Schwer kontrollierbares Wüstengebiet
Nach der bisher erfolgreichen französischen Militärintervention in Mali konzentrieren sich die Kämpfe derzeit auf die Wüstenregion an der Grenze zu Algerien. Besondere Bedeutung kommt dabei der Oasenstadt Tessalit zu - nicht zum ersten Mal. In der Stadt hatten sich vor kaum einem Jahr Tuareg-Rebellen und reguläre Streitkräfte heftige Gefechte geliefert, nun nutzen die islamistischen Milizen, die den Norden des Landes über Monate belagert hatten, die Region als Rückzugsgebiet.
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Am Dienstag griffen französische Kampfflugzeuge erneut Stützpunkte der Extremisten rund um Tessalit und die Stadt Aguelhok, rund 150 Kilometer von der Grenze zu Algerien entfernt, an. Ziel sei es, die radikalislamischen Gruppen aus der Gegend zu vertreiben und ihre Nachschubwege abzuschneiden, so Frankreichs Außenminister Laurent Fabius. Französische und malische Einheiten hatten in den letzten zwei Wochen die drei wichtigsten Städte im Norden des Landes, Timbuktu, Gao und Kidal, unter ihre Kontrolle gebracht. Die Islamisten zogen teils kampflos in Richtung der gebirgigen Wüstenregion weiter nördlich bzw. nordöstlich ab.
„Wir beginnen einen neuen Kampf“
Zu Ende ist der Konflikt damit allerdings noch lange nicht, zeigte sich der frühere französische General und Professor am Institut für politische Studien Paris (SciencePo), Vincent Desportes, überzeugt. „Wir befinden uns immer noch im selben Krieg, aber beginnen einen neuen Kampf“ - mit gezielten Angriffen auf Camps der Extremisten und „Sondereinheiten im Hintergrund“. Die französische Armee vermutet in der Grenzregion zu Algerien „logistische Lager und Ausbildungszentren“, wie der Sprecher des Generalstabs, Thierry Burkhard, in Paris erklärte. Tessalit liegt direkt am Ifoghas-Gebirge (Adrar des Ifoghas), das sich über eine Fläche von rund einer Viertelmillion Quadratkilometern vom Nordosten Malis über die algerische Grenze erstreckt.

APA/ORF.at
Die Region biete den Islamisten geradezu ideale Rückzugsbedingungen, hieß es am Dienstag in einem Artikel der britischen BBC unter dem Titel „Die Berge Nordmalis - perfekt für den Guerillakrieg“. Die entlegene Wüstenregion sei der „ideale Platz für eine Guerillaarmee“, zahlreiche Höhlen böten Schutz vor Luftangriffen. Außerdem ließen sich lokale Nomadengruppen gegen Geld als logistische Unterstützer gewinnen. Die Grenze zu Algerien sei „nah und porös genug, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Dieseltreibstoff und Munition aufrechtzuerhalten - solange korrupte Beamte bestochen oder gezwungen werden können, ein Auge zuzudrücken“. Die Region sei so praktisch nicht zu kontrollieren, zitierte der britische „Guardian“ den Politikwissenschaftler und Sahel-Experten Andrew Lebovich. Es sei „absolut unmöglich, genau zu wissen, was dort vorgeht“.
„Wer Tessalit kontrolliert, kontrolliert die Sahara“
Aufseiten der Islamisten sind vor allem drei Gruppen in den Konflikt involviert. Die Tuareg-Gruppe Ansar Dine, die Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQIM) und die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO). Eine Splittergruppe, die sich von der Ansar Dine losgesagt hat, fordert inzwischen eine politische und gewaltfreie Lösung des Konflikts.
Der „Guardian“ erinnerte auch daran, dass die Wüstenregion zwischen der Provinzstadt Kidal und Tessalit in unterschiedlichen Konflikten schon des Öfteren eine strategische Schlüsselrolle gespielt hatte. Damals wie heute habe gegolten: „Wer Tessalit kontrolliert, kontrolliert die Sahara.“
Strategisch wichtiger Wüstenflughafen
Zwischen 1909 und 1930 errichtete die französische Fremdenlegion in Kidal zwei Militärposten, von denen einer noch heute existiert. Nahe Tessalit wurde die Garnison Amachach gegründet. In den 1950er Jahren wurde bei Tessalit ein Militärflugplatz errichtet, die Region war Schauplatz des algerischen Unabhängigkeitskampfes gegen die französische Kolonialmacht. Tessalit sei „Epizentrum“ jedes einzelnen Aufstands der Tuareg gegen die Zentralregierung in Bamako seit 1962 gewesen, hieß es bei der BBC.
Ab 2003 nutzten unterschiedliche Ableger von Osama bin Ladens Terrornetzwerk Al-Kaida die Region als Rückzugsgebiet. Auch der algerische Extremistenführer Mokhtar Belmokhtar, Drahtzieher des Geiseldramas auf dem Erdgasfeld In Amenas vor rund zwei Wochen mit fast 40 Toten, war laut „Guardian“ schon vor Jahren in Tessalit aktiv. Die Oasenstadt hat kaum mehr als 5.000 Einwohner.
Tuareg nehmen Islamistenführer fest
Im Februar des Vorjahres brachten Kämpfer der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA), ein Zusammenschluss säkularer Tuareg-Gruppen, die für die Unabhängigkeit Nordmalis kämpft, Tessalit unter ihre Kontrolle. Eine vorübergehende Allianz mit den Islamisten zerbrach, zuletzt stellte sich die MNLA auf die Seite der Franzosen.
Zu Wochenbeginn gab die MNLA die Festnahme zweier hochrangiger Islamistenführer in der Wüste nahe der algerischen Grenze bekannt. Bei den beiden Männern handle es sich um Mohamed Moussa Ag Mohamed al-Mostafa und Oumeini Ould Baba Ahmed, Kommandanten der Ansar Dine bzw. MUJAO, hieß es.
„Operation Serval“ und afrikanische Eingreiftruppe
Frankreich, bis 1960 Kolonialmacht, hatte seine Militärintervention („Operation Serval“) am 11. Jänner begonnen. Im Einsatz sind Luftwaffe und Bodentruppen, laut Medienberichten auch Eliteeinheiten der französischen Fremdenlegion - insgesamt nach offiziellen Angaben rund 4.000 Soldaten. Paris will die Verantwortung möglichst rasch an Truppen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) übergeben. Im Rahmen der ECOWS-Mission MISMA sind in der Stadt Kidal seit kurzem 1.800 Soldaten aus dem Tschad stationiert.
Voll aufgestellt soll die afrikanische Eingreiftruppe 6.000 Soldaten umfassen. Außerdem sagten bisher 16 EU-Länder und Norwegen - vor allem logistische - Hilfe zu. Österreich entsendet laut Verteidigungsministerium bis zu zehn Ärzte und Sanitätskräfte - allerdings nicht in das Krisengebiet direkt, sondern in die Region der Hauptstadt Bamako über 1.000 Kilometer weiter im Süden.
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