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Zwei Filme in einem mit MacGuffin-Bonus

Im Genre des Filmthrillers bleibt Regisseur Alfred Hitchcock (1899 bis 1980) bis heute stilprägend. Er steht etwa für den Begriff des „MacGuffin“ als Drehbuchkunstgriff, Filmhelden möglichst rasch und problemlos in Schwierigkeiten geraten zu lassen - durch Geheimdossiers, Aktenkoffer voll Plutonium oder was sonst gerade zur Verfügung steht. Nun ist Hitchcock selbst ein MacGuffin geworden.

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Das neue Biopic „Hitchcock“ tut nämlich so, als würde es die Geschichte von Hitchcock und dem Dreh seines Filmklassikers „Psycho“ erzählen. So weit der MacGuffin - denn in Wahrheit geht es um die Krise und darauf folgende Versöhnung eines alternden Ehepaares, dargestellt von Anthony Hopkins, der mit kiloweise Latex-Hamsterbacken auf Hitchcock hingeschminkt wurde, und Edelmimin Helen Mirren, die (ohne Latex) Hitchcocks Ehefrau Alma Reville-Hitchcock gibt.

Wenig Verbindung zur Realität

Mit der historischen Realität der Entstehung von „Psycho“ im Jahr 1960 hat der Film nur wenig zu tun. In Wahrheit gelang Hitchcock damals mit einer Mischung aus Wagemut, Instinkt und vor allem viel routiniertem Können das Kunststück, seine Budget- und Produktionsnöte in Tugenden zu verwandeln: Der damals auf Großproduktionen abonnierte Regisseur lieferte wegen Streitereien mit seiner Filmfirma einen aus der Hüfte geschossenen „Billigfilm“ ab, der Tabus auf allen Ebenen brach.

Die Budgetnöte und die beruflichen Selbstzweifel werden in „Hitchcock“ zwar einigermaßen glaubwürdig dargestellt, ebenso wie der Kampf mit den Zensoren - „Psycho“ war etwa abgesehen von der schockierenden Mordszene der erste Hollywood-Film, in dem eine Toilettenspülung betätigt wurde -, im Unterschied zum historischen Hitchcock weiß der Film-Hitchcock aber die ganze Zeit nicht so recht, was er tut, und muss am Ende von seiner Frau Alma gleichsam errettet werden.

Gegenüberstellung zweier Hitchcock-Fimszenen

Centfox, Universal (Montage)

Hitchcock vs. Hopkins als Hitchcock

Zweierlei Alma

Alma Reville-Hitchcock spielte zweifellos eine bestimmende Rolle in Hitchcocks Leben, auch als Beraterin in Berufsfragen. Dass „Psycho“ ohne die Mithilfe der gelernten Cutterin und Drehbuchautorin aber eine „Totgeburt“ - diese Worte werden dem Film-Hitchcock in den Mund gelegt - geworden wäre, ist jedoch ziemlicher Unfug. Weder ist sie etwa für die berühmt gewordene Filmmusik verantwortlich noch hat sie den Film komplett umgeschnitten, wie „Hitchcock“ das darstellt.

Eigentlich werden somit in „Hitchcock“ zwei Filme zugleich erzählt: ein relativ gewöhnliches Altersdrama mit vorhersehbarer Entwicklung, das Hopkins und Mirren recht routiniert herunterspielen, und daneben eine verspielte Hommage an Hitchcock und dessen Schaffen, die dem Zuseher ebenso viel Spaß machen kann, wie ihn offenbar die Darsteller hatten - vorausgesetzt, man kennt sich im Hitchcock’schen Universum einigermaßen aus.

Der gespielte Witz für Insider

Auf der Ebene der Film-Hommage entwickeln auch Hopkins und Mirren gehörige Spielfreude. Scarlett Johansson suhlt sich wiederum mit vollem Körpereinsatz in der Rolle der typischen Hitchcock-Blondine - und schreit nach Leibeskräften, in der Dusche ebenso wie in der Garderobe und in den Träumen des Film-Hitchcock. Die noch bessere Leistung liefern, wenn auch ziemlich an den Rand des Films gedrängt, Jessica Biel als von Hitchcock „verstoßene“ Schauspielerin Vera Miles und James D’Arcy als absolut perfekte Kopie von Anthony Perkins.

Als „gespielter Insiderwitz“ hat der Film auch nichts mit der historischen Realität zu tun, sondern soll als doppelter MacGuffin nur Gelegenheit zu möglichst vielen Späßchen, Zitaten und Querverweisen bieten. So orientiert sich etwa der gesamte Film an der Dramaturgie der Folgen aus der damaligen TV-Serie „Alfred Hitchcock Presents“. Dazu kommen ironische Querverweise auf so ziemlich alle Hitchcock-Klassiker, vom Früh- bis zum Spätwerk. Aber wie sagte - der echte - Hitchcock schon: „Die Wirklichkeit ist etwas, das keiner von uns ertragen kann, zu keiner Zeit.“

Lukas Zimmer, ORF.at

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