Kirchenskandale schüren Gerüchte
Der überraschende Rücktritt Papst Benedikts XVI. hat einige Fragen offengelassen. So blühen in Medien die Verschwörungstheorien über die „wahren Hintergründe“ des Rücktritts. Angesichts der Kirchenskandale der letzten Jahre von Hunderten Missbrauchsfällen bis zur Vatileaks-Affäre, bei der persönliche Dokumente des Papstes veröffentlicht wurden, gibt es zahlreiche Verschwörungstheorien.
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Viele fragen sich, warum der Papst ausgerechnet den 28. Februar, 20.00 Uhr für diesen historischen Rücktritt gewählt hat. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi beantwortete am Dienstag bei einer Pressekonferenz die Frage. Das habe nichts mit juristischen oder sonstigen Gründen zu tun, erläuterte Lombardi vor Journalisten in Rom. Vielmehr „endet um diese Uhrzeit normalerweise der Arbeitstag des Heiligen Vaters.“
Zuvor, am 27. Februar, will sich Benedikt XVI. auf dem Petersplatz von den Gläubigen verabschieden. An dem Tag werde „die letzte Generalaudienz stattfinden“, sagte Lombardi weiter. Die Audienz werde auf dem Petersplatz stattfinden, „weil sehr viele Menschen erwartet werden“.
Schüller: Putsch der Konservativen möglich
Der kirchenkritische Priester Helmut Schüller, Sprecher der österreichischen Pfarrer-Initiative, zweifelt daran, dass Benedikt XVI. wegen seines Alters zurücktritt. Denkbar sei etwa ein „Putsch der Konservativen“ oder andere Gründe wie die „Dokumenten- und Bankskandale“, so Schüller gegenüber der „Presse“ (Dienstag-Ausgabe).

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Der Papst fährt mit dem „Papamobil“ und segnet die Gläubigen
„Jetzt werden erst einmal alle gespannt sein, was wirklich dahinter steckt, möglicherweise jenseits von Alter und Gesundheit. War es ein Putsch der Konservativen? Oder ist er aus anderen Gründen unter Druck gekommen?“, meinte Schüller. Der erzkonservativen Piusbruderschaft etwa sei der Papst wie vielen anderen zu offen und liberal gewesen. „Und der Vatikan ist durchsetzt von diesen Leuten“, so der Sprecher der Pfarrer-Initiative - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
„Unverhüllte Diadochenkämpfe“
Der Papst könnte auch wegen der zahlreichen Intrigen, Skandale und Korruptionsvorwürfe im Vatikan amtsmüde geworden sein, so eine weitere Spekulation. Benedikt XVI. mache „den Weg nicht zuletzt auch für eine dringend erforderliche Neuorganisation der vatikanischen Kurie frei, die gerade während der vergangenen Monate von immer unverhüllter geführten Diadochenkämpfen, zuweilen homoerotisch motivierten Intrigen und von Korruption schwer gebeutelt war“, so der Kommentar in der „Presse“. „Konnte oder wollte der Heilige Vater nicht mehr?“, titelte die Tageszeitung einen Bericht über den Rücktritt.
Die österreichischen Tageszeitungen kommentieren den Rücktritt überwiegend positiv. Gleichzeitig erwarten sie vom Nachfolger hauptsächlich Kontinuität - mehr dazu in religion.ORF.at.
Hat der Papst religiöse Zweifel?
Die konservative polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ stellt sich die Frage, ob „diese Entscheidung ein Beweis für Mut oder im Gegenteil Flucht vor der Verantwortung“ sei. In Medien wird auch spekuliert, dass ein drohender Skandal den Papst zu seinem Schritt bewogen habe. Er wolle das lieber seinem Nachfolger überlassen.

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Der Papst wirkt beim Angelusgebet am 27. Jänner erfreut
Man werde niemals wissen, ob Benedikt XVI. der körperlichen oder der metaphysischen Erschöpfung nachgegeben habe, schreibt die französische „Liberation“, „ob sein Körper nicht mehr die erforderliche Kraft für das Amt aufbringt oder die Seele nicht mehr glaubt, ob durch die unausweichliche Verweltlichung Zweifel entstanden sind, was vielleicht auch einem Papst passieren kann“.
„Vatikan kommt nicht ohne Intrigen aus“
Die russische Tageszeitung „Wedomosti“ vermutet hingegen mögliche Intrigen im Hintergrund. Wie jedes geschlossene System mit Hierarchien komme auch der Vatikan nicht ohne Intrigen aus. Wahrscheinlich werde es nun viele Versionen über die Hintergründe seines Rücktritts geben. „Im Kampf um Macht und Einfluss aber hat der Papst seine Antwort gegeben: Als Vorbild verzichtet er auf einen Machtkampf. Er tut, was er tun muss - und setzt damit ein Beispiel für künftige Päpste.“
Auch die britische Tageszeitung „Telegraph“ beschäftigt sich mit den Gerüchten über den überraschenden Rückzug. Viele Menschen fragten sich nun, warum sich der Papst überraschend so entschieden habe. Die Italiener seien große Verschwörungstheoretiker und würden nun nach andere Gründe als den offiziell vom Vatikan angegebenen suchen, schreibt der Chefredakteur der Zeitung.
