Grünblick in der Betonwüste
Fassadenbegrünung heißt eines der großen Schlagworte der neuen Ökologisierung des Wohnens. Vor allem in Wien sollen immer mehr Flächen vertikal wuchern. In der Stadt sind die Bewohner für jedes bisschen „Grünblick“ dankbar. Aber ganz unkompliziert ist es nicht, für Wandwildwuchs zu sorgen.
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Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung, gerät ins Schwärmen, wenn sie von einem Wiener Versicherungsgebäude in der Adalbert-Stifter-Straße erzählt. Eigentlich sei das Haus ein Betonklotz mit mehreren großen runden Türmen. Aber auf einen dieser Türme klettert Veitschi, eine Art Wilder Wein. Jeden Tag komme sie hier vorbei und beobachte, wie von Jahr zu Jahr das Grün mehr für sich von dem Gebäude beansprucht.

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Das Gebäude einer Versicherung in der Wiener Adalbert-Stifter-Straße
„Und erst manche Hinterhöfe - sie sind wegen der Fassadenbegrünung regelrechte Grünoasen, und das mitten im dicht bebauten Stadtgebiet“, so Büchl-Krammerstätter. Man fühle sich in das alte Wien zurückversetzt. Ein modernes Prestigeprojekt ist hingegen die Fassade des Hauses der Magistratsabteilung 48 (Abfallwirtschaft) auf dem vielbefahrenen Gürtel. Gerade dort tut jede Behübschung not.
Schöne bunte Blüten auf der Hauswand
Beim 48-er Haus sieht man, was bereits möglich ist, wenn man keine Kosten und Mühen scheut. Mit Efeu- oder Weinranken hat das Ganze nichts mehr zu tun. Aufgezogen wurde das Pflanzensystem dort von der Firma Gruenwand, die auf solche Ökofassaden spezialisiert ist. Geschäftsführer Sascha Haas erklärt, warum man sich mitunter für aufwändigere Methoden entscheidet.
Dabei werden durchgängige Blumentröge über die gesamte Fassadenbreite übereinander angeordnet. Erstens sieht man schneller ein Ergebnis als bei Efeu und Wein - und zweitens sei eine viel größere Vielfalt auch mit schönen bunten Blüten möglich, wenn man ein eigenes schmales Gerüst vor der eigentlichen Fassade aufbaut, anstatt Kletterpflanzen emporranken zu lassen.
Die grüne Wand vor der Mauer
Dabei wird ein Metallgerüst mit Pflanzentrögen montiert. Der Abstand zum Haus beträgt einige Zentimeter, damit das Mauerwerk gut belüftet bleibt. Vor Wind und Wetter ist es trotzdem geschützt. Ein positiver Effekt auf das Raumklima im Haus ist bemerkbar. In den Trögen finden sich Feuchtigkeitsmesser, und ein automatisches Bewässerungssystem sorgt dafür, dass die Pflanzen gerade so viel zusätzliche Feuchtigkeit zum Regen bekommen, wie unbedingt nötig ist.

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Die „zugewucherten“ MA48-Mitarbeiter leben den Jahreskreislauf der Pflanzen mit
Die Angestellten im Haus wirken mehr als angetan. Man hätte doch kommen sollen, als die Nelken noch geblüht haben, heißt es gegenüber den Besuchern. Mit spürbarer Begeisterung wird nachgeschossen: Aber die blühen schließlich heuer noch ein zweites Mal. Man lebe mit den Pflanzen vor dem Fenster im Jahreskreislauf mit - und mit den Tieren, die die Tröge bevölkern.
Der Aufwand ist enorm, aber schließlich handelt es sich um ein Prestigeprojekt. Einmal im Jahr müssen die Pflanzen zurückgeschnitten werden - per Hebebühne. Und der Prozess des Aufbaus und der Grünpflege in solchen Systemen wird von der Technischen Universität und der Universität für Bodenkultur (BOKU) wissenschaftlich begleitet.

