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Druck auf nationale Textilindustrie steigt

Die Zahl der Toten nach dem Einsturz eines Fabriksgebäudes in Bangladesch ist auf mehr als 500 gestiegen. Bis Samstag wurden nach offiziellen Angaben über 540 Leichen aus den Trümmern des einst achtstöckigen Fabriks- und Geschäftsgebäudes im Industriegebiet Savar vor den Toren der Hauptstadt Dhaka geborgen.

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Die Suche gehe weiter, bis der letzte Mensch gefunden worden sei, sagte der Leiter der Bergungsoperation, Hasan Suhrawardy, am Freitag. Am Rande des riesigen Schutthaufens, den Bagger nun schichtweise abtragen, warteten auch neun Tage nach dem Unglück noch Dutzende Menschen mit Fotos von Vermissten auf die Bergung ihrer Angehörigen. Wie lange die Räumung der Trümmer mit schwerem Gerät noch dauern könnte, vermochte Suhrawardy neun Tage nach dem Unglück noch nicht abzuschätzen. „Je weiter wir durch den Schutt graben, desto mehr Leichen von Vermissten finden wir“, sagte er.

Stromausfall als Ursache?

Am Mittwoch hatte eine von der Polizei erstellte Vermisstenliste noch 149 Namen umfasst, eine aktuelle Zahl war nicht verfügbar. Fix war nur: 2.437 Menschen überlebten die Katastrophe im „Rana Plaza“, die als das schlimmste Fabriksunglück in der Geschichte des Landes gilt. Am Freitag drangen laut BBC durch Ermittlerangaben erste Hinweise auf die Ursache der Katastrophe ans Licht: Der Hauseinsturz könnte mit vier Generatoren in Zusammenhang stehen. Ein Stromausfall habe Tausende Nähmaschinen auf einen Schlag zum Stillstand gebracht. Als die Generatoren und unzähligen Nähmaschinen auf einen Schlag wieder ansprangen, könnte das so starke Vibrationen ausgelöst haben, dass das baufällige Haus einstürzte.

Rettungsarbeiter mit Bagger zwischen den Haustrümmern

Reuters/Andrew Biraj

Eineinhalb Wochen nach dem Einsturz werden noch immer Leichen geborgen

Obere Etagen ohne Genehmigung errichtet

Weitere brisante Einzelheiten drangen infolge der polizeilichen Befragung des Hausbesitzers zutage: Nach Informationen der Zeitung „Daily Star“ aus Bangladesch gab Besitzer Sohel Rana zu, die oberen Etagen des achtstöckigen Hauses ohne Genehmigung errichtet zu haben. Auch sei ein neuntes Stockwerk gerade im Bau gewesen. Rana und sein Vater hätten außerdem weder das Material noch den Bau überprüft, schrieb die Zeitung weiter. Weiters sei ein Ingenieur festgenommen worden, der nach dem Auftreten von Rissen am Tag vor dem Einsturz gesagt haben soll, das Gebäude sei sicher.

Auf Industriezweig angewiesen

Bangladesch steht unter Druck, bei der Textilproduktion internationale Standards einzuhalten. Die Kleidungsindustrie ist die wichtigste des Landes und macht fast 80 Prozent der Exporteinnahmen aus - die meisten Ausfuhren gehen nach Europa.

Bangladeschs Verband der Textilproduzenten und -exporteure versprach, möglichst schnell eine Liste der Arbeiter zu erstellen, die am Unglückstag in dem Gebäude waren. Und der Druck auf die Produzenten ist groß: Die Kleidungsfabrikanten des Landes fürchten nun, dass sich die westlichen Auftraggeber aus Bangladesch verabschieden könnten, wie Atiqul Islam, Chef des Verbandes der Textilproduzenten und -exporteure (BGMEA), am Freitag sagte. Deswegen müssten alle 3.500 Mitglieder des Verbandes ihre Baupläne zur Prüfung vorlegen.

„Kann überall passieren“

Für Irritationen sorgten am Freitag die Aussagen des bangladeschischen Finanzministers Abul Maal Abdul Muhith, der den Hauseinsturz mit über 500 Toten herunterspielte. „Die gegenwärtigen Schwierigkeiten“ seien „nicht wirklich ernst“, schließlich sei es ein Unfall gewesen. Zudem seien „aufwendige Schritte“ gesetzt worden, die „sicherstellen“, dass so etwas zukünftig verhindert werden könne. Auf die Frage, ob er sich Sorgen mache, dass ausländische Händler nun Bestellungen aus seinem Land zurückziehen würden, fand er eine klare Antwort: „Nein“, schließlich seinen solche Einstürze Einzelfälle, und Unfälle würden „überall passieren“.

Kritik an Kleidungskonzernen

Unterdessen erneuerte die Clean-Clothes-Kampagne ihre Kritik an den Produktionsbedingungen von Textilien für internationale Konzerne in Bangladesch. „Auch für den österreichischen Markt wichtige Firmen wie Benetton, Mango und Primark ließen in den Fabriken produzieren“, hieß es am Freitag in einer Aussendung. Es sollten schnellstens Unterstützungsmaßnahmen sowie verbindliche Brand- und Gebäudeschutzvorschriften ausgehandelt werden.

Zuletzt erhoben die Aktivisten Vorwürfe gegen den Textildiscounter Kik. „Es zeichnet sich ab, dass Kik innerhalb von nur acht Monaten ein drittes Mal in ein schweres Unglück in einer Textilfabrik involviert ist“, hieß es in einer Mitteilung der Clean-Clothes-Kampagne vom Donnerstag. Das kritisierte Unternehmen wies jegliche Verantwortung an dem Unglück zurück. Seit 2008 hätten keine „direkten Geschäftsbeziehungen“ zwischen Kik und den im „Rana Plaza“ ansässigen Lieferanten mehr bestanden.

Arbeiter zur Rückkehr gezwungen

Seit dem Unglück in Savar wurden bisher zwölf Menschen festgenommen. Neben dem Besitzer des eingestürzten Gebäudes auch einige Ingenieure. Zuletzt wurde am Donnerstagabend der Ingenieur festgenommen, der das Gebäude am Vortag des Unglücks für sicher erklärt haben soll. Arbeiter hatten nach dem Unglück berichtet, das Gebäude sei nach der Entdeckung von Rissen am Vortag evakuiert worden, doch seien sie zur Rückkehr gezwungen worden.

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