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Konzertsaal als Kampfarena

Es wäre schon ein Wunder, wenn am Freitag im Wiener Musikverein die Wiederholung jenes Konzerts, das am 31. März 1913 ebendort stattfand, den Skandal auslösen würde, zu dem es vor 100 Jahren führte. Inzwischen hat sich das Ohr an die damals neuartige Klangsprache gewöhnt, inzwischen gehören die aufgeführten Werke zum Kanon, inzwischen ist das Publikum gegen musikalische Provokation immun.

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In der Tat ist es heute nicht leicht nachvollziehbar, was die Besucher des als „Watschenkonzert“ in die Geschichte eingegangenen Abends unter der Leitung des Komponisten Arnold Schönberg so auf die Palme brachte, dass sie sich zu tumultartigen Störungen und Ausschreitungen hinreißen ließen und den Konzertsaal in eine Kampfarena verwandelten. Offenbar empfanden sie die dargebotene Musik als so bedrohlich, dass sie deren Anhänger selbst bedrohten, ihnen eine Schlägerei lieferten und den vorzeitigen Abbruch des Konzerts erzwangen.

Plakat aus dem Jahr 1913 zu einem Orchesterkonzert im Wiener Musikverein mit Arnold Schönberg als Dirigenten

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Das Konzertplakat von 1913

„Musikalische Wüsteneien“

„Ja, das war eine Geschichte, ein schrecklicher Skandal. Watschen, Raufereien, entsetzlich“, schrieb der Schönberg-Schüler Anton Webern, dessen „Sechs Stücke für Orchester, op. 6“ als erster Programmpunkt des Skandalkonzerts uraufgeführt und bereits von lautem Lachen, Zischen und Pfeifen begleitet wurden. Als Komplizen wussten jene, die wohl schon in Erwartung einer besonderen „Hetz“ in das Konzert gingen, die Presse hinter sich.

„Als sich in den einzelnen Takten nach längerer Zeit und nach beständigen direkten Misstönen und einzelnen Instrumentalkapriolen durchaus keine Harmonie einstellen wollte, bemächtigte sich eines Teiles des im Parterre anwesenden (...) Publikums ein hörbares Gelächter, welchem man betreffs dieser musikalischen Wüsteneien, die man uns als Klangstudien und Gehöreffekte erklärt, eine gewisse Berechtigung nicht absprechen kann“, schrieb die „Reichspost“ in ihrem Konzertbericht.

Ohne Unmutsäußerungen schluckte das Publikum nur die darauffolgenden „Vier Orchesterlieder nach Gedichten von Maeterlinck, op.13“ von Alexander von Zemlinsky. Aber schon bei Schönbergs „Kammersinfonie Nr. 1, op. 9“, die darauf folgte, braute sich der Eklat zusammen. „Das Lärmen, Pfeifen, Zischen ging neuerlich los, und auf der Galerie kam es zwischen einigen Heißspornen bereits zu Prügeleien“, berichtete das „Neuigkeits-Welt-Blatt“.

„Hinaus mit der Bagage!“

Bei den „Fünf Orchesterliedern nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg, op. 4.“ von Alban Berg, ebenfalls einem Schüler Schönbergs, steigerte sich die Unruhe zum Tumult. „Als aber nach einigen Takten ins zweite Lied hineingelacht wurde, klopfte Schönberg ab, drehte sich um und sagte aufgeregt: ‚Ich bitte jene, die nicht ruhig sein können, den Saal zu verlassen.‘ Und nach einer Pause: ‚Ich werde gegen jene, die stören, die öffentliche Gewalt anrufen‘“, zitierte „Die Zeit“.

Eine Karikatur zeigt Arnold Schönberg als Dirigenten und Aufruhr unter Musikern und Zuschauern

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Karikatur in „Die Zeit“ vom 6. April 1913

"Und das Lied wurde trotzdem zu Ende gesungen. Und das Zwerchfell erschütternde Falsettengewinsel, mit dem es schließt, von Neuem mit allgemeinem schallendem Gelächter aufgenommen, das die Anhänger Schönbergs in Tollwut zu versetzen schien“, so „Die Zeit“ weiter. Als Webern „Hinaus mit der Bagage!“ rief und zur Antwort aus dem Publikum „Mit Euch, aber auf den Steinhof!“ („Irrenhaus“, Anm.) bekam, geriet die Situation endgültig außer Kontrolle. "Das Toben und Johlen ging nun in Tätlichkeiten über, und von allen Seiten hörte man Ohrfeigen klatschen“, so das "Neuigkeits-Welt-Blatt“.

Das Konzert musste abgebrochen, die geplanten „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler konnten nicht mehr vorgetragen werden. „Da die Intervention des Polizeioberkommissars Dr. Leinweber, der im Saale den Inspektionsdienst versah und der vom Podium die Anwesenden zur Ruhe mahnte, nichts fruchtete, so war an eine Weiterführung des Konzerts nicht mehr zu denken", hieß es im Polizeibericht. Es „blieb nichts anderes, als die Lichter auszulöschen“, so die „Neue Freie Presse“.