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Der Eingangsbereich eines Hotels: Erdbeeren und Minze zieren die Wand
Grüne „Tapete“ für Innenwände
Erst nach und nach kommt man dahinter, welche Pflanzen sich dem System besser anpassen und welche schlechter. Ganz der Begrünung hat sich etwa das Boutique-Hotel Stadthalle verschrieben. Dessen Fassade wird nun begrünt - aber auch im Innenraum hat man sich von Gruenwand die Mauer im Eingangsbereich bepflanzen lassen, als Licht reichen LED-Lampen. Die Ursprungsbepflanzung hat nicht durchgehalten, erzählt Hotelangestellte Monika Haas. Mittlerweile hätten sich Erdbeeren und Minze bewährt. Wer das Hotel betritt, dem schlägt der entsprechende Duft entgegen.
Im Innenhof des Hotels wurde bereits vor 15 Jahren Efeu gepflanzt. Als zwischendurch die Innenfassade neu gemacht wurde, nahm man den Efeu herunter, riss ihn aber nicht aus und montierte ihn nach der Renovierung wieder komplett auf dem Haus. „Die Arbeiter haben geflucht“, lacht Haas. Im Hof sitzt ein älterer Herr aus Bayern. Er kommt seit einigen Jahren immer wieder auf Besuch und meint: „Das ist so eine Ruheoase hier, vor allem wegen der Pflanzen.“ Nun wird auch die Außenfassade ähnlich jener bei der MA48 begrünt.
Wilder Wein und Efeu
Büchl-Krammerstätter gefällt das 48er-Gebäude, aber sie sagt auch offen, dass ein solches vollautomatisiertes System für die komplette Fassade eines Privathauses wohl zu teuer käme. Ein bisschen etwas an Kosten erspart man sich zwar aufgrund der Dämmwirkung des Grüns, aber nach streng wirtschaftlichen Kriterien sei die Errichtung und Erhaltung wohl kaum rentabel. Für Private, bei Wohnungen und Einfamilienhäusern, gibt es jedoch ebenfalls Lösungen.

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Innenhöfe als grüne Oasen
Efeu und Wilder Wein sind immer eine Option. Früher hieß es, man ruiniert sich damit die Fassade - aber das stimmt nur bedingt. Wichtig ist, dass es vor der Bepflanzung keine Risse im Verputz gibt. Ideal ist eine Erdfläche auf dem Boden vor der Mauer, aber auch Tröge sind möglich. Man muss rund um Fenster und unter dem Dach regelmäßig zurückschneiden, damit die Pflanzen keinen Schaden anrichten können. Wilder Wein ist unproblematischer. Efeu schlägt seine kleinen Wurzeln in die Fassade - was aber erst dann zum Problem wird, wenn man ihn entfernen will.
Tröge als „Selbstversorger“
Und selbst für Private gibt es die aufwändigere Methode mit den Blumentrögen. Wolfgang Haas von der Firma Gebrüder Haas, zu der Gruenwand gehört, sagt, er hätte schon vertikale Kräutergärten für Einfamilienhäuser verkauft. Im Selbstbausystem kostet der Quadratmeter 450 Euro - es muss ja nicht die ganze Fassade sein. Es gibt auch eine Variante, die theoretisch ohne Pflege auskommt. Die Sedumpflanze kann bei Wüsten- und Hochgebirgsbedingungen überleben und kommt mit dem natürlichen Regenwasser aus, sie wuchert auch nicht. Nur nisten sich von selbst umherfliegende Samen in den Trögen ein. Dann kann es doch noch wuchern.
Über die tatsächliche Dämmleistung von grünen Fassaden ist das letzte Wort noch nicht gesprochen - es wird weiter geforscht. Der Haupteffekt allerdings ist sicherlich der Wohlfühlfaktor angesichts des üppigen Grüns. In einem Bauernhaus am Waldrand ist man darauf vielleicht nicht angewiesen. Das MA48-Haus ist auf der Höhe Matzleinsdorfer Platz am Wiener Gürtel aber eine dringend nötige Augenweide, genauso wie das begrünte Versicherungsgebäude auf der Adalbert-Stifter-Straße.

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Wohnen im Industriegebiet: Grün tut not
Grünblick in der Betonwüste
Auf dem Land gibt es ebenfalls Ecken, wo man für eine zusätzliche Begrünung dankbar ist. Im Industriegebiet von Hagenbrunn in Niederösterreich etwa wurden auf Montagehallen ehemalige Büroräume als Wohnungen adaptiert. Dort sind rundum die Wände begrünt worden, was den Freundlichkeitsfaktor der Umgebung deutlich erhöht.
In manchen Bundesländern wird das Begrünen von Fassaden bereits gefördert. Magistratsleiterin Büchl-Krammerstätter etwa nennt für Wien eine „Starthilfe“ in der Höhe von 2.200 Euro, plus kostenlose Beratung. Das Interesse steigt, sowohl bei institutionellen Gebäudebesitzern als auch bei Privaten. Nachteile haben die vertikalen Gärten jedenfalls nicht. Sie bieten einen Grünblick in der Betonwüste, Abhilfe für asphaltierte Hitzeinseln in den Innenstadtbezirken und ein Ökosystem, von dem viele Lebewesen profitieren.
Simon Hadler, ORF.at
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