Koalitionspartner kritisieren Alleingang
Die umstrittene Schließung des öffentlich-rechtlichen griechischen Senders ERT bringt auch die wackelige griechische Koalition unter Druck. Die Regierung kündigte für Montag eine Krisensitzung an. Umfangreiche Streiks lähmten am Donnerstag die öffentliche Verwaltung und den Personenverkehr in dem Land.
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Die Regierungskoalition soll am Montag über das weitere Vorgehen beraten, teilte das Amt von Ministerpräsident Antonis Samaras (Nea Dimokratia, ND) am Donnerstag mit. Die Schließung des Senders hatte in den vergangenen zwei Tagen zu Spannungen in der Koalitionsregierung geführt. Das Treffen war von den beiden kleineren Koalitionspartnern, der Sozialistischen Partei (PASOK) und der Partei der demokratischen Linken (DIMAR), verlangt worden.
Spekulationen über Neuwahlen
PASOK-Chef Evangelos Venizelos und DIMAR-Chef Fotis Kouvelis werfen Samaras vor, seine Kompetenzen überschritten zu haben. Entscheidungen solcher Tragweite wie die Schließung des öffentlich-rechtlichen Senders könnten nicht im Alleingang getroffen und in die Tat umgesetzt werden, monierten die beiden kleinen Koalitionspartner. Die Schließung der ERT war mit einem Ministerialerlass angeordnet worden, den nur die Minister unterzeichneten, die der ND von Samaras nahestehen.
In griechischen Medien gibt es Spekulationen, dass die Koalition auseinanderbrechen könnte. Einige Kommentatoren schlossen vorgezogene Wahlen nicht aus. Andere meinten, die beiden kleineren Regierungsparteien könnten sich aus der Koalition zurückziehen und Samaras mit einer Minderheitsregierung allein regieren lassen. Die drei Politiker würden einen gemeinsamen Weg finden, sagte Regierungssprecher Simos Kedikoglou am Donnerstag. „Wir sind schon einmal durch schwierige Momente gekommen.“ Ein ranghoher Regierungsvertreter sagte, Samaras sei zu einem offenen Gespräch bereit. Ob ein Kompromiss gefunden werden kann, wird sich zeigen. Samaras will an der Senderschließung grundsätzlich festhalten.
Fähren und Busse bestreikt
Unterdessen lähmten am Donnerstag umfangreiche Streiks die öffentliche Verwaltung und den Personenverkehr. Züge und Fähren stellten ihren Betrieb ein, staatliche Einrichtungen blieben geschlossen, Krankenhäuser hielten lediglich einen Notbetrieb aufrecht. In Athen blieben Busse in ihren Depots.
Wegen Solidaritätsaktionen erschienen einige Zeitungen nicht, Privatsender ersetzten Nachrichtenprogramme durch Serien. Zwar hatten Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen, aber Banken, Supermärkte, Geschäfte und Hotels blieben geöffnet. Auch U-Bahnen fuhren.
Demonstrationen vor ERT-Gebäude
Vor dem Zentralgebäude der ERT in der Athener Vorstadt Agia Paraskevi versammelten sich am Vormittag Tausende Demonstranten, um gegen die Schließung zu protestierten. „Hände weg“, riefen sie. Einige der laut Polizei rund 10.000 Demonstranten forderten den Rücktritt der Regierung. Der Präsident des Journalistenverbandes, Dimitris Trimis, kündigte an, die Redakteure würden so lange weiterstreiken, bis die Regierung ihren Beschluss zurücknehme. Wegen des Streiks sollen auch am Freitag keine Zeitungen erscheinen.

Reuters/Costas Baltas
Demonstranten vor dem ERT-Hauptgebäude
Zu den Streiks hatten die beiden größten Gewerkschaftsverbände des staatlichen und privaten Bereichs, ADEDY und GSEE, aufgerufen. Die Gewerkschaft für den Privatsektor (GSEE) bezeichnete die ERT-Schließung am Mittwoch als „Staatsstreich“. ADEDY verurteilte den „plötzlichen ERT-Tod per Dekret“. Ziel sei der „Abbau staatlicher Einrichtungen“ und die „Entlassung von 14.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes“.
