Fiskus entgehen Hunderte Millionen
In der Debatte über globale Steuertricks von Großkonzernen gerät nicht nur der weltgrößte Onlineversandhändler Amazon immer stärker in die Kritik. Google steht in Großbritannien ebenfalls unter Druck. Auch für Apple wird es ernst. Und auch die Kritik an deutschen Konzernen und ihrem Steuergebaren wird immer stärker.
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Hintergrund der Debatte sind die Schlupflöcher in der Steuergesetzgebung, mit denen sich die Unternehmen in ihrer Heimat arm rechnen können. Der Widerstand gegen dieses Finanzgebaren wächst zunehmend. Die OECD will in den nächsten Monaten einen Maßnahmenkatalog vorlegen, um die Steuertricks großer Konzerne zu erschweren.
Leere Staatskassen heizen Debatte an
Das Thema steht auch auf der Agenda der G-20-Staaten. Die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer treiben derzeit den Kampf gegen Steuerhinterziehung voran. Auch in der EU kommt deshalb nach jahrelanger Eiszeit Bewegung in die Debatte über Steuergesetze. In Zeiten leerer Staatskassen erhoffen sich die Regierungen durch einen härteren Kampf gegen Steuerhinterziehung mehr Einnahmen. Die Schätzungen über Verluste durch die Steuervermeidung gehen in die Hunderte Millionen, wenn nicht global sogar in die Milliarden.

Reuters/Francois Lenoir
Amazons Zweigstelle in Luxemburg
„Spiegel“: Deutsche „flüchten“ nach Belgien
Wie das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ jetzt auf seiner Webseite enthüllte, ist die Steuervermeidungspraxis auch bei deutschen Konzernen offenbar gang und gäbe. So nutzen laut dem Magazin der Automobilriese Volkswagen (VW) und die Chemie- bzw. Pharmaschwergewichte BASF und Bayer Steuerschlupflöcher in Belgien, um in Deutschland Steuern zu sparen.
Britische Konzerne mit Hunderten Auslandstöchtern
Laut Recherchen der britischen Zeitung „Guardian“ ist eine ähnliche Praxis auch bei britischen Konzernen üblich. So haben die 100 größten Unternehmen des Landes rund 8.000 Tochtergesellschaften bzw. Joint Ventures in Steueroasen, um ihre Gewinne am heimischen Fiskus vorbeizumanövrieren. Nur zwei der größten Unternehmen wenden diese Methode nicht an. Dafür haben laut „Guardian“ die drittgrößte britische Bank, Barclays, und der Einzelhandelsriese Tesco Hunderte dieser Gesellschaften in Steueroasen gegründet. Tesco ist die größte Handelskette in Großbritannien und die drittgrößte weltweit hinter dem US-Riesen Walmart und Metro.
Amazon lässt Emotionen hochgehen
Ausgelöst wurde die letzte Welle an Enthüllungen über die Großkonzerne durch den Fall Amazon. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters über die umfangreichen Finanztricks von Amazon in Großbritannien zog sich der Konzern den Zorn von Politikern zu. Das Unternehmen muss sich nun auf unbequeme Fragen vor einem Parlamentsausschuss gefasst machen. „Wir müssen Amazon ganz dringend noch einmal vorladen und sie mit all dem konfrontieren, was Sie enthüllt haben“, sagte die Vorsitzende des Ausschusses für Öffentliche Angelegenheiten im Unterhaus, Margaret Hodge, in Bezug auf die Reuters-Recherchen. Sollte sich herausstellen, dass Amazon bei einer früheren Anhörung das Parlament belogen habe, wäre das eine „sehr ernste Angelegenheit“.
Sieben Mio. Steuern bei fast 18 Mrd. Umsatz
Zugleich forderte Hodge die britischen Steuerbehörden auf, noch einmal genau zu prüfen, inwieweit Amazon wirklich alle Steuern gezahlt habe, die es nach geltendem Recht an das Königreich hätte entrichten müssen. In den vergangenen sechs Jahren hat Amazon in Großbritannien einen Umsatz von 23 Mrd. Dollar (rund 17,8 Mrd. Euro) gemacht und rund neun Mio. Dollar (rund sieben Mio. Euro) Steuern gezahlt.
