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Beitritt ohne Korkenknallen

Am 1. Juli wird Kroatien als 28. Mitglied feierlich in der Europäischen Union (EU) begrüßt. Ein Beitritt durchaus mit Symbolcharakter: Kroatien ist das erste Land nach der Wirtschaftskrise, das sich der Union anschließt. Und es ist auch das erste Mitgliedsland, das die EU vermutlich als wenig attraktiven Partner kennenlernen wird.

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Die EU hat schon bessere Tage gesehen: Griechenland wurde gerade noch vor dem Bankrott gerettet, Zyperns Banken drohen das ganze Land in den Abgrund zu reißen, und Italien und Spanien stöhnen unter Sparprogrammen. Sogar in Großbritannien - seit 1973 EU-Mitglied - wird immer wieder laut über einen Austritt aus der Union diskutiert. Da verwundert es fast, dass Kroatien überhaupt noch an einen Beitritt denkt.

„Besser im Club als alleine“

„Es ist besser, im Club zu sein als alleine – auch wenn der Club vielleicht gerade einige Probleme hat“, zeigte sich der kroatische Premier Zoran Milanovic in einem „Spiegel“-Interview vom kroatischen Weg überzeugt. Schließlich brauchte das Land einen langen Atem, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Schon als sich Kroatien 1991 von Jugoslawien lossagte, sah es seine Zukunft in Europa, doch die Balkan-Kriege machten diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Erst 2004 wurde Zagrebs Ansuchen um Mitgliedschaft angenommen.

Einkaufsgasse in Dubrovnik

Corbis/Hemis/Sylvain Sonnet

Kroatien ist als Urlaubsdestination heiß begehrt - Investoren jedoch zögern

Es dauerte weitere sieben Jahre, bis das Land die von der EU verlangten Reformen so weit umgesetzt hatte, dass es 2011 grünes Licht für einen Beitritt erhielt. Zu Verzögerungen kam es auch, weil Nachbar Slowenien die Verhandlungen wegen Grenzstreitigkeiten monatelang blockierte. In der Bevölkerung war der Weg hin zu einem gemeinsamen Europa längst bereitet: 2012 stimmten 60 Prozent der Kroaten für den Beitritt. Im März 2013 stimmte dann auch die EU-Kommission offiziell zu.

„Ein Auge zugedrückt“

„Es geht hier vor allem um eine politische Signalsetzung“, erklärt Hermine Vidovic vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Kroatien gilt als Vorbild für die Beitrittsverhandlungen mit anderen Balkan-Ländern wie Serbien, Montenegro und Mazedonien. Da habe man vielleicht auch ein Auge zugedrückt, so Vidovic gegenüber ORF.at mit Verweis auf den im EU-Monitoringbericht erwähnten Reformbedarf im Bereich Justizwesen und Korruptionsbekämpfung.

Auch sei der Zeitpunkt alles andere als ideal, glaubt Vidovic. „Die EU ist mit eigenen Problemen beschäftigt“, so Vidovic. „Kroatien hat mit den Verhandlungen begonnen, als die Krise noch nicht da war und die Situation eine völlig andere.“ Der Wunsch nach neuen Beitrittskandidaten sei heute viel gedämpfter. „Kroatien wird nicht unmittelbar vom Beitritt profitieren können, wie es die anderen Ländern sehr gut konnten“, so Vidovic.

EU-Gelder werden nicht abgeholt

In Kroatien werden die warnenden Stimmen gerne überhört. Immer wieder wird betont, dass mit dem Beitritt auch dringend benötigte Investitionen in das Land fließen würden. „Die nächsten zehn Jahren werden wir doppelt so viel Geld bekommen, wie wir einzahlen. Damit haben wir eine ganze Generation lang Zeit, zum Rest von Europa aufzuschließen", sagte Premier Milanovic und hat damit nicht unrecht - theoretisch. Ab dem Beitrittszeitpunkt stehen Kroatien 650 Millionen Euro aus dem EU-Topf zu, ab 2014 sogar rund eine Milliarde Euro.

„EU hat zu lange weggeschaut“

Doch diese Gelder müssen erst einmal abgeholt werden. Denn die EU verteilt das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern die Mitglieder müssen förderungswürdige Projekte vorlegen - und daran scheitert es in Kroatien oft. Schon in der Zeit als Beitrittskandidat standen Kroatien 668 Mio. Euro zur Verfügung, doch von 2007 bis 2011 wurden nur 42 Prozent oder 276 Mio. Euro auch tatsächlich genützt. Viele der Projekte wurden einfach nicht zeitgerecht vorbereitet.

