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„Systematisch und vorsätzlich“

Die Universität Düsseldorf entzieht der deutschen Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) den Doktortitel. Der zuständige Fakultätsrat habe in dem Plagiatsverfahren die Promotionsleistung für ungültig erklärt und beschlossen, ihr den vor 33 Jahren erworbenen Doktorgrad zu entziehen, teilte der Ratsvorsitzende Bruno Bleckmann am Dienstag mit.

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Für den Entzug des Doktorgrades hätten zwölf Mitglieder des Rats der Philosophischen Fakultät gestimmt bei zwei Nein-Stimmen und einer Enthaltung. Der Rat habe es als erwiesen angesehen, dass Schavan „systematisch und vorsätzlich über ihre Dissertation verteilt“ gedankliche Leistungen vorgegeben habe, die sie nicht selbst erbracht habe, sagte Bleckmann.

Der Dekan sagte weiter, in der 1980 eingereichten Dissertation „Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ gebe es eine „irreführende Übernahme fremder Texte“, also Plagiate. Insgesamt gebe es in der Arbeit „in bedeutendem Umfang eine nicht gekennzeichnete Übernahme fremder Texte“. Deshalb habe der Rat entschieden, die Promotion für ungültig zu erklären und Schavan den Doktorgrad zu entziehen.

Schavan will gegen Aberkennung klagen

Schavan schließt einen Rücktritt aus, wie die deutsche Ministerin am Mittwoch sagte. Sie steht nach der Aberkennung der Promotion ohne jeden Studienabschluss da. Sie wolle gegen den Entzug klagen, teilten ihre Anwälte umgehend mit. „Die Entscheidung ist in einem fehlerhaften Verfahren zustande gekommen und sie ist auch materiell rechtswidrig“, so die Anwälte, die betonen, dass es eine Täuschung nicht gegeben habe. „Die gebotenen Ermittlungen zur Feststellung einer Täuschung der Gutachter im damaligen Promotionsverfahren sind unterblieben.“

Merkel hat „volles Vertrauen“ in Schavan

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach Schavan ihr „volles Vertrauen“ aus. Nach der Rückkehr der Ministerin aus Südafrika werde „Gelegenheit sein, in Ruhe miteinander zu reden“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Seibert sagte, Merkel sei „in gutem Kontakt“ mit Schavan. Die Kanzlerin schätze ihre Leistung als Ministerin außerordentlich. Die Entscheidung der Universität Düsseldorf zur Aberkennung von Schavans Titel habe die Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Die Regierung verstehe, dass Schavan nun ihre juristischen Möglichkeiten ausschöpfen wolle. Damit werde ein geordnetes rechtliches Verfahren eingeleitet.

Nur „Flüchtigkeitsfehler“

Die Ministerin hatte Plagiate und eine Täuschungsabsicht in ihrer 1980 eingereichten Doktorarbeit stets bestritten. Lediglich „Flüchtigkeitsfehler“ hatte sie zuletzt eingeräumt. „Inzwischen dreht sich die Debatte um eine sehr grundsätzliche Frage. Ab wann spricht man in der Wissenschaft von einem Plagiat?“, hatte Schavan jüngst der Ulmer „Südwest Presse“ gesagt. Und immer wieder erklärte sie, sie wolle auch nach der Bundestagswahl Ministerin bleiben. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich hinter Schavan gestellt und betont, sie habe volles Vertrauen in die Arbeit der Ministerin.

Neun Monate lang geprüft

Die Uni hatte das Hauptverfahren zur Aberkennung des Titels vor zwei Wochen eingeleitet. Die Prüfung der Arbeit dauerte aber bereits seit rund neun Monaten an. Als Vorinstanz hatte die Promotionskommission die Dissertation Schavans geprüft. Ein interner Bericht der Kommission warf Schavan in ihrer Dissertation an zahlreichen Stellen Plagiate vor. Erste Plagiatsvorwürfe gegen die CDU-Politikerin waren Ende April 2012 anonym im Internet aufgetaucht.

Martin Heidingsfelder, Gründer der Onlineplattform VroniPlag, die Belege für Plagiatsfälle in wissenschaftlichen Arbeiten sammelt, hatte Schavan bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe zum Rücktritt aufgefordert. „Wer nicht weiß, wie man richtig zitiert, kann nicht Bundesforschungsministerin und Professorin sein“, hatte der bekannteste deutsche Plagiatsjäger damals gesagt.

Heidlingsfelder wirkte bei der Aufdeckung von Plagiatsvorwürfen gegen mehrere Spitzenpolitiker wie CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin mit. Über 25.000 Doktortitel werden pro Jahr an deutschen Unis neu eingereicht. Über Ablehnungen, Plagiate oder Täuschungsversuche bei Forschungsarbeiten wird nirgendwo Buch geführt. Nur wenn es sich um Plagiatsfälle von Prominenten handelt oder solchen, die vor dem Verwaltungsgericht landen, werden sie publik.

Als Ministerin „denkbar ungeeignet“

Die deutschen Oppositionsparteien erhöhen zunehmend den Druck auf Schavan: Als Vorbild für junge Doktoranden, die die wissenschaftlichen Regeln einhalten müssten, sei die Ministerin „denkbar ungeeignet“, erklärte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann am Mittwoch in Berlin. Sie müsse deshalb zurücktreten. Wenn sie bleibe, "ist das der Beweis, dass diese Bundesregierung ein gestörtes Verhältnis zu den Werten unserer Gesellschaft hat. Schavan habe „nicht so dreist getäuscht“ wie der frühere Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg, erklärte Oppermann. „Aber geschummelt ist geschummelt.“

Für Grünen-Chef „nicht mehr tragbar“

Auch der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht keine Chance mehr für einen Verbleib von Schavan im Amt. "Bei allem Verständnis für die menschliche Härte dieser Entscheidung: Eine Wissenschaftsministerin, die wegen „systematischer und vorsätzlicher" Täuschung des Plagiats überführt wird und der daraufhin ihre Promotion aberkannt wird, ist nicht mehr tragbar“, sagte Trittin am Mittwoch in Berlin. „Sie kann den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland nicht mehr glaubwürdig vertreten.“ Es sei beschämend, wie vonseiten der CDU versucht werde, die Uni Düsseldorf zum Täter und Frau Schavan zum Opfer zu machen, meinte der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl.

Regierungsparteien: Mangelnde Fairness

Aus den Regierungsparteien wurde das Verfahren als unfair kritisiert. „Die letzten neun Monate waren von Mutmaßungen und mangelnder Fairness, von frühzeitigen Veröffentlichungen und einem Vorgehen geprägt, das mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben hat“, kritisierte der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Patrick Meinhardt. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU, Michael Kretschmer, sprach von einer politisch motivierten Kampagne gegen eine erfolgreiche Ministerin.

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