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Neue Massenproteste angekündigt

Der ägyptische Übergangspräsident Adli Mansur hat am Montag noch für dieses Jahr eine Parlamentswahl in Aussicht gestellt. Konkret habe Mansur nach Angaben der staatlichen Zeitung „al-Ahram“ einen Zeitplan für eine Verfassungsänderung und darauf folgende Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorgelegt.

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Mansur verfügte den Angaben zufolge, dass binnen zwei Wochen ein Verfassungsausschuss gebildet wird, der zwei Monate Zeit für die Ausarbeitung von Verfassungsänderungen hat. Der Übergangspräsident werde diesen Entwurf dann binnen eines Monats der Bevölkerung in einem Referendum zur Abstimmung vorlegen. Anschließend würden binnen zwei Monaten die Parlamentswahlen abgehalten. Danach werde ein Termin für die Wahl eines neuen Staatschefs festgesetzt. Die im Dezember in Kraft getretene islamistisch geprägte Verfassung war vergangene Woche mit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi ausgesetzt worden.

Muslimbrüder gegen Zeitplan

Führende Vertreter der Muslimbrüder lehnten den Zeitplan von Mansur für Neuwahlen ab. Der stellvertretende Vorsitzende der Partei der Islamisten, Freiheit und Gerechtigkeit, Essam al-Arian, erklärte am Dienstag, dieses Vorhaben werfe das Land erheblich zurück.

Es werde deutlich, dass mit der Entmachtung von Mursi nicht nur der Präsident angegriffen worden sei. Auch die Identität und die Rechte der Menschen in Ägypten, ihre Freiheit und Demokratie seien in Gefahr. Der politische Arm der radikalislamischen Gamaa Islamija erklärte ebenfalls seine Ablehnung gegenüber den Plänen des „unrechtmäßigen“ Präsidenten.

Aufruf zum Aufstand auf

Mursi wurde am Mittwoch infolge tagelanger Massenproteste von den ägyptischen Streitkräften abgesetzt. Der oberste Verfassungsrichter Mansur wurde zum Übergangspräsidenten gemacht. Nach Mursis Entmachtung ist die ägyptische Gesellschaft tief gespalten. Bei Ausschreitungen zwischen Anhängern und Gegnern von Mursi kamen in der Folge zahlreiche Menschen ums Leben.

Am Montag wurden bei Zusammenstößen zwischen Mursi-Anhängern und ägyptischen Sicherheitskräften in Kairo nach Angaben von Rettungskräften über 50 Menschen getötet und rund 400 weitere verletzt. Die Partei der Muslimbruderschaft, aus der Mursi hervorgegangen war, rief daher zu einem „Aufstand des ägyptischen Volkes“ auf. Die Umstände eines der blutigsten Zwischenfälle seit Jahren im bevölkerungsreichsten arabischen Land blieben zunächst unklar.

Patronenhülsen vom Ort der Schießerei

Reuters/Mohamed Abd El Ghany

Patronenhülsen werden als Beweis für die Vorfälle von Montagfrüh vor versammelten Mursi-Anhängern präsentiert

Widersprüchliche Angaben

Die Armee und Mansur sprachen von einem versuchten Sturm der Mursi-Anhänger auf das Hauptquartier der Republikanischen Garden in Kairo und somit dem vermuteten Aufenthaltsort des gestürzten Präsidenten. Die Mursi nahestehenden Muslimbrüder gaben unterdessen an, das Militär habe auf friedlich betende Demonstranten gefeuert.

Für Dienstag wurden als Reaktion auf die Ereignisse neue Massendemos angekündigt. Alle Ägypter im ganzen Land seien aufgerufen, auf die Straße zu ziehen und gegen den Militärputsch und das jüngste Massaker vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde zu protestieren, sagte der Sprecher eines von den Muslimbrüdern angeführten Bündnisses am Montagabend.

Auch Nur-Partei zieht Konsequenzen

Auch die zweitgrößte islamistische Strömung in Ägypten, die salafistische Nur-Partei, zog unmittelbar weitreichende Konsequenzen aus den blutigen Ereignissen in Kairo. Mit sofortiger Wirkung werde man sich von allen Verhandlungen über die Bildung einer Übergangsregierung und dem gesamten von der Armee initiierten politischen Prozess zurückziehen, teilte die ultrakonservative Partei mit. Die Nur-Partei hatte den Sturz Mursis mitgetragen und galt als wichtige Kraft beim Versuch, alle politischen Strömungen in den Demokratisierungsprozess einzubeziehen.

Appell von Nobelpreisträger ElBaradei

Übergangspräsident Mansur kündigte die Einsetzung einer Untersuchungskommission zu den Vorfällen an. Zugleich rief er die Demonstranten auf, sich von Kasernen und anderen „vitalen Einrichtungen“ des Staates fernzuhalten. Präsidentensprecher Ahmed al-Muslumani sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Ereignisse würden die Bemühungen um eine Übergangsregierung und die Vorbereitungen für Wahlen und eine Verfassung nicht aufhalten.