„In Kroatien wird viel von Potenzial geredet, aber mit der EU kommt die reale Welt“, erklärt Roman Rauch, Wirtschaftsdelegierter im österreichischen AußenwirtschaftsCenter Zagreb, und plötzlich werde „genau abgeklopft, ob die Projekte auch realisierbar sind.“ Und darauf sei Kroatien sehr schlecht vorbereitet. Auch werde Kroatien nach Ansicht des Wirtschaftsexperten das erste Beitrittsland sein, das keinen Investitionsboom erleben wird. Die Schuld sieht Rauch auch bei der EU: „Man hat zu lange weggeschaut.“

Gesunde Banken, kranke Wirtschaft

Dabei kann Kroatien durchaus auch auf positive Entwicklungen verweisen. So ist der Bankensektor des Vier-Millionen-Einwohner-Staates durchaus stabil. „Kroatien war nie eine Finanzoase oder ein Bankenland wie Zypern oder Luxemburg“, erklärt Rauch. Bei Geldgeschäften seien die Kroaten vergleichsweise konservativ, wodurch Spekulationsblasen kaum zu erwarten seien.

Auf der anderen Seite liegt die kroatische Wirtschaft völlig am Boden. Seit vier Jahren steckt das Land in einer tiefen Rezession, im Dezember 2012 setzte die US-Ratingagentur Standard & Poor’s das Land auf Ramschniveau. Die Menschen sind verunsichert, was sich auch am sinkenden Privatkonsum zeigt. Die Arbeitslosenrate stieg zuletzt auf 18 Prozent, unter den Jungen sogar auf über 40 Prozent. Und es dürfte noch schlimmer kommen, denn noch sitzt Kroatien auf einem aufgeblähten Staatsapparat - und spätestens mit dem EU-Beitritt drohen hier Kündigungswellen.

Gut Ausgebildete verlassen das Land

„Dennoch herrscht die irrationale Hoffnung vor, dass es durch die EU besser wird, nach dem Motto ‚Schlimmer kann es nicht mehr werden‘“, beschreibt Rauch die Stimmung in Kroatien. Vor allem bei den junge Menschen sei der durch den Beitritt stark wachsende Arbeitsmarkt ein großes Thema, so Rauch. Doch große Verbesserungen seien nicht zu erwarten: „Gut Ausgebildete arbeiten schon jetzt im Ausland und werden auch künftig kaum Probleme bei der Jobsuche haben.“ Vielmehr werde sich die Regierung extrem anstrengen müssen, diese Leute im Land zu halten.

Für alle anderen sehe es hingegen schlecht aus. Einige EU-Länder hätten bereits angekündigt, den Arbeitsmarkt vorerst nicht für den EU-Neuling öffnen zu wollen, warnt Rauch. Viele Klein- und Mittelbetriebe würden die EU-Anforderungen nur schwer erfüllen können und hätten nach dem Beitritt „keine Überlebenschancen“, so Rauch. „Die Probleme werden im Land zwar offen angesprochen, Rezepte gibt es aber keine.“

Kroatischen Partnern mit „Respekt“ begegnen

Doch es gibt auch positive Beispiele. Rund 700 heimische Firmen haben bereits den Sprung nach Kroatien gewagt, eine davon ist die Hörgerätefirma Neuroth. Nach einem ersten missglückten Versuch 1999 kehrte man 2010 zurück - aber diesmal deutlich besser vorbereitet. Gemeinsam mit lokalen Partnern habe man sich die wirtschaftliche und rechtliche Situation sehr genau angesehen und sich sorgfältig darauf vorbereitet, erzählt Svijetlana Podlesnik, Geschäftsführerin von Neuroth Kroatien, gegenüber ORF.at.

Ein Schlüsselfaktor sei auch die Auswahl der richtigen Mitarbeiter bis hinauf ins Management. Der Vorteil für Investoren und Anleger sei, dass man hier auf „sehr qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zurückgreifen kann“, so Podlesnik. Neueinsteigern auf dem kroatischen Markt rät sie, sich sehr gut vorzubereiten, aber den kroatischen Partnern auch respektvoll zu begegnen. Vom EU-Beitritt erwartet sich Neuroth weitere Erleichterungen durch die Übernahme von EU-Standards. Doch schon jetzt ist das Unternehmen mit der bisherigen Entwicklung sehr zufrieden.

Gabi Greiner, ORF.at

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