Allein im vergangenen Jahr zahlte der US-Konzern bei einem Umsatz von 4,7 Mrd. Euro in Großbritannien nur 2,9 Mio. Euro Steuern. Amazon-Spitzenmanager Andrew Cecil erklärte bei einer ersten Anhörung im November, dass das britische Amazon-Geschäft nicht eigenständig sei und alle wichtigen Entscheidungen am Firmensitz in Luxemburg gefällt würden. Das sei der Grund, weshalb Amazon vor allem dort Steuern abführe. In Luxemburg gelten deutlich niedrigere Steuersätze.
Zwei Milliarden für die „Kriegskassa“
Nach den Reuters-Recherchen ist es Amazon.com gelungen, mit Hilfe seiner Luxemburger Firmenkonstruktion rund zwei Mrd. Dollar steuerfrei beiseitezulegen - Geld, das nun für die Expansion der Firma genutzt wird. Aus Amazon-Mitteilungen, Stellenausschreibungen sowie Schilderungen ehemaliger Amazon-Mitarbeiter und Zulieferer geht hervor, dass die britische Sparte Amazon.co.uk Ltd. alles andere als eine virtuelle Zweigstelle des globalen Konzerns ist und über recht ähnliche Strukturen wie gewöhnliche Einzelhändler verfügt - nur mit dem Unterschied, dass diese deutlich mehr Steuern zahlen.
Parlamentsmitglied John Hemming von den Liberaldemokraten sagte, die Zahlen belegten, dass das gegenwärtige Regelwerk nichts tauge, um die Steuerverschiebung der Großkonzerne zu unterbinden. Der Abgeordnete Nick Smith von der Labour-Partei forderte, die Steuerpolitik Amazons zu durchleuchten.
Auch Google muss Rede und Antwort stehen
Auf den Internetkonzern Google wächst ebenfalls der Druck wegen seiner Steuerpraxis in Großbritannien. Nachdem durch Reuters-Recherchen weitere Unregelmäßigkeiten aufgedeckt wurden, musste Googles Nordeuropachef Matt Brittin am Donnerstag vor einem Parlamentsausschuss Rede und Antwort stehen. Dabei ging es um mögliche Falschaussagen vor dem Parlament im vergangenen Jahr.
Reuters hatte aufgedeckt, dass Google in London Verkaufsmitarbeiter anstellte, obwohl der Konzern zuletzt im November bekräftigte, von dort aus keine Akquise bei britischen Kunden zu betreiben. Dadurch wären höhere Abgaben angefallen. Von 2006 bis 2011 setzten die Amerikaner 18 Milliarden Dollar in Großbritannien um, zahlten jedoch nur 16 Millionen Dollar an Steuern.
„Sei nicht böse“
Brittin sagte, er sei sich sicher, dass Google gegen keine Gesetze verstoßen habe. Zugleich räumte er aber ein, dass doch Mitarbeiter in London im Verkauf gearbeitet hätten. Diese hätten aber keine Abschlüsse vorgenommen. Die Abgeordneten reagierten gereizt. Die Parlamentsausschussvorsitzende Hodge kritisierte, dass Google sich nicht an sein eigenes Motto „Sei nicht böse“ (Don’t be evil) hält. Der Konservative Stephen Barclay sagte, die Argumente Brittins zögen bei ihm nicht.
Stimmung kippt auch in den USA
Auch andere global agierende Konzerne wie der Kaffeeriese Starbucks nutzen Schlupflöcher in Europa, um sich in ihrer Heimat arm zu rechnen. Der Widerstand gegen dieses Finanzgebaren wächst nicht nur in Europa - schließlich werden die Amazon-Waren über Straßen transportiert, für die andere Steuern bezahlt haben. Auch in den USA wird der Ton rauer. So spricht der demokratische US-Senator Carl Levin offen von „Tricksereien“.
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