Ministerium sieht Gesprächsbedarf
Zwischen Medizinern und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gehen die Meinungen betreffend Nutzen und Risiken der Substitutionstherapie für Drogenkranke weit auseinander. Die Ministerin sprach sich am Mittwoch für eine „Evaluierung“ und einen „breiten Diskurs“ aus, sieht die Verordnung von Morphinen aber weiter als Problem an.
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Suchtexperten weisen die Kritik zurück und sprechen von einem erfolgreichen Weg. Die Substitutionstherapie senke die Sterblichkeitsrate bei Opiatabhängigen um zwei Drittel und reduziere auch die Drogenkriminalität, hieß es am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien von Expertenseite. Deshalb habe der österreichische Weg auch eine Vorbildwirkung für Deutschland und die Schweiz.
Wenn Opiatabhängigkeit (mit intravenösem Konsum, Anm.) „eine Krankheit ist, kann man nicht nur mit einem Medikament behandeln. (...) Da kann man nicht sagen, man erlaubt nur eines und verbietet ein anderes. Damit gefährdet man die Qualität der Behandlung“, sagte Alfred Springer, als Experte vor rund 25 Jahren federführend an der Etablierung des österreichischen Substitutionsprogramms beteiligt.
„Wir Ärzte behandeln unsere Patienten“
Man benötige eine individuelle Therapie, jedes der Medikamente habe ein unterschiedliches Wirkungs- bzw. Nebenwirkungsprofil. Der Experte nannte als Beispiele die Medikamente Buprenorphin, Methadon und retardierte Morphine - allesamt Substanzen, die Entzugserscheinungen abschwächen.
„Wir fordern die Politik auf, sich um Schwarzmarkt und Beschaffungskriminalität zu kümmern, während wir Ärzte unsere Patienten behandeln“, sagte Norbert Jachimowicz, Referent für Substitutionsfragen in der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Der Leiter des Referats für Substitution und Drogentherapie der Wiener Ärztekammer, Hans Haltmayer, strich die Erfolge des Therapieansatzes hervor: „Die Substitutionsbehandlung ist die Therapie der ersten Wahl für Opiatabhängige.“
Die Kosten-Nutzen-Rechnung der Ärzte
Von bis zu 34.000 Opiatabhängigen würden mehr als die Hälfte in entsprechenden Programmen behandelt. Das verhindere Infektionen mit dem HI-Virus (durch die Weitergabe von Spritzen, Anm.) ebenso wie mit Hepatitis B und C und drücke außerdem die Beschaffungskriminalität. Die Mortalitätsrate sinke um zwei Drittel - und: Die Substitutionstherapie bedeute auch eine enorme Kostenersparnis. „Jeder in die Behandlung investierte Euro erspart dem Gesundheitswesen zwölf Euro. Hundert Euro täglicher Haftkosten stehen rund fünf Euro an Medikamentenkosten gegenüber“, so Haltmayer.
Ministerium ortet Schwarzmarktproblem
Trotz der Kosten-Nutzen-Rechnung aus Ärztesicht bleibt Mikl-Leitner in einigen Punkten skeptisch. Ihr Ministerium sei sich „der Verantwortung und Verpflichtung auf dem Gebiet der Prävention, auch beim Suchtmittelmissbrauch, voll und ganz bewusst“, so die Ressortchefin in einer Aussendung. Es könne aber „nicht sein, dass diese Verantwortung nur auf den Schultern des Innenressorts lastet. Ich erwarte, dass sich auch die anderen zuständigen Stellen ihrer Verantwortung und Verpflichtung bewusst sind und diese auch wahrnehmen.“
Die Ministerin begrüßte, dass „nach eineinhalbjährigen Bemühungen des Innenministeriums“ nun „eine breite Diskussion“ zustande gekommen sei, ortet aber weiter dringenden Gesprächsbedarf mit dem Gesundheitsministerium.
Polizei: „Augen nicht verschließen“
Mikl-Leitner verwies darauf, dass „in den meisten europäischen Ländern“ retardierte Morphine nicht zugelassen seien. Trotzdem gebe es dort „bessere Therapieergebnisse als in Österreich“, etwa in Deutschland. Außerdem führe der „überproportional hohe Einsatz“ von retardierten Morphinen „in Österreich zu einem regen Handel auf dem Schwarzmarkt“, was ein „österreichisches Phänomen“ sei. „Das ist aber hausgemacht und in Europa einzigartig.“
Aussagen des Wiener Drogenkoordinators Michael Dressel, wonach nur ein minimaler Bruchteil der verordneten Medikamente später von der Polizei sichergestellt werde, widersprach der Direktor des Bundeskriminalamts (BK), Franz Lang. Die Sicherstellung von Tausenden Substitoltabletten sei „kein Anlass, die Augen in diesem Bereich zu verschließen“. Mikl-Leitner sprach sich prinzipiell dafür aus, als Begleitmaßnahme das Angebot an psychosozialer Betreuung für Drogenkranke auszubauen.
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