Castorf reicht ein „Jahres-Ring“
Bereits seit Jahresbeginn wird der Jubilar Richard Wagner allerorten gefeiert. Kaum ein Opernhaus, das sich nicht mit einer Neuinszenierung am Feierreigen beteiligte, die Wiener Staatsoper etwa mit einer Neufassung von „Tristan und Isolde“. Mit den Bayreuther Festspielen samt neuer Inszenierung des „Rings“ durch Frank Castorf folgt in der kommenden Woche nun der Höhepunkt der Feierlichkeiten.
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Dabei war der Berliner Stückeberserker und langjährige Intendant der Volksbühne quasi zweite Wahl, um das große Mythenspektakel auf dem „Grünen Hügel“ in neues Gewand zu kleiden. So waren die Verhandlungen mit Filmregisseur Wim Wenders schon weit gediehen, bevor dann doch die Absage kam. Also wurde Castorf Ende 2011 von den beiden Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier aus dem Hut gezaubert. „Ich würde es nicht in Paris, nicht in Wien machen, aber in Bayreuth zum Jubeljahr, da haben die eine Torte von Castorf verdient“, hatte der 61-jährige Berliner nach Bekanntwerden seines Engagements der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt.

Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
„Das Rheingold“ spielt bei Frank Castorf an der Route 66
Das „Öl als Gold unserer Tage“
Castorf hielt sich vorab mit Aussagen zur Produktion sehr zurück - nur so viel verlautete: Es gehe ums Öl als Gold unserer Tage. Deshalb sei der „Ring“-Auftakt „Das Rheingold“ an einer Tankstelle an der Route 66 in den USA angesiedelt, weitere Stationen des vierteiligen Zyklus seien Aserbaidschan und die Wall Street. Viele Ideen sollten nur flüchtig aufscheinen, sagte der Intendant der Berliner Volksbühne bei einer Pressekonferenz vor der Festspieleröffnung. „Das sind Zitate, die kurz wie eine Sternschnuppe auftauchen.“ Allzu konkrete Eindeutigkeiten lehne er ab.
Er wolle auch gar keinen „Jahrhundert-Ring“ präsentieren. „Mir reicht ein ,Jahres-Ring‘“, sagte Castorf dem Magazin „Der Spiegel“. Außerdem seien die Arbeitsbedingungen in Bayreuth alles andere als ein Zuckerschlecken: „Rheingold“, den ersten Teil der Tetralogie, habe er etwa in neun Tagen inszenieren müssen. „Das ist natürlich Wahnsinn.“ Arbeiten in Bayreuth sei wie bei der TV-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

APA/Roland Schlager
Bayreuth hat eine „Torte von Castorf verdient“, findet Frank Castorf
„Jeder von außen ist der Feind“
Im Leitungsteam der Festspiele habe er eine Stimmung vorgefunden, die ihn an seine wilden Zeiten im deutschen Osten erinnere: „Jeder von außen ist der Feind. Das ist pure DDR.“ Auch einen inhaltlichen Diskurs mit den Festspielleiterinnen habe es nicht gegeben, sagte Castorf dem Magazin. „Ich würde sagen, wir sind da, wenn wir gebraucht werden. Wenn ein Regisseur den Diskurs über seine Arbeit mit uns sucht, freuen wir uns sehr, drängen uns aber nicht auf“, sagte nun Katharina Wagner dem „Nordbayerischen Kurier“. „Je mehr Leute mitreden, desto schlechter kann das Ergebnis werden.“
Die Urenkelin des Komponisten bezeichnete die Zusammenarbeit mit Castorf als „professionell, normalerweise ruhig, souverän und konzentriert auf die Sache“. Die Kritik an der kurzen Probezeit könne sie nicht nachvollziehen: „Die meisten Regisseure schöpfen die Probenzeit, die ihnen noch vor dem Abschluss ihres Engagements bekannt ist, voll aus. Jeder Regisseur hat aber die Freiheit, mit den Probendispositionen in seiner Weise umzugehen.“
Publikum „aufgeschlossener als sein Ruf“
Das Festspielpublikum sei im Übrigen sehr viel aufgeschlossener als sein Ruf. „Es hält sich hartnäckig das Gerücht, unser Publikum sei überwiegend erzkonservativ. Ist es aber nicht, das ist ein absolutes Vorurteil“, sagte sie der Zeitung. „Die Besucher wollen diskutieren; ich bin durchaus der Meinung, dass unser Publikum aufgeschlossen und bereit ist, das ganz aktiv zu rezipieren, was sie erleben. Das heißt ja nicht, dass jeder permanent alles gut finden müsste.“

APA/dpa/Tobias Hase
Die Festspielleiterinnen und Frank Castorf bei der Pressekonferenz vor der Eröffnung
Castorf begann seine Theaterkarriere in der DDR. Seit 1992 ist er Intendant der Berliner Volksbühne. „Rheingold“ hat am Freitag in Bayreuth Premiere. Zwar hat der Theatermacher im Opernbereich noch nicht allzu viel Erfahrung, mit langen Stücken kennt sich der 61-Jährige jedoch aus. Schließlich müssen sich die Zuschauer seiner Arbeiten oftmals auf fünf Stunden plus einstellen - mithin ideale Voraussetzungen für den „Ring des Nibelungen“.
Änderungen an der Partitur tabu
Mit seiner unkonventionellen Art, den Textkorpus seiner Ausgangsarbeiten collagenartig zu sprengen, wird es in Bayreuth allerdings schwer, ist die Veränderung der Partitur auf dem „Grünen Hügel“ doch tabu. Bereits von Anfang an stand indes der Chef am Pult fest: Die musikalische Leitung hat Kirill Petrenko inne, der neue Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.
Aber sowohl der Chef im Graben als auch der Herrscher über die Bühne zeigen sich im Vorfeld bedeckt bezüglich ihrer Inszenierung - keine Interviews, kein Einblick ins Geschehen. Einzig, dass er den „Ring“ im Kampf um Erdöl, dem heutigen Gold, verortet sehe, hatte Castorf vor Monaten verraten. Die Leiterinnen scheinen mit ihrer Wahl jedenfalls zufrieden. „Das, was man bislang sehen kann, ist beeindruckend“, so Katharina Wagner jüngst in Berlin. Sie habe nicht das Gefühl, dass Castorf Dinge tue, nur um zu provozieren.
Eröffnung mit „bravem“ „Holländer“
Allerdings bestehen die Festspiele natürlich auch im Jubiläumsjahr nicht nur aus dem „Ring“. Die offizielle Eröffnung am 25. Juli besorgt Jan Philipp Glogers als brav kritisierte Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ aus dem Vorjahr, wobei hier der mittlerweile unumstrittene Star von Bayreuth, Christian Thielemann, am Pult steht. Im August steht dann Sebastian Baumgartens „Tannhäuser“-Deutung aus 2011 auf dem Spielplan.
Die Idee, das Geschehen in eine Biogasanlage zu verlegen, war damals auf heftigen Widerspruch beim Publikum gestoßen. Und schließlich ist noch Hans Neuenfels beinahe schon zum Klassiker avancierte Deutung des „Lohengrin“ mit menschlichen Ratten, die auf einer laborähnlichen Bühne um Lohengrin und Elsa herumschwänzeln, zu sehen, die seit 2010 in Bayreuth gegeben wird. Die große Aufmerksamkeit wird aber zweifelsohne Castorf haben - mit oder ohne Ratten.
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