Im Sumpf
Bei den großen Sommerfestivals unterscheiden sich Tag und Nacht bekanntlich wie: Tag und Nacht. Was sich untertags und bei nüchterner Betrachtung wie eine halbwegs kultivierte Angelegenheit präsentiert, verwandelt sich in den dunklen Stunden oft zum Sumpf, den man besser nicht durchläuft. Grund für den Sumpf? Menschliches, allzu Menschliches.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Über Fragen der Toilette lässt sich bekanntlich so ausführlich reden wie vornehm schweigen. Und nicht zuletzt Frauen verspüren mitunter bei der Verbindung Festivalbesuch und Toilettennutzung einen Hauch von Schauer. Dixi-Klos und männliche Zeitgenossen, die nach dem zweiten oder dritten Bier zur Bewältigung des Blasendrucks das Tier in sich entdecken, machen keine Lust auf den Besuch einer Massenveranstaltung im Grünen.
Didaktik am Baum
Die Niederländer Sam van Veluw und Rogier Martens haben für das besondere Naheverhältnis von Männern und Bäumen bei Sommerfestivals eine besondere Lösung entwickelt. Sie schnallen Bäumen Pissoirs aus recyceltem Hartplastik um - und bieten einfach mitgelieferte Ableitungssysteme an. Ziel des Systems: dem Problem der Baumpinkler ebenso Herr zu werden, wie eine Art erzieherisches Signal zu setzen, dass es auch für die schnellsten Geschäfte des Lebens so etwas wie eine saubere Lösung geben kann.
Seit 2011 statten die Niederländer das Roskilde-Festival in Dänemark aus. Heuer hat man gleich 80 Bäume zu offiziellen „P-Trees“ im Roskilde-Orange umfunktioniert.

AANDEBOOM
Baum mit umgeschnalltem Pissoir für die schnelle Erleichterung - und auch als erzieherisches Signal
Überhaupt haben sich die Dänen offenbar vorgenommen, zu so etwas wie dem Piesel-Mekka unter den Musikfestivals des Sommers zu werden, hat man doch, wie man gegenüber ORF.at stolz bekennt, seit 2011 die Zahl der Toiletteneinrichtungen auf dem Festival verdoppelt. Roskilde mit seiner Non-Profit-Ausrichtung wirkt dabei wie ein Schaulaufen der Klolösungen für den Festivalbesuch. Pissoirs für Männer und Frauen sind da ebenso zu finden wie hochgerüstete Vakuumklos. Vor allem die männlichen Gäste muss man dabei mit immer innovativeren Lösungen ködern, um zu verhindern, dass die Felder des Festivals zu sehr überdüngt werden.

ORF.at
„Pissoir-Raketen“
Neben den orangefarbenen „P-Trees“ setzt man dabei auf, „Pissoir-Raketen“: Drei Männer können dabei auf einer Art kreisrunden Plastikplattform ihr schnelles Geschäft in aller Diskretion (Sichtschutz garantiert) und passabler Hygiene erledigen.
Klopapier von Kopenhagen bis Kairo
Über 2.500 Toiletten hatte man heuer auf dem Festival, das heuer von 130.000 Besuchern gestürmt wurde, installiert. 3.500 Kilometer „ökologisches“ Klopapier wurden dabei benutzt. „Das“, so Pressesprecher Thomas Lenler Olesen gegenüber ORF.at, „entspricht immerhin der Strecke von Kopenhagen bis Kairo.“ Vor allem für Frauen habe man das Angebot stark erweitert, berichten die Veranstalter. Wer ein tatsächlich sauberes Klo wollte, der hatte im Campingbereich auch eine Bezahltoilette zur Wahl.
Dennoch mussten die Festivalmacher auch heuer wieder mit großen Baggern ausfahren, um bei Licht die eine oder andere Wiese mit Kubikmetern von Sägespänen trockenzulegen.
Kompostklo für Festivals?
Auf dem eingerichteten Blog zur Weiterentwicklung des Festivals kritisieren Nutzer wiederum die Einstellung des Projekts Komposttoilette in Dänemark. Das portugiesische Boom-Festival stellte 2012 in der Campingzone des Festivals das Projekt Komposttoilette vor, das man speziell für den Einsatz bei großen Events entwickelte.

Roskilde Festival
Im Campingbereich sind die Sanitärfragen meist besonders akut
2008 begann das Boom-Festival laut eigenen Angaben die selbst entwickelten Komposttoiletten, die kein Abwasser produzieren, bei dem ökologisch kollaborativ ausgelegten Festival in Idanha-a-Nova, zirka 250 Kilometer südlich von Lissabon, einzusetzen. Im vergangenen Jahr schaffte man bei dem von etwa 25.000 Personen besuchten Event eine Abdeckung mit Komposttoiletten von beinahe hundert Prozent.
Wie viele Toiletten für wie viele Besucher?
Grundsätzlich stellt sich für jedes Festival die Frage, wie viele Toiletten für welche Zahl an Besuchern aufzustellen sind. Dafür gibt es unterschiedliche lokale Rahmenbedingungen und Vorgaben. „Letztlich“, so berichtet etwa ein Wiener Veranstalter gegenüber ORF.at, „lernt man von Jahr zu Jahr in der Toilettenfrage dazu“. Nachsatz: „Klos gibt es eigentlich immer zu wenige. Denn wenn, dann wollen die Leute nach einem Konzert auf die Toilette und nicht, während die Musik läuft.“

ORF.at
Anstellen lässt sich vor allem für Frauen nicht vermeiden
Große Menschenansammlungen lassen immer die Toilettenfrage akut werden. Vor der Angelobung zur zweiten Amtszeit von US-Präsident Barack Obama empfahl das Parkservice in Washington, man solle pro 300 Besucher mit einer Toilette kalkulieren. Bei einer Million Menschen wären das knapp dreieinhalbtausend Klos. Millicent Carroll, Direktor der US-Vereinigung Portable Sanitation Association International empfahl gegenüber dem „Wall Street Journal“ nicht ohne Eigeninteresse für die eigene Branche 7.500 Mobilklos. Am Ende entschied sich das Presidential Inaugural Committee für die Zahl von 5.000 mobilen Toiletten.
Im Durchschnitt ist in einer Minute alles vorbei
Im Jahr 1987 erhob das US-Transportministerium in einer Studie das Toilettenverhalten der Amerikaner. Ergebnis der Studie war auch eine Erhebung der Verweildauer in der Toilette. Männer blieben demnach 47 Sekunden in der Toilette, Frauen 79 Sekunden. Auf dem Münchner Oktoberfest wird man mit solchen Toilettenzeiten nicht mithalten können. Dort gibt es seit Jahren Unmut, dass die „stillen Orte“ zu oft zum Telefonieren verwendet werden.
Die Errichtung von Faradayschen Käfigen um die Toiletten zur Abwehr von Handysignalen wurde ebenso diskutiert wie das Anbringen von Störsendern. Allein der deutsche Gesetzgeber machte diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Vor der Gefahr, dass die Gäste die Klos wegen zu langen Telefonierens mit dem Handy blockieren, sind freilich wohl auch die sanitär avanciertesten Festivals nicht gefeit.
Gerald Heidegger, ORF.at
Links: