Zehntausende bangen um ihre Häuser
In Deutschland bricht die Flutwelle der Elbe immer neue Rekorde und lässt Deiche bersten. In Magdeburg mussten sich am Sonntag 23.500 Menschen vor den herannahenden Wassermassen in Sicherheit bringen. Auch die Stromversorgung in der Stadt war bedroht. Die gewaltige Flutwelle rollt nun auf Brandenburg und Norddeutschland zu.
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Zehntausende Menschen wissen nicht, wann sie zurück in ihre überschwemmten Häuser dürfen. Dazu kamen am Sonntag neue Unwetter: In Sachsen fielen extreme Mengen Regen und Hagel. Die Lage in Magdeburg war besonders kritisch, weil sich laut Hochwasserzentrale der Scheitel des Elbe-Hochwassers über eine Länge von 40 Kilometern erstreckte. Das sei der längste jemals in Deutschland gemessene Hochwasserscheitel. Die teils aufgeweichten Deiche würden dadurch mehrere Tage belastet.
Stadtteil „läuft voll wie Badewanne“
Die Elbe erreichte in Magdeburg am Sonntag einen noch viel höheren Stand als erwartet, und es wird Tage dauern, bis der Pegel deutlich sinkt. Rund 23.500 Bewohner in östlichen Stadtteilen sollten ihre Wohnungen verlassen. Am Samstag war bereits der Stadtteil Rothensee geräumt worden. „Rothensee läuft voll wie eine Badewanne“, sagte Bundeswehrsprecher Andre Sabzog.

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Einsatzkräfte kämpften um ein Umspannwerk, das für die Stromversorgung der Stadt wichtig ist. In aller Eile bauen sie noch einen Deich um das Gelände. Prognosen wagen sie nicht. Nur die Folgen sind bekannt: Wenn das Umspannwerk ausfällt, droht der Strom für Zehntausende Bürger wegzubleiben. Am späten Sonntagnachmittag sank der Pegel um rund zwei Zentimeter, wie das Landesamt für Hochwasserschutz mitteilte - ein erster Hoffnungsschimmer, aber lange noch keine Entspannung, hieß es.
Dammbruch bei Barby
„Wir müssen auf alles gefasst sein“, sagte Oberbürgermeister Lutz Trümper. Dramatisch zugespitzt hatte sich nach einem Dammbruch auch die Lage unweit von Barby, wo das Hochwasser der Saale auf das Hochwasser der Elbe trifft.
In der Chemiestadt Bitterfeld konnten hingegen 10.000 Bewohner in ihre Wohnungen zurückkehren, nachdem ein Deich abgedichtet wurde. Für Unruhe sorgte ein Schreiben, in dem Unbekannte mit Anschlägen auf Deiche drohten. „Wir nehmen das Bekennerschreiben ernst“, sagte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Die Deiche würden nun verstärkt überwacht.

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Tausende mussten ihre Häuser verlassen
Noch tagelanger Kampf in Brandenburg
In ganz Deutschland stemmen sich weiterhin rund 70.000 Feuerwehrleute und 11.000 Bundeswehrsoldaten gegen die Flut. Der deutsche Feuerwehrverbandspräsident Hans-Peter Kröger drohte Katastrophentouristen damit, auch sie zur Mithilfe zu verpflichten. Mindestens sieben Menschen starben, mehrere werden vermisst.
Nord-Brandenburg steht das Schlimmste noch bevor. In Wittenberge stand die Elbe am Sonntag mit 7,77 Metern schon knapp 35 Zentimeter höher als 2002. Am Dienstag werden 8,10 Meter erwartet. Lautsprecherwagen der Polizei forderten die Einwohner auf, ihre Wohnungen zu verlassen. Den Einsatzkräften stehe ein tagelanger Kampf bevor, hieß es.
Norddeutschland wartet noch auf die Wassermassen
In Norddeutschland hat sich die Hoffnung zerschlagen, diesmal glimpflich davonzukommen. Am Mittwoch und Donnerstag sollen Rekordwasserstände erreicht werden. Wegen des steigenden Pegels gingen in Hitzacker Ordnungsamtsmitarbeiter von Haus zu Haus und forderten die Anwohner auf, sich in Sicherheit zu bringen. Im Wendland wurden Freiwillige gesucht, die Sandsäcke befüllen. Einsatzkräfte stapelten Sandsäcke auf die Deiche. Die Bundeswehr schickte Soldaten zur Verstärkung.
Stinkender Schlamm und Sperrmüllberge
Sachsen hat das Schlimmste zwar schon überstanden, doch das Wasser sinkt nur langsam und drückt weiterhin auf die Deiche. Rund 13.000 Menschen sind nach wie vor von Evakuierungen betroffen. Unterdessen ging über Teilen des Landes ein heftiges Unwetter nieder, nach Angaben der Behörden lag der Hagel teilweise einen Meter hoch.
Für die Elbe soll das aber nicht gefährlich werden. Dort gingen die Aufräumarbeiten weiter. Hoteliers klagten über Stornierungen, selbst für den weit entfernten Sommerurlaub. Wo das Wasser schon wieder abfloss, blieben stinkender Schlamm und Sperrmüllberge zurück. Viele Anwohner zeigten sich fassungslos.
Enorme Schäden in Bayern
An der Donau ist das Hochwasser weitgehend überstanden - doch zurück bleiben Unmengen Schlamm. „Es ist eine stinkende Brühe“, sagte ein Stadtsprecher in Deggendorf. Bewohner schaufelten die Überreste der Flut aus ihren Häusern. Die Stadt schätzt den Schaden auf rund 500 Millionen Euro.
In einer Schule stapelten sich gespendete Kleidung, Schuhe und Zahnbürsten. Bäckereien brachten Kuchen. Die Anteilnahme sei unglaublich, sagte Schulleiter Robert Seif. „Die Flutkatastrophe schweißt die Menschen im Raum Deggendorf zusammen.“ Auch in Passau entspannte sich die Lage weiter.
Merkel verspricht Hilfe
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach am Samstag, man werde alles für den Wiederaufbau tun. „Deutschland steht in bewundernswerter Weise zusammen in diesen Tagen - und das soll auch so bleiben.“ Politiker forderten, Hochwasserschutzbauten schneller zu genehmigen und Vetomöglichkeiten zu begrenzen.
Bundespräsident Joachim Gauck sprach den Hochwasseropfern sein Mitgefühl aus. Er besuchte am Sonntag Hochwassergebiete an der Saale und Elbe. „Man kann sich nicht vorstellen, was da alles zu bewältigen ist“, sagte er. In der Marktkirche in Halle gedachte er gemeinsam mit Hunderten Menschen der Opfer der Flutkatastrophe, die ihr Leben oder ihr Hab und Gut verloren haben. Zugleich machte er den Menschen Mut: „Dass wir es wieder packen, das haben wir auch bei der Flut 2002 bewiesen.“
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