Über Internet und Privatkanal weitergesendet
Trotz deroffiziellen Einstellung durch die Regierung setzte der Rundfunk am Donnerstag seine Sendungen auf anderen Kanälen fort. Am Dienstag waren die ERT-Mitarbeiter von der Ankündigung der Regierung zur Einstellung des Sendebetriebs überrascht worden. Die Mitarbeiter nutzten das Internet und den Privatkanal 902 der Kommunistischen Partei zur Übertragung einer Diskussion über das Ende der öffentlich-rechtlichen Sender.
Die ERT soll Ende August nach einer Sanierung wieder den Sendebetrieb aufnehmen, sagte Regierungssprecher Kedikoglou am Mittwoch in Athen. „Die ERT schließt nicht. Was schließt, ist ein in Schieflage und auf faule Fundamente gebautes ‚Bauwerk‘.“ Die neue griechische Hörfunk- und Fernsehanstalt solle nur noch etwa 1.200 Angestellte haben - statt bisher rund 2.600 - und NERIT heißen. Die neue Institution werde unabhängig sein. „In Europa gibt es keine Journalisten als Staatsbedienstete“, sagte der Regierungssprecher.
EU-Kommission verteidigt sich
Die EU-Kommission verteidigte sich am Mittwoch gegen Vorwürfe eines Spardiktats. „Die Kommission hat die Schließung von ERT nicht verlangt, aber die Kommission stellt auch nicht die Befugnis der griechischen Regierung infrage, den öffentlichen Sektor zu regeln“, so die Brüsseler Behörde am Mittwoch. Die Regierung des Krisenlandes sei zum Sparen gezwungen. Griechische Medien hatten den überraschenden Schritt auf den Druck der internationalen Geldgeber zurückgeführt.
Im Gegenzug für Hilfsgelder der EU, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat sich Griechenland zu Einsparungen verpflichtet, darunter auch Kürzungen im öffentlichen Sektor. Die Kommission betonte jedoch: „Wir möchten die Rolle der öffentlichen Rundfunkanstalten unter allen wirtschaftlichen Umständen herausstreichen, um der Medienvielfalt, der Medienfreiheit und Medienqualität willen und für den Ausdruck kultureller Vielfalt.“
ORF-Redakteursrat erklärt sich solidarisch
In einer Aussendung zeigte sich der ORF-Redakteursrat „bestürzt über die undemokratische Aktion der griechischen Regierung“ und solidarisch mit den Mitarbeitern des griechischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Als „barbarischen und antidemokratischen Akt“ bezeichnete ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz am Mittwoch die Schließung. Der Akt, der ohne öffentliche Diskussion erfolgt sei, sei „einmalig in der europäischen Geschichte, unverantwortlich und extrem unprofessionell“.
Der ORF-Publikumsrat kritisierte die Stilllegung in einem offenen Brief, der unter anderem an die griechische Botschaft in Wien und die österreichische Botschaft in Griechenland gehen soll. Darin fordert der Rat die griechische Regierung auf, die Schließung zurückzunehmen. Sie sei „eine Gefahr für den demokratischen Diskurs und die Pressefreiheit in Griechenland“. Auch die Europäische Rundfunkunion (EBU) kritisierte den Beschluss der Regierung in Athen.
Troika kontrolliert Sparmaßnahmen
Die Troika-Missionsleiter kontrollieren gerade die Umsetzung der bisherigen Auflagen, damit in den kommenden Wochen eine weitere Zahlung von 3,3 Milliarden Euro für das überschuldete Land freigegeben werden kann. Erst am Montag hatte Griechenland einen herben Rückschlag bei der Privatisierung von Unternehmen hinnehmen müssen, da es keinen einzigen Käufer für die Gasfirma DEPA auftreiben konnte. Laut jüngsten Zahlen vom Donnerstag liegt die Arbeitlosenrate in Griechenland bei 27,4 Prozent.
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