Lombardi: Papst hat Herzschrittmacher
Der Vatikan will diese Spekulationen beenden. Es sei kein Druck ausgeübt worden, und es gebe auch keinen Skandal, dem der Papst ausweichen will. Schnell beeilte man sich, nachdem der Rücktritt bekanntgeworden war, zu beteuern, es habe keine Anzeichen von Depression oder Entmutigung seitens des Papstes gegeben. „Ich persönlich habe größte Bewunderung für die Geste des Papstes, für den Mut, die Geistesfreiheit und das große Bewusstsein für die Verantwortung seines Amts“, so Vatikan-Sprecher Federico Lombardi.
Benedikt XVI. war bereits vor zehn Jahren ein Herzschrittmacher implantiert worden, wie der Vatikan am Dienstag bekanntgab. Lombardo sagte auch, dass die Batterien vor drei Monaten bei einem Routineeingriff ausgetauscht worden seien. Das habe allerdings keine Auswirkungen auf die Rücktrittsentscheidung gehabt.
Keine Rolle bei Nachfolgerwahl
Der zurückgetretene Papst werde Lombardi zufolge im Konklave keine aktive Rolle mehr spielen. Auch in der Zeit, während welcher der Stuhl Petri vakant sein werde, werde Benedikt XVI. keine Funktion mehr innehaben: „Die apostolische Verfassung sieht keine Rolle für einen Papst vor, der zurücktritt.“
Lombardi bestätigte, dass der Papst in einem Teil eines Frauenklosters im Vatikan leben werde. Ein Flügel des Klosters werde zurzeit restauriert. Das Kloster mit zwölf Zellen erstreckt sich auf vier Etagen. Dort gibt es auch eine Kapelle und eine Bibliothek. Rund um das Kloster befindet sich ein großer Garten, in dem Gemüse und Obstbäume wachsen. Das Kloster gilt als Oase der Ruhe im Herzen des Vatikans.
Wird Papst-Ring zerstört?
Der Papst-Ring von Benedikt XVI. wird nach dem Ende seiner Amtszeit möglicherweise zerstört. Er werde nach dem 28. Februar vermutlich zerbrochen, sagte Lombardi. Alle „Objekte, die direkt mit dem Pontifikat in Verbindung stehen, müssten zerstört werden“, sagte Lombardi der Nachrichtenagentur ANSA zufolge. Der Rücktritt des Papstes sei aber eine neue Situation, weshalb sich Experten jetzt mit den Regeln für einen solchen Fall auseinandersetzten. Der Ring wird normalerweise nach dem Tod des Papstes mit einem Hammer zerschlagen.
Wie angeschlagen ist Benedikt XVI.?
Die Rücktrittsentscheidung ist nach Vatikan-Angaben nicht auf eine akute Erkrankung des Papstes zurückzuführen, sondern schon „vor vielen Monaten“ gefallen. Benedikt habe sie nach der langen Reise im März 2012 nach Mexiko und Kuba getroffen, schreibt die katholische Zeitung „L’Osservatore Romano“. Beobachter des Vatikans hatten zwar immer wieder versucht zu ergründen, wie es Benedikt geht, welche Medikamente er nimmt und ob er müde Augen hat. Aber Audienzbesucher berichteten auch immer wieder von einem hellwachen Papst, der interessiert an den Dingen dieser Welt sei.
Wer wird die Osterfeierlichkeiten leiten?
Am 28. Februar wird Benedikt sein Pontifikat aufgeben. Dann beginnt innerhalb weniger Tage das Konklave, das seinen Nachfolger wählt. Bis Ostern, dem wichtigsten christlichen Fest, soll der neue Papst feststehen. Das Konklave für die Wahl des neuen Papstes werde 15 bis 20 Tage nach dem Rücktritt und somit noch im März stattfinden.
Lombardi hofft auf eine schnelle Einigung für einen Nachfolger: „Wir sollten zu Ostern einen neuen Papst haben.“ Der Ostersonntag fällt in diesem Jahr auf den 31. März. Für das Osterprogramm gebe es keinen „Plan B“, betonte Lombardi in diesem Zusammenhang. Im Ernstfall könnte aber auch Kardinalsdekan Angelo Sodano bzw. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone die Osterfeierlichkeiten übernehmen.
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