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„Front zwischen Ärzten und Patienten“

Den richtigen Arzt zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen und oft Glückssache: Allzu oft ist man auf nur bedingt zuverlässige Empfehlungen von Bekannten oder Online-Ärztebewertungen angewiesen.

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Der Fall der nun mit einem Berufsverbot belegten Abtreibungsärztin in Wien zeigt auf besonders tragische Weise, wie brennend diese Frage ist. Während sich die Ärztekammer verteidigt, erhebt die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz schwere Vorwürfe. Für Pilz ist klar: Die Kontrollmechanismen, um Missstände bei den niedergelassenen Ärzten zu entdecken, sind „überhaupt nicht ausreichend“.

Prüfungen an „Nebenfronten“

Gegenüber ORF.at zeigt sich Pilz - gerade auch angesichts des Falles der Wiener Abtreibungsärztin, die nun mit einem temporären Berufsverbot belegt wurde - empört über die Ärztekammer: Die Qualitätskontrolle sei schlicht nicht ausreichend gewährleistet. Die Ärztekammer habe keinen konstruktiven Umgang mit Kritik.

Außerdem prüfe sich diese selbst - via dem der Kammer unterstehenden Unternehmen ÖQMed - und nur an „Nebenfronten“ wie Hygiene und behindertengerechtem Zugang. Die Qualität der Behandlung sei aber kein Thema. Die Patientensicherheit werde zwar ebenfalls abgefragt, ausgerechnet diese Ergebnisse seien aber im ersten Qualitätsbericht (Zeitraum 2006 bis 2011, .PDF) nicht publiziert worden.

Dazu komme, dass die Ärztekammer nicht nur die Prüf-, sondern auch die Berufungsinstanz sei. Den Entzug der Ärztelizenz spreche diese aber de facto erst nach einer strafrechtlichen Verurteilung aus. Für die Wiener Patientenanwältin ist die Selbstevaluierung daher vor allem eines - „Schönfärberei“. Sie habe der Wiener Ärztekammer bereits letzten Oktober mehrere „schwarze Schafe“ namentlich genannt, darunter auch die Abtreibungsärztin. Als Antwort habe sie bekommen, da könne die Kammer nichts machen. Und einige der Genannten, so Pilz, seien mittlerweile von ÖQMed wieder zertifiziert worden.

„Riskante Medizin“

Pilz kritisiert in scharfen Worten, die Ärztekammer erkläre sich selbst für unzuständig. Deren Chef, Artur Wechselberger, habe öffentlich quasi gesagt, wenn es etwas zu bemängeln gebe, dann solle die Patientenanwaltschaft Strafanzeige erstatten - mehr dazu in oe1.ORF.at. Neben den strafrechtlich relevanten Delikten gebe es aber ein weites Feld an „riskanter Medizin“, etwa wenn ein Arzt fragwürdige Therapien einsetze.

Wenn die Patientenanwälte all diese Fälle bei der Staatsanwaltschaft anzeigten und es zu Strafverfahren komme, „machen wir eine unglaubliche Front zwischen Ärzten und Patienten auf“, versteht Pilz die abwehrende Haltung der Ärztekammer nicht. Diese vertrete „Defensivmedizin“, indem sie sage: „Wir kümmern uns um solche Fälle nicht, sie können uns ja klagen.“

Ruf nach unabhängiger Kontrollbehörde

Pilz fordert daher eine unabhängige, beim Gesundheitsministerium angesiedelte Prüfbehörde: Diese müsse unangemeldet und mit umfassenden Prüfkompetenzen ausgestattet bei „begründeten Vorwürfen“ - etwa aufgrund von Hinweisen eines Patientenanwalts oder eines Spitals - aktiv werden. Einen entsprechenden Vorschlag habe sie dem Gesundheitsministerium bereits gesandt.

Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) reagierte am Freitag zurückhaltend. Wenn die derzeit von den Ärzten selbst durchgeführte Qualitätssicherung nicht funktioniere, könne er sich eine unabhängige Stelle vorstellen - allerdings frühestens nach den Wahlen. Pilz beklagt, dass der Patientenanwaltschaft weitgehend die Hände gebunden seien, da die MA40 auch nur in Fällen mangelnder Hygiene tätig werden könne.

Erst am Freitag konnte der Landeshauptmann von Wien ein temporäres Berufsverbot über die Ärztin verhängen. Ein Spital, das im Juni eine Patientin der Ärztin aufgenommen hatte, hatte Stunden zuvor Anzeige erstattet - mehr dazu in wien.ORF.at. Wenn es Beschwerden gibt, müsse die Behörde bei der Ärztekammer ein Ansuchen stellen, bei dem vorab angegeben werden muss, was man prüfen will. Dafür gebe es ein eigenes Formular, und ein Vertreter der Kammer sei anwesend, um den Prüfern „auf die Finger zu schauen“.

Seit Jahren bekannt

Der Fall der Wiener Abtreibungsärztin hätte „längst bemerkt werden müssen“, kritisiert Pilz und lässt keinen Zweifel daran, dass die jahrelange Verschleppung des Falls ein Versagen der bestehenden Kontrollmechanismen durch die Ärztekammer darstellt. Die Ärztin sei unter Kollegen bekannt gewesen und für die Diagnose jener Frauen, die „blutend“ ins Spital gekommen seien, habe es bereits einen medizinischen Spitznamen gegeben.

Der Ehrenrat der Ärztekammer habe die Ärztin zudem mehrmals freigesprochen, widersprach Pilz Ärztekammer-Chef Wechselberger, der im Ö1-Radio betont hatte, der Ehrenrat befasse sich derzeit mit dem Fall. Die Patientenanwältin kritisiert, dass es nicht früher eine Anzeige gab und erhebt in diesem Zusammenhang auch einen gesellschaftspolitischen Vorwurf: Weil es sich um sozial schwache Frauen gehandelt habe, habe man mit Schulterzucken reagiert.

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