„Jede Glaubwürdigkeit verloren“
Die US-Geheimdienste greifen einem Zeitungsbericht zufolge zur Terrorabwehr nicht nur auf die Daten von Mobilfunknutzern, sondern direkt auch auf Millionen Nutzerdaten von Internetgiganten wie Google, Facebook und Apple zu und bespitzeln die Bürger damit weit mehr als bisher schon befürchtet.
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Das „Wall Street Journal“ berichtete, es gebe zudem ein drittes Spionageprogramm, bei dem die Transaktionen von Kreditkarten aufgenommen und ausgewertet würden. Offiziell gab es dazu vorerst weder eine Bestätigung noch ein Dementi.
Die Nationale Sicherheitsbehörde (National Security Agency, NSA) und die Bundespolizei FBI sammelten seit Jahren über die Computersysteme der Konzerne massenhaft E-Mails, Fotos, Videos, Dokumente und Audiodateien, hatte zuvor die „Washington Post“ berichtet. Google, Apple, Facebook, Microsoft, Yahoo, YouTube, AOL Skype und PalTalk sollen dabei im Rahmen des Programms Prism wissentlich mit FBI und NSA zusammenarbeiten.
Präsident Barack Obama kommt aufgrund der Datenaffäre immer stärker unter Druck - selbst die „New York Times“ („NYT“), stets ein Verteidiger Obamas, griff im Leitartikel Obama so frontal an wie noch nie: „Die Regierung hat jetzt all ihre Glaubwürdigkeit bei diesem Thema verloren.“ Jede Machtüberschreitung mit der Plattitüde der Terrorgefahr zu begründen funktioniere schon lange nicht mehr. Weder für das Ausspionieren der eigenen Bürger noch für die Tötung von Terrorverdächtigen ohne Gerichtsbeschluss oder die Inhaftierung von Menschen ohne Anklage im Gefangenenlager Guantanamo.
Regierung gesteht Spionageprogramm ein
Bespitzelt werden durch die Programme wohl vor allem Nicht-US-Bürger außerhalb der USA, womit auch Österreicher betroffen sein könnten. Der Leiter der US-Geheimdienste, James Clapper, räumte die Existenz von Prism ein, nannte aber keine Details. Mehrere der US-Internetfirmen wiesen den Vorwurf zurück, dem Geheimdienst nicht nur Daten zu liefern, sondern ihm auch direkten Zugriff auf ihre Server zu erlauben. Die „Washington Post“ erklärte indes, ihr Bericht werde durch NSA-Papiere gestützt. Entsprechende Seiten stellte sie ins Netz.
Nur Stunden zuvor hatte die Regierung unter Präsident Obama eingeräumt, Millionen Telefondaten privater Kunden zu sammeln. Auch das diene der Terrorabwehr, hatte es geheißen. Die Nachrichten werfen ein neues Schlaglicht auf Obamas Umgang mit der Privatsphäre der Bürger. Obama steht bereits in der Kritik, weil sich seine Regierung heimlich Telefondaten von Journalisten der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und zu E-Mails eines TV-Reporters des Senders Fox verschafft hatte. Das war ebenfalls mit US-Sicherheitsinteressen begründet worden.
„Sie sehen zu, wie Sie Gedanken formulieren“
Der „Washington Post“ wurden die Papiere zum bisher der Öffentlichkeit nicht bekannten Programm Prism nach eigenen Angaben von einem Geheimdienstmitarbeiter zugespielt. Dieser sei entsetzt gewesen über die Verletzung der Privatsphäre der Nutzer. „Die können im wahrsten Sinne des Wortes sehen, wie Sie beim Tippen Ihre Gedanken ausformulieren“, wurde der Insider zitiert. Die Daten ermöglichten es Behörden, Bewegungen und Kontakte einer Person über lange Zeit zu verfolgen. Ein Insider sagte, der US-Kongress habe Prism jüngst nach nicht öffentlichen „ausführlichen Anhörungen und Debatten“ verlängert.
Diffuse Behauptungen über Wichtigkeit
Der Zeitung zufolge wurde Prism 2007 unter Präsident George W. Bush gestartet und von seinem Nachfolger Obama ausgebaut. Die Erkenntnisse aus dem Programm seien inzwischen Grundlage für jeden siebenten Geheimdienstbericht. Der Zugang zu den Servern stelle heute die umfangreichste Quelle für die täglichen Berichte des Präsidenten dar. Diese hätten im vergangenen Jahr in 1.477 Einträgen Prism-Erkenntnisse zitiert.
Unklar ist allerdings - wie so oft bei behördlichen Angaben über die Effizienz von Überwachungsmaßnahmen -, wie wesentlich die Datenmasse für die Geheimdienstarbeit letztlich in den konkreten Einzelfällen ist. Dass Auswertungen in die Geheimdienstberichte einfließen, sagt mehr über interne Prozeduren als über den Gehalt der ausspionierten Daten aus.
Dropbox bald auch auf der Liste
Insgesamt sind der Zeitung zufolge neun Internetdienste eingebunden. Zunächst habe Microsoft 2007 teilgenommen. Apple habe sich fünf Jahre lang verweigert, sei dann aber beigetreten. Zu PalTalk hieß es, dieser eher kleinere Dienst sei während des „arabischen Frühlings“ und des Bürgerkriegs in Syrien rege genutzt worden. Der Onlinespeicherdienst DropBox solle „in Kürze“ dazustoßen. Twitter sei nicht auf der Liste.
US-Geheimdienstchef Clapper erklärte, der Bericht der Zeitung enthalte „zahlreiche Ungenauigkeiten“. Zugleich griff er die Autoren scharf an, bestätigte aber auch die Existenz von Prism: „Die ungenehmigte Veröffentlichung von Informationen über dieses wichtige und absolut rechtmäßige Programm ist verwerflich und riskiert den wichtigen Schutz der Sicherheit der Amerikaner.“
Apple: „Noch nie von Prism gehört“
Microsoft, Google, Apple, Facebook und Yahoo erklärten, man gewähre keiner offiziellen Stelle direkten Zugang zu Servern. Microsoft teilte mit, nur Anweisungen zu folgen, die sich auf „spezifische Nutzer oder identifizierende Merkmale“ bezögen. Bei Google hieß es, der Regierung sei nie eine Hintertür geöffnet worden. „Wir haben noch nie von Prism gehört“, sagte gar ein Apple-Sprecher. Wenn eine Regierungsstelle Zugang zu Nutzerdaten erhalten wolle, müsse sie eine richterliche Anordnung vorlegen.
Das deutsche Verbraucherschutzministerium erklärte, wenn die Berichte zuträfen, gäbe es offene Fragen an die Internetfirmen. Das Safe-Harbour-Abkommen zwischen EU und den USA regele, dass auf EU-Gebiet tätige US-Unternehmen das Datenschutzrecht des jeweiligen Landes einhalten müssten.
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