Unkonventionelle Maßnahmen möglich
Angesichts der tiefen Rezession in der Euro-Zone fasst der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, eine weitere Zinssenkung und auch unkonventionelle Maßnahmen ins Auge.
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Die EZB habe im vorigen Jahr mit der Ankündigung eines Staatsanleihen-Ankaufprogramms stabilisierend gewirkt und könne noch mehr tun, sagte Draghi am Dienstag in Jerusalem. „Es gibt eine Reihe anderer Maßnahmen - seien es solche der orthodoxen Leitzinspolitik oder auch unkonventionelle -, die wir anwenden können und die wir auch anwenden werden, falls die Umstände es erfordern.“
Als weitere Maßnahme nannte Draghi etwa eine Änderung des Rahmens für Sicherheiten, die die Zentralbank für Refinanzierungsgeschäfte der Banken akzeptiert. Zudem könnte die EZB den Geldinstituten mehr Planungssicherheit geben, indem sie versichere, dass die Banken auf Refinanzierungsgeschäfte über einen „ausgedehnten Zeitraum“ zurückgreifen könnten.
Zinssenkung demnächst möglich?
Der Leitzins liegt derzeit auf dem historisch niedrigen Niveau von 0,5 Prozent. Draghi hatte bei der jüngsten Leitzinssenkung im Mai alle Optionen offengelassen. Der EZB-Rat habe ausführlich über unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen wie Strafzinsen für Banken, weitere Erleichterungen für Geldhäuser bei Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank und langfristige Liquiditätsspritzen debattiert, dann aber entschieden, sie nicht einzusetzen.
Nach der jüngsten Ratssitzung im Juni ließ Draghi weitere Optionen offen. Auf den Finanzmärkten wurden die Worte des EZB-Chefs damals so interpretiert, dass es allenfalls in ein paar Monaten und nur bei einer Verschlechterung der Wirtschaftslage zu einer weiteren Zinssenkung der EZB kommen werde.
EZB prüft negativen Einlagezins
Draghi betonte nun erneut, die EZB stehe bereit, bei Bedarf zu handeln. Sie prüft demnach die Einsatztauglichkeit eines negativen Einlagezinses, mit dem die Banken zur verstärkten Kreditvergabe angeregt werden könnten. Er habe zwar auf ungewollte Konsequenzen solcher Maßnahmen hingewiesen, so Draghi, das bedeute aber nicht, dass sie nicht eingesetzt werden sollten. Es gehe darum, sich über die Folgen im Klaren zu sein und sie „angemessen“ anzugehen. Nach der jüngsten Zinssitzung hatte Draghi gesagt, für einen negativen Einlagezins sehe die EZB keinen Handlungsbedarf.
Die Strafgebühr auf geparktes Geld bei der Zentralbank gilt als heißes Eisen. Momentan liegt der Einlagezins bei null Prozent. Mit einer Absenkung in den negativen Bereich würde sich die EZB auf sehr unsicheres Terrain wagen. Dänemark hat damit bereits Erfahrungen gemacht. Dort schlugen Banken die höheren Kosten auf die Kreditzinsen drauf. Ein solcher Effekt gilt für die Euro-Zone als kontraproduktiv, da die EZB ja gerade die Darlehensvergabe ankurbeln möchte.
Konjunktur bleibt Knackpunkt
Zugleich bereitet die konjunkturelle Talfahrt den Notenbankern Kopfzerbrechen. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte von Jänner bis März bereits das sechste Quartal in Folge - das hat es in der Geschichte der Währungsunion noch nicht gegeben. Spielraum für eine noch lockerere Geldpolitik bietet die Entspannung an der Preisfront. Die Inflationsrate soll in diesem Jahr nach Prognosen der EZB-Volkswirte im Schnitt auf 1,4 Prozent fallen. Damit würde es nach EZB-Definition stabile Preise geben, die sie bei Werten von knapp unter zwei Prozent gewährleistet sieht.
Die EZB habe noch „Handlungsspielraum“, an der Zinsschraube zu drehen, betonte jüngst EZB-Chefvolkswirt Peter Praet. Bundesbank-Chef Jens Weidmann warnt allerdings ausdrücklich vor einer langen Niedrigzinspolitik der Notenbanken weltweit, die Inflationsgefahren heraufbeschwören könnte. Und der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen bezeichnet eine Leitzinssenkung als stumpfes Schwert im Kampf gegen die Krise, da sie angesichts einer Kreditklemme im Süden des Währungsraums ohnehin nicht in der Güterwirtschaft ankomme.
Steven Scheer und Ari Rabinovitch, Reuters
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