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„Eine De-facto-Heilung“

Ein Baby, das bereits mit dem HI-Virus, der Aids auslöst, zur Welt gekommen ist, ist offenbar geheilt, wie Wissenschaftler am Sonntag in den USA mitgeteilt haben. Es handelt sich dabei um ein mittlerweile zweieinhalbjähriges Kind im US-Bundesstaat Mississippi, das rund ein Jahr nicht behandelt wurde und trotzdem keinerlei Anzeichen einer Infektion zeigt.

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Es gibt allerdings keine Garantie, dass das Kind gesund bleiben wird, obwohl bei zahlreichen Tests nur Spuren des genetischen Materials des HI-Virus entdeckt werden konnten. Das wäre das erste Mal, dass ein mit dem Virus bereits in der Schwangerschaft infiziertes Baby geheilt werden konnte - und überhaupt erst der zweite Fall einer Heilung.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Fall, der am Sonntag bei einem Aids-Kongress in Atlanta vorgestellt wurde, vielversprechende Hinweise gibt, um die HIV-Infektion bei Kindern zu bekämpfen. Das würde vor allem in afrikanischen Ländern, in denen viel zu viele Babys mit dem Virus geboren werden, ein enormer Fortschritt.

300.000 Babys mit HIV

Rund 300.000 Kinder kamen 2011 mit dem HI-Virus auf die Welt, die meisten von ihnen in armen Ländern, wo nur rund 60 Prozent der infizierten schwangeren Frauen eine Behandlung bekommen, das eine Ansteckung des Fötus verhindern kann. In den USA und Europa sind solche Fälle selten, da HIV-Tests und -Behandlung seit langem Teil der medizinischen Versorgung von Schwangeren sind.

Schnellere Therapie als gewöhnlich

„Sie können das eine De-facto-Heilung, wenn nicht eine Heilung, nennen“, so Antony Fauci von den National Institutes of Health, der die Details des Falles kennt. Eine Ärztin verordnete dem Baby eine schnellere und stärkere Therapie als gewöhnlich. Weniger als 30 Stunden nach der Geburt begann sie mit der Verabreichung von Infusionen. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, ob das Baby überhaupt angesteckt war oder nur ein erhöhtes Infektionsrisiko hatte, weil seine Mutter HIV hatte. Bei der Mutter wurde das aber erst im Zuge der Geburt festgestellt.

„Ich hatte einfach das Gefühl, dass das Baby mehr gefährdet war als normal und die beste Behandlung verdiente, die wir zur Verfügung hatten“, so die HIV-Spezialistin Hannah Gay von der University of Mississippi. Sollte das Mädchen gar nicht infiziert gewesen sein, würde es sich laut „New York Times“ nur um einen Fall von Vorbeugung handeln, wie es ihn bereits zuvor bei Babys von HIV-infizierten Müttern gegeben habe.

Reservoirs verhindert

Diese schnelle Behandlung eliminierte offenbar das HI-Virus im Blut des Babys, bevor es im Körper Rückzugsorte bilden konnte. Diese Reservoirs schlafender Zellen lösen nach Beendigung einer medikamentösen Therapie binnen kurzer Zeit eine neue Infektion aus.

Deborah Persaud, die die Untersuchung leitete, nach der das Kleinkind aus Mississippi für „funktionell geheilt“ erklärt wurde, sagte, in einer nächsten Phase sollten mehrere Babys mit der aggressiveren Therapie behandelt werden, um deren Effektivität zu prüfen. „Vielleicht wird es möglich sein, so die Bildung von Reservoirs für das HI-Virus zu stoppen“, so Persaud.

Ärzte warnen

Niemand solle nun Medikamente absetzen, warnte Fauci. Doch der Fall „öffnet viele Türen“ für die Forschung, wenn auch anderen Kindern auf diese Weise geholfen werden könne. „Wir können nicht versprechen, dass wir Babys heilen können, die infiziert sind. Wir können aber versprechen, dass wir den Großteil der Infektionen verhindern können, wenn die Mütter während der Schwangerschaft auf das HI-Virus getestet werden“, betonte auch Gay, dass Vorsorge und das Verhindern einer Ansteckung weiter Vorrang haben müssen. Wenn infizierte Mütter eine antiretrovirale Therapie erhalten, wird in den meisten Fällen eine Infektion des Neugeborenen verhindert.

Erst zweiter Fall von Heilung

Es gibt nur noch einen weiteren Menschen, der als vom HI-Virus geheilt gilt - Timothy Ray Brown aus San Francisco unterzog sich dabei aber einer völlig anderen und riskanten Behandlungsmethode - einer Knochenmarktransplantation von einem speziellen Spender - einem der wenigen Menschen, die von Natur aus gegen das HI-Virus resistent sind. Brown, dessen Krankheit in Berlin ausbrach und der daher als „Berliner Patient“ bekanntwurde, brauchte in den fünf Jahren seit der Transplantation keine HIV-Medikamente.

Der Fall in Mississippi zeigt nach Ansicht von amfAR (Foundation for AIDS Research), „dass es verschiedene Heilmöglichkeiten für verschiedene Gruppen von HIV-Infizierten geben könnte“.

Familie brach Therapie ab

Das Kind reagierte 18 Monate lang gut auf die Medikamente, dann brach die Familie die Therapie aber ab. Als sie sieben Monate später wieder mit dem Kind ins Spital kamen, wurden mit den normalen Testverfahren keinerlei Spuren des Virus im Blut gefunden. Zehn Monate nach der Behandlung, wurden auch bei einer ganzen Serie an speziellen Tests in mehreren Labors keine Zeichen für eine Rückkehr des Virus entdeckt. Nur einige Spuren des genetischen Materials tauchten auf, die offenbar nicht imstande sind, sich zu vermehren.

Die behandelnde Ärztin in Mississippi testet das Kind alle paar Monate: „Ich prüfe nur, ob das Virus da ist, und bete, dass es wegbleibt“, so Gay, die hinzufügt, dass die Infektion der Mutter des Kindes mit Medikamenten unter Kontrolle gehalten wird. Die Mutter sei „sehr erfreut“ über die Heilung ihres Kindes, so Gay.

Derzeit sterben weltweit jährlich rund 1,7 Millionen Menschen an Aids und den Folgeerkrankungen. Neuinfektionen mit dem HI-Virus gingen innerhalb eines Jahrzehnts um 19 Prozent zurück. Die Zahl der Aids-Toten sank seit dem Jahr 2005 um 26 Prozent.

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