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„Zog nit keynmol“

Bis zu einer halben Million Juden wurden zwischen 1940 und 1943 auf einer Fläche von drei Quadratkilometern in das Warschauer Ghetto gepfercht. Vor 70 Jahren erhoben sich Hunderte Juden zum größten Aufstand gegen die Nazis. Polen erinnert nun an die Courage der Widerstandskämpfer.

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Die Hymne für den Aufstand im Warschauer Ghetto „Zog nit keynmol“ („Sag niemals“) erklang bei der offiziellen Gedenkfeier in Warschau. In ganz Polen wurde mit Sirenen und Kirchenglocken des jüdischen Aufstands gedacht.

Jüdische Frauen und Kinder im Warschauer Ghetto

AP

Nach Niederschlagung des Aufstands im Mai 1943 wurden die Menschen in das Konzentrationslager Treblinka deportiert

Wenige tausend überlebten

Allein zwischen Juli und September 1942 wurden über 265.000 Juden aus dem Ghetto in Gaskammern ermordet. Die auf engstem Raum lebenden Menschen waren erschöpft, durch Krankheit und Hunger geschwächt. Die Aufständischen waren den deutschen Truppen in jeder Hinsicht unterlegen. Gerüchte über das grauenhafte Schicksal Einzelner drangen ins Ghetto, aber die Menschen glaubten sie oft einfach nicht. Noch gegen Ende 1942 überstieg die als „Endlösung der Judenfrage“ bezeichnete Vernichtung sämtlichen jüdischen Lebens die Vorstellungskraft vieler.

Karte des Warschauer Ghettos

Lihagen unter cc by-sa

Die Karte aus dem Jahr 1940 zeigt das Warschauer Ghetto mit dem „Haupt-Ghetto“ (gelb), den Fabriken (grün und blau) sowie dem „Umschlagplatz“ (rosa), dem Bahnhof, von dem die Juden deportiert wurden

Zwischen Resignation, Wut und Verzweiflung mobilisierten die Menschen ihre letzten Kräfte zu einem Widerstandskampf. Am 19. April 1943 fielen die ersten Schüsse im Aufstand gegen die SS-Einheiten. Nach mehreren Wochen endete der verzweifelte Kampf gegen die Deutschen am 16. Mai. Innerhalb von vier Wochen forderten die Gefechte 12.000 Opfer, weitere 30.000 Menschen wurden im Zuge der Zerstörung des gesamten Ghetto-Geländes erschossen. Etwa 7.000 Überlebende wurden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Wenige tausend überlebten auch das, nur einigen wenigen gelang die Flucht aus dem Ghetto.

Anklage gegen Gleichgültigkeit der Welt

Bei der Gedenkfeier würdigte der polnische Präsident Bronislaw Komorowski den Aufstand als „heroischen Kampf um Menschenwürde und Menschenrecht“. Der Aufstand sei auch eine „Anklage gegen die Gleichgültigkeit der freien Welt“, gewesen, sagte Komorowski am Freitag auf der zentralen Gedenkfeier am Denkmal der Ghetto-Kämpfer in Warschau. Von dort deportierten die Nationalsozialisten mehr als 300.000 Juden mit Zügen in die Gaskammern des Vernichtungslagers Treblinka.

Polens Präsident Bronislaw Komorowski und Ghetto-Überlebender Simha Rotem

AP/Alik Keplicz

Ghetto-Aufständischer und Ehrengast Simcha „Kazik“ Ratajzer-Rot mit dem polnischen Staatspräsident Bronislaw Komorowski

„Überlebende noch unter uns“

„Noch immer sind einige unter uns, die damals gekämpft haben“, sagte der polnische Großrabbiner Michael Schudrich der Nachrichtenagentur AFP vor einer weiteren Gedenkfeier in der Nozyk-Synagoge, bei der Überlebende mit Polen zusammentrafen, die während des Holocausts Juden vor den Nazis versteckt hatten. „Es ist unsere Pflicht, ihnen die Ehre zu erweisen und zu danken, solange wir sie noch sehen und hören können“, mahnte Schudrich.

Zu den Ehrengästen der Feierlichkeiten zählten Ghetto-Überlebende wie Simcha „Kazik“ Ratajzer-Rot, einer der wenigen noch lebenden Widerstandskämpfer. Der 89-Jährige lebt heute in Israel. Unter den Staatsgästen waren zudem der israelische Bildungsminister Schai Piron, der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, und die deutsche Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth.

Ein Monat im Zeichen des Aufstands

Die polnische Hauptstadt steht einen Monat lang im Zeichen des Widerstands und macht das jüdische Leben sichtbar. Bis zum 16. Mai läuft im Museum der Geschichte der polnischen Juden eine Film- und Vortragsreihe, die dem Aufstand und den Menschen im Warschauer Ghetto gewidmet ist. Sonntagabend werden etwa 3.500 Menschen zu einer Menschenkette entlang des Verlaufs der einstigen Ghetto-Mauer erwartet.

Das zerstörte Warschauer Ghetto

AP

Am 16. Mai 1943 wurde das Ghetto von den Nazis vollständig zerstört

Offizielle Zahlen zur jüdischen Bevölkerung in Polen gibt es nicht. Schätzungen zufolge waren es im Jahr 2000 zwischen 8.000 bis 12.000 Menschen - die meisten in Warschau, Breslau und Bielsko-Biala. Wesentlich mehr, etwa 100.000, sind es laut Angaben des Moses Schorr Centre in Warschau, das die vielen in Polen lebenden nicht religiösen Juden mitzählt.

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