Auch der liberale Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, dessen Berufung zum Ministerpräsidenten an der islamistischen Nur gescheitert war, rief eindringlich zu weiterer Versöhnung auf. Angesichts der jüngsten Entwicklung begannen ausländische Firmen wie BP damit, Mitarbeiter aus dem Land abzuziehen. Das Außenministerium reagierte mit einer Verschärfung der Warnungen in seinen Reiseinformationen.

Pro-Mursi Demonstranten in Kairo

Reuters/Khaled Abdullah

Die Anhänger der Muslimbruderschaft wurden zum Aufstand aufgerufen

Schwerwiegende Folgen für politischen Prozess

Mit dem Aufruf der Muslimbrüder zum Aufstand scheint der Versuch endgültig gescheitert, sie in den politischen Prozess einzubeziehen. „Die Partei Freiheit und Gerechtigkeit ruft das große ägyptische Volk auf, sich gegen die zu erheben, die die Revolution mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen stehlen wollen und dabei auch über Leichen gehen“, erklärte die Bruderschaft auf ihrer Facebook-Seite. Die Gespräche über eine neue Regierung werden auch durch den Rückzug der Nur-Partei weiter erschwert. Mit ihr und den Muslimbrüdern sind die beiden dominanten islamistischen Strömungen Ägyptens nicht mehr mit am Tisch.

Obama gegen „voreilige Entscheidungen“

Von den USA wurde unterdessen das ägyptische Militär zur Zurückhaltung aufgefordert. „Wir verurteilen jede Art von Gewalt und auch jede Form der Anstachelung zu Gewalt aufs Schärfste“, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums in Washington am Montag. Die US-Regierung erwarte vom ägyptischen Militär „maximale Zurückhaltung“ im Umgang mit Demonstranten.

Ein Sprecher von Präsident Barack Obama erklärte, die USA seien besorgt über die Zuspitzung der Lage. Es dürfe nicht zu Racheakten, willkürlichen Festnahmen bzw. Einschränkungen der Presse kommen. Die US-Regierung prüfe derzeit noch, ob Mursis Entmachtung durch das Militär als Putsch einzustufen sei. In diesem Fall müssten die USA ihre umfangreichen Rüstungshilfen an Ägypten stoppen. „Wir glauben, dass es nicht in unserem Interesse ist, jetzt voreilige Entscheidungen zu treffen“, erklärte Obamas Sprecher.

Auch EU stellt Hilfen auf Prüfstand

Auch die Europäische Union verurteilte die ausufernde Gewalt in Ägypten und deutete mögliche Auswirkungen auf ihre Finanzhilfen für das Land an. „Wir überprüfen ständig unsere Unterstützung für Ägypten und können sie - je nach Lage - auch anpassen“, sagte der Sprecher von EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso rief die Übergangsführung in Ägypten auf, rasch die verfassungsmäßige Ordnung im Land wiederherzustellen. Die ägyptische Führung müsse dazu alle notwendigen Maßnahmen treffen.

Putin: Ägypten auf Weg zu Bürgerkrieg

Ähnliche Worte kamen auch von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, der die ägyptischen Sicherheitsleute aufrief, die Demonstranten zu schützen. Polizei und Militär müssten alle gewaltsamen Zusammenstöße vermeiden, erklärte Ban. Zugleich rief er das ägyptische Volk auf, „sein Recht auf Demonstrationen ausschließlich friedlich auszuüben“.

Russlands Präsident Wladimir Putin sieht Ägypten unterdessen schon auf dem Weg zu einem Bürgerkrieg wie in Syrien. Ägypten sei dabei, Syrien in einen solchen Konflikt zu folgen, sagte Putin einer Meldung der Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu bezeichnete die jüngsten Gewaltausschreitungen angesichts der Dutzenden Todesopfer als Massaker. „Ich verurteile scharf das Massaker, das in Ägypten beim Morgengebet stattgefunden hat“, erklärte Davutoglu.

Spindelegger für Neuwahlen

Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) versicherte, dass die österreichischen Behörden darauf vorbereitet seien, im Fall von Krisensituationen österreichische Staatsbürger aus Ägypten zu evakuieren. In den klassischen Urlaubsorten am Meer sehe man noch keine Gefahr, aber auch das werde täglich neu beurteilt, so der Vizekanzler. Spindelegger beurteilte die Militärintervention als „keinen wünschenswerten Zustand“. Deshalb betonte der Außenminister, dass aus seiner Sicht Neuwahlen in Ägypten möglichst schnell abgehalten werden sollten.

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