„Aus heutiger Sicht ein Fehler“
Drei Tage nach Bekanntwerden des sexuellen Übergriffs auf einen 14-Jährigen in der Justizanstalt Wien-Josefstadt hat Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) ein Fehlverhalten der Justiz eingeräumt. Sie sieht allerdings die zuständige Richterin in der Verantwortung.
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„Aus meiner Sicht sind Fehler passiert. Aus heutiger Sicht hätte man das Opfer nicht in diese Zelle sperren dürfen. Das war ein Fehler, das muss man zugeben“, so Karl am Freitagnachmittag auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz im Palais Trautson, an der Strafrechts-Sektionschef Christian Pilnacek und Vollzugsdirektor Peter Prechtl teilnahmen.
Es stelle sich „die berechtigte Frage ans Gericht, ob die lange U-Haft verhängt hätte werden müssen“, gab Karl die Verantwortung allerdings umgehend weiter. Die Behörden hätten einem Bericht der Jugendgerichtshilfe „ein höheres Augenmerk“ schenken müssen, der dem 14-Jährigen verminderte geistige Reife bescheinigte, so Pilnacek. Informationen über die Entwicklungsstufe und Entwicklungsreife von jugendlichen U-Häftlingen müssten zukünftig schneller bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten ankommen, „um Haft zu verkürzen oder gar nicht entstehen zu lassen“, sagte Pilnacek.
Freilassung nach Gutachten
Die zuständige Richterin hatte laut Straflandesgericht Wien ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben, nachdem bei dem Jugendlichen von der Jugendgerichtshilfe Lerndefizite und eine leichte Intelligenzminderung festgestellt worden waren. Bei der Einvernahme im Zuge der Festnahme habe es bei dem Jugendlichen demnach aber „keine Indizien auf eine verzögerte Reife gegeben“. Am 10. Juni wurde der Jugendliche nach dem entsprechenden Gutachten freigelassen - mehr dazu in wien.ORF.at.
„Die Staatsanwaltschaft steht auf dem Standpunkt, es muss ein Signal gesetzt werden“, erklärte Sektionschef Pilnacek, warum die Staatsanwaltschaft Wien an ihrer Raub-Anklage gegen den 14-Jährigen festhält - mehr dazu wien.ORF.at. Die Anklagebehörde wolle „aufzeigen“, dass eine schwere Straftat vorliegt, und das Gericht beurteilen lassen, „ob Schuldfähigkeit gegeben ist“, erläuterte Pilnacek. „Wir werden uns konkret anschauen, ob das so aufrechtzuerhalten ist.“
„Task-Force Jugend-U-Haft“
Die Justizministerin kündigte die Bildung einer „Task-Force Jugend-U-Haft“ aus Vertretern der Kriminalpolizei, Richtern, Staatsanwälten, der Jugendgerichtshilfe und dem Verein Neustart an, die für jugendliche Straftäter rasch Alternativmaßnahmen zur U-Haft entwickeln soll.
Sie wolle auch mehr Personal für die Justizwache fordern, so Karl. In einem Erlass habe sie zudem festgelegt, dass Jugendliche im Gefängnis grundsätzlich nur noch in Zweierzellen untergebracht werden. Weiters solle die Jugendgerichtshilfe ab sofort verstärkt und vor allem am Abend und an den Wochenenden in die Betreuung jugendlicher Insassen eingebunden werden.
Heftige Kritik von Steinhauser
Für Karls Aussagen zur Zuständigkeit gab es heftige Kritik vom grünen Justizsprecher Albert Steinhauser. „Nachdem Karl tagelang Missstände im Jugendstrafvollzug schönreden wollte, versucht sie jetzt der Unabhängigen Gerichtsbarkeit die Verantwortung umzuhängen“, sagte Steinhauser. Es sei komplett unüblich, dass eine Justizministerin Gerichtsentscheidungen bewertet und scharf kritisiert. Karl versuche sich aus der Schusslinie zu bringen, dabei schrecke sie „offensichtlich nicht einmal davor zurück, dem Gericht die Schuld an einer Vergewaltigung zuzuschieben“, so Steinhauser.
Karl entschuldigt sich für „falschen Eindruck“
Unter Bezugnahme auf vorangegangene, nicht unumstrittene mediale Auftritte sagte Karl bei der Pressekonferenz: „Es tut mir sehr leid, dass da ein falscher Eindruck entstanden ist. Es tut mir leid, dass das falsch rübergekommen ist.“ Seit Bekanntwerden des Vorfalls reißt die Kritik an Karl nicht ab, nicht zuletzt wegen ihrer Aussagen im ZIB2-Interview. Darin wies sie Mängel im Jugendstrafvollzug zurück, ihr zufolge wurde viel getan, es gebe ein „hohes Niveau“ und sei so gut wie nie zuvor.
Widerspruch zu Karls Aussagen
Der Österreichische Berufsverband der SozialarbeiterInnen (OBDS) widersprach den Aussagen der Ministerin in einer Aussendung am Donnerstag. So habe Karl nicht erwähnt, dass nur deshalb 20 anstatt 100 Jugendliche in der JA Josefstadt einsitzen, weil nach einem früheren Vorfall Jugendliche aus Sicherheitsgründen in ein anderes Gefängnis verlegt worden sind. Zudem habe die Ministerin die Zahlen des Jugendstrafvollzugs generell mit der besonders beengten Situation in der Josefstadt vermengt „und damit beschönigt“.
Karl hatte im ZIB2-Interview auch dementiert, dass die Volksanwaltschaft bei einer Kontrolle im November 2012 gravierende Missstände festgestellt habe. Woraus das Justizministerium schließe, dass es keine Beanstandungen der Volksanwaltschaft gegeben habe, entziehe sich ihrer Kenntnis, widersprach allerdings die ÖVP-Volksanwältin Gertrude Brinek am Donnerstag in einer Aussendung. Entsprechende Beanstandungen, die zur laufenden Prüfung geführt haben, hätte das Justizministerium in einer Stellungnahme Ende Mai 2013 bestätigt.
„Persönlicher Brief“ an 14-Jährigen
Sie habe dem Jugendlichen einen „persönlichen Brief geschrieben, wo ich mein Bedauern zum Ausdruck bringe“, so Karl bei der Pressekonferenz weiter. Sie werde auf allfällige Schadenersatzforderungen des in der Nacht auf den 7. Mai in einer Mehrpersonenzelle der Justizanstalt Wien-Josefstadt missbrauchten Burschen „rasch und unbürokratisch“ reagieren.
Im ZIB2-Interview hatte Karl gesagt, ob das Opfer eine Entschädigung bekommt, müsse erst geprüft werden. „Also ich kann als Justizministerin nicht da sitzen und mit dem Geld um mich werfen“, sagte Karl. Dafür erntete sie ebenso viel Kritik wie für ihre Aussage, dass der Jugendstrafvollzug kein Paradies sei. „Wir sprechen von Jugendlichen, die eine schwere Straftat begangen haben, weil sonst wären sie auch nicht in U-Haft genommen worden.“
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