Ein Wiener Fall

Totalverrisse, Kritikerschelten und Hasskampagnen überschlugen sich. Was hatte die Wiener Öffentlichkeit dermaßen verstört? Skandale waren in diesen Jahren gang und gäbe, nur zwei Monate später, am 29. Mai 1913, kam es beispielsweise zu ähnlich heftigen Tumulten bei der Pariser Uraufführung von Igor Strawinskis „Le sacre du printemps“. Aber kein Skandal hatte ausschließlich aus der Musik, aus der Phänomenologie des Klangs heraus erklärbare Wurzeln - bei Strawinski war es die radikal mit allen Balletttraditionen brechende Choreographie, und das Konzert konnte bis zum Ende durchgepeitscht werden.

Im Wiener Fall gab es keine andere Kunstform wie Tanz, keine provokanten Texte, keine religiösen Tabubrüche als Skandalauslöser, vielmehr war es ein neuer Klang, der das Publikum aus der Fassung brachte. Er bestand in der Auflösung der harmonischen Bindungen, des durchgehenden Bezugs auf eine Tonart in der harmonischen Abfolge, in dem, was zunächst von außen und kritisch als „Atonalität“, von Schönberg lieber als „Emanzipation der Dissonanz“ benannt wurde, die keine Konsonanz mehr brauchte, um bestehen zu können.

Miniaturen und Steinhof

Aufgelöst wurde auch die traditionelle Formensprache. Weberns und Bergs Werke sind sehr kurz, dauern nur wenige Minuten, sind nicht mehr in Sätze unterteilt, sondern ihre Teile gehen in Schönbergs Worten wie „ein Organismus“ ineinander über. Zugleich knüpfen sie, was die Größe des Orchesters und die Instrumentierung betrifft, an Kompositionen von Richard Wagner und Richard Strauß an, verwandeln sich aber durch ihre eklatante Kürze zu Miniaturen.

Wenn Texte von Altenberg, der konventionelle Formen mied, verwendet wurden, erschien das nur konsequent. Altenberg, im Wien jener Zeit eine umstrittene Figur, hielt sich übrigens am 31. März 1913 just dort - in Steinhof - auf, wo das Publikum die Schönberg-Anhänger hinwünschte.

„Attentate auf die Gehörnerven“

Für den Musikwissenschaftler Hartmut Krones ist die damalige Aufregung sowohl musikgeschichtlich als auch soziologisch gut nachvollziehbar: „In Wien war natürlich der allgemeine Publikumsgeschmack so wie auch heute noch bei den ‚arrivierteren Publikumsschichten‘ sehr konservativ." Neues stieß zwangsläufig auf Widerstand, selbst Gustav Mahler, der 1911 gestorben war, musste um Anerkennung kämpfen.

Arnold Schönberg mit Alban Berg

Arnold Schönberg Center

Alban Berg und Arnold Schönberg

Und jetzt kamen ein paar junge Komponisten, die noch viel weiter gingen als Mahler – zunächst in der Erweiterung, dann langsam in der Überbordwerfung der Tonalität. Diese Musiksprache war verpönt: "Der Komponist verübt wahre Attentate auf die Gehörnerven. Er bereitet in seinem Dissonanzenparoxismus nicht bloß Unbehagen, sondern direkt physische Schmerzen“, schrieb die „Sonn- und Montagszeitung“ nach der Uraufführung 1913. „Schönberg glaubt, die wahre Harmonie wäre die, welche sich über alle Gesetze des Wohlklanges und der musikalischen Logik hinwegsetzt.“

Klangvolle Watschen

Dass beim gerichtlichen Nachspiel, welches das Konzert nach sich zog, ausgerechnet der Operettenkomponist Oscar Straus (von dem u. a. „Ein Walzertraum“ stammt) als Experte für die dargebotene Musik herangezogen wurde, ist charakteristisch für die Wiener Atmosphäre, die sich gegen die Schönberg-Schule und gegen die radikale neue Musik und auch schon gegen Mahler wendete. Auf die Frage, ob Straus die Watschen bezeugen könne, antwortete er, sie seien das „einzig Klangvolle“ des Abends gewesen.

Hier offenbarte sich jene Vorliebe für das Kommerzielle und den mit dem Journalismus verfilzten Konformismus, gegen den das ganze Werk von Karl Kraus gerichtet ist. Schönberg ging in einem Interview für „Die Zeit“ auf die Ruhestörer und Provokateure von 1913 ein: „Ich habe mir vorgenommen, bei derartigen Konzerten nur dann noch mitzuwirken, wenn auf den Eintrittskarten ausdrücklich vermerkt ist, dass die Störung der Vorträge nicht gestattet ist.“

Sendungshinweis

Ö1 überträgt das „Skandalkonzert“ am Freitag ab 19.30 Uhr live aus dem Musikverein.

Heute ist ein solcher Vermerk nicht mehr nötig, eine ebenso soziologische wie musikalische Stabilisierung hat sich im Zeitalter der Kulturindustrie längst durchgesetzt. Wenn 100 Jahre nach dem Skandalkonzert Cornelius Meister mit dem Radio-Symphonie Orchester (RSO) genau jene Werke aufführt, die auch 1913 auf dem Programm standen, muss der Zuhörer höchstens aufpassen, es sich im gepolsterten Musikvereinssessel nicht allzu bequem zu machen.

Armin Sattler, ORF.at

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