Gegendemo zum „Schutz der Revolution“
An Tag zwei nach dem Sturz von Ägyptens Staatschef Mohammed Mursi ist es in Kairo zu den befürchteten Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Mursi-Anhängern gekommen. Laut offiziellen Angaben wurden landesweit mindestens 17 Menschen getötet.
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Mindestens zwei Menschen wurden laut Augenzeugen bei einem Schusswechsel vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde getötet, wo Mursi gefangen gehalten wurde. Die ägyptische Armee dementierte umgehend, auf Demonstranten geschossen zu haben. Man habe lediglich Platzpatronen und Tränengas eingesetzt, sagte ein Militärsprecher am Freitag. Wer die tödlichen Schüsse abgefeuert hatte, war nicht klar. Der Anführer der Muslimbrüder, Mohammed Badie, trat überraschend bei der Kundgebung am Freitag in Kairo auf. Zuvor hatte es aus ägyptischen Sicherheitskreisen geheißen, Badie sei am Donnerstag - so wie zahlreiche andere Führungsfiguren der Muslimbrüder - festgenommen worden.
Während über den Demonstranten ein Militärhelikopter schwebte, appellierte Badie an die Armee, nicht auf die Bürger zu feuern. Badie machte klar, dass er trotz der Verhaftung Mursis und anderer Muslimbrüder nicht zu Konzessionen bereit sei. Er forderte die Wiedereinsetzung Mursis als Präsidenten und erklärte, dass die Muslimbrüder auch bereit seien, in dieser Auseinandersetzung „mit unseren Leben“ einzustehen.

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Das Militär geht gegen die Mursi-Anhänger vor
Zusammenstöße zwischen beiden Seiten
Bei einem Protestzug der Anhänger des vom Militär gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi ist es am Freitagabend in der Hauptstadt Kairo zu Zusammenstößen mit Mursi-Gegnern gekommen. Wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, waren am Rande des Tahrir-Platzes Schüsse zu hören, beide Lager bewarfen sich mit Steinen. Krankenwagen brachten Verletzte ins Krankenhaus. Zuvor waren Hunderte islamistische Anhänger Mursis zur nationalen Fernsehzentrale am Ufer des Nils im Zentrum Kairos marschiert. Diese liegt nur wenige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt.
Die ägyptische Staatsanwaltschaft ließ unterdessen zwei verhaftete Mitglieder der Führung der Muslimbruderschaft frei. Saad al-Katatni und Raschad Bajumi, die dem Lenkungsbüro der islamistischen Organisation angehören, seien auf freiem Fuß, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur MENA am Abend. Beide Politiker standen ursprünglich unter dem Verdacht, zur Tötung von Demonstranten angestiftet zu haben. Zugleich wurde bekannt, dass der frühere Präsidentschaftskandidat der Salafisten, Hasem Salah Abu Ismail, in seiner Wohnung festgenommen wurde. Ihm wird demnach vorgeworfen, zur Gewalt angestiftet zu haben.

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Gegner Mursis unterstützen mit einer Gegendemo das Militär
„Freitag des Zorns“
Die Muslimbrüder und weitere islamistische Organisationen hatten einen „Freitag des Zorns“ ausgerufen - so hatten die Oppositionsbewegungen ihre Freitagsdemos vor dem Sturz von Ex-Machthaber Hosni Mubarak genannt - und zu friedlichen Demonstrationen gegen die Entmachtung Mursis am Mittwoch aufgerufen. Schon Stunden vor Beginn der Massenproteste sammelten die Islamisten ihre Kräfte gegen den „Militärputsch“. „Möge Gott Mursi zurück an die Macht bringen“, rief ein Imam Tausenden aufgebrachten Gefolgsleuten vor der Moschee Rabaa al-Adawija in Kairo zu. Auch die Gegner des entmachteten Staatschefs brachten sich zum „Schutz der Revolution“ in Stellung. Die von liberalen und linken Kräften geführte Nationale Heilsfront rief alle Ägypter zur Solidarität auf.
Kampfflugzeuge über Kairo
Mehrere tieffliegende Kampfflugzeuge über Kairo und Panzer in den Straßen der Hauptstadt sorgten zusätzlich für eine gespannte Atmosphäre, auch wenn das Militär in einer nachts veröffentlichten Erklärung zur nationalen Einheit und Versöhnung aufgerufen hatte. Die Ägypter sollten auf Racheakte verzichten, hieß es darin.
Übergangspräsident löst Oberhaus auf
Der vom Militär eingesetzte ägyptische Übergangspräsident Adli Mansur löste unterdessen am Freitag das von den Islamisten dominierte Oberhaus auf. Das meldete die amtliche Nachrichtenagentur MENA. Beim Schura-Rat lag die vollständige legislative Macht, da das Unterhaus bereits vor einem Jahr aufgelöst worden war. Mansur ernannte laut MENA am Freitag überdies Mohammed Ahmed Farid zum neuen Geheimdienstchef.
ElBaradei rechtfertigt Coup
Der prominente Oppositionspolitiker Mohammed ElBaradei bezeichnete die Intervention des Militärs im britischen BBC-Rundfunk als „schmerzhafte Maßnahme“, die aber „zur Vermeidung eines Bürgerkriegs“ notwendig gewesen sei. Die Armee wolle das Land nicht führen und werde „binnen einer Woche“ die Bildung einer zivilen Regierung ermöglichen, versprach er.
Die Militärführung hatte Mursi am Mittwoch entmachtet und im Verteidigungsministerium festgesetzt. Auch die Führungsriege der Muslimbrüder wurde festgenommen, die islamische Verfassung außer Kraft gesetzt. Als Übergangspräsident setzten die Streitkräfte den obersten Verfassungsrichter Adli Mansur ein.

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Anhänger Mursis bringen einen verletzten Demonstranten in Sicherheit
AU suspendiert Mitgliedschaft
Als Reaktion auf den undemokratischen Umsturz setzte die Afrikanische Union (AU) am Freitag die Mitgliedschaft Kairos aus. Die Organisation gab bekannt, dass die Sanktion gegen Ägypten „bis zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ gelte. „Der Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten entspricht nicht den Regeln der Verfassung“, hieß es in einer Stellungnahme. Damit befindet sich Kairo nun in Gesellschaft anderer geächteter Krisenstaaten wie Madagaskar, Guinea-Bissau und der Zentralafrikanischen Republik.
Ägyptens AU-Botschafter Mohammed Edrees hatte vor dem Beschluss noch appelliert, dass „die Stimmen von Millionen Ägyptern erhört, verstanden und respektiert werden müssen“. Damit bezog er sich auf die tagelangen Massenproteste gegen Mursi, bei denen schon bis zum Mittwoch Dutzende Menschen getötet worden waren.
International warnende Stimmen
Neben den USA warnten unter anderen auch Österreich und Deutschland davor, den demokratischen Transformationsprozess in Ägypten durch politisch motivierte Verfolgungen und Festnahmen zu gefährden. Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) hatte am Donnerstag die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Mursi „sehr bedenklich“ genannt. Das sei in einer Demokratie kein Weg zur Konfliktlösung. Die Politik müsse nun „rasch wieder in die demokratischen Institutionen zurückkehren“.
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