„Anlassfall“ für das große Umkrempeln
Seit gut fünf Wochen gelten für Männer und Frauen beim Abschluss einer Versicherung dieselben Preise. Die Einführung dieser sogenannten Unisex-Tarife basiert auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die Versicherungen warfen also ihre Angebote um und schufen geschlechtergerechte Tarife. Ob sich die Gerechtigkeit auch auf die Preise übertrug, ist auch aus heutiger Sicht ungewiss.
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Denn entsprechend der EuGH-Vorgabe begannen die österreichischen Versicherungshäuser im Herbst des Vorjahres damit, das Geflecht an unterschiedlichen Tarifen für Männer und Frauen zu entwirren. Schließlich gestalteten die Anbieter Polizzen seit jeher entlang des Risikoverhaltens von Kunden. Und da dieses von Versicherungen geschlechterspezifisch als unterschiedlich erkannt wurde, waren auch die Prämien unterschiedlich.
Doch damit war am 21. Dezember des Vorjahres Schluss - Prämien für Frauen und Männer mussten einheitlich sein. Damit war klar: Frauen zahlen die Risikofreude der Männer mit, und für Frauen war die höhere Lebenserwartung kein Argument mehr für niedrigere Prämien. Auch tragende Aspekte wie Schwangerschaft fielen als Argumente für Preispolitik aus.
Tarife für Kunden kaum vergleichbar
Die Versicherungen stellten ihre Prämien um, und bereits im Vorhinein sorgten sich Verbraucherschützer, dass die Fairness gegenüber den Kunden auf der Strecke bleibt und Kosten auf ebendiese abgewälzt werden.
Wenige Wochen nach dem Stichtag bleibt die wohl einzig sichere Bilanz, dass die Umstellung auf Unisex-Tarife von der Versicherungsbranche als „Anlassfall“ genommen wurde, die Produktpalette völlig zu überarbeiten - damit ist im Nachhinein ein gezielter Tarifvergleich nur eingeschränkt möglich, wie sich Experten der Arbeiterkammer (AK) und des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) gegenüber ORF.at einig sind.
„Völlig neu gestaltete Tarife“
Wie die AK geht auch der VKI davon aus, dass die Prämien in einzelnen Bereichen in ihrer Gesamtheit gesehen angestiegen sind. Doch ein sicherer Vergleich sei „kaum möglich“. Schließlich habe man es mit „völlig neu gestalteten Tarifen“ zu tun, wie VKI-Expertin Gabi Kreindl betonte. So verändere jede noch so kleine Umstellung einer Polizze das Produkt. Selbst bei unveränderten Prämien seien Teuerungen nicht auszuschließen - etwa über eine Anhebung von Selbstbehalten, wie AK-Konsumentenschützer Christian Prantner darlegt. So stehe die „Vermutung im Raum“, dass versteckt vieles teurer wurde. Auch für den VKI ist „nicht eindeutig“ zu erkennen, ob „sich die Teuerungen durchziehen“.
Sichere Vergleiche seien nicht einmal im Falle von einfachsten Produkten möglich, wie etwa bei einer Ablebensversicherung - nach Angaben des VKI seinen sogar hierbei Angebote umstrukturiert worden. Gleichzeitig wurde augenscheinlich, dass Versicherer die Umstellung für Werbezwecke nutzten.
„Das Thema Unisex diente den Versicherern lediglich dazu, auf bevorstehende Teuerungen hinzuweisen, um Abschlüsse vor dem Stichtag zu bewerben“, sagte Prantner. Die Informationen seitens der Versicherungen seien - bis auf wenige Ausnahmen - „sehr dürftig“ gewesen, so Prantner. Außerdem sei noch nicht abzusehen, wie sich die Produktpalette, die ja von den Anbietern ständig bearbeitet wird, weiter verändert.
Schwierigkeiten für Versicherer?
Das viel genannte Argument, die Richtlinie hätte nicht nur bei Konsumenten, sondern auch bei Versicherungen für Unsicherheit gesorgt, will der VKI nicht gelten lassen: „Versicherer argumentieren immer, nach der Unisex-Umstellung nicht wissen zu können, wie es mit dem Versichertenbestand (Anzahl der Versicherungsnehmer, Anm.) aussieht.“
Diesem Umstand entsprechend stehe den Anbietern ein für die Preisgestaltung maßgeblicher Index nicht zur Verfügung. Gleichzeitig klagen Versicherungen, dass sie auf die statistischen Erfahrungswerte nicht mehr zurückgreifen könnten. VKI-Expertin Kreindl argumentiert mit der Umstellung der Produktpalette - diese gehe einzig und allein auf das Konto der Versicherungen.
Vergleichsportal sieht „kaum Teuerung“
Doch jene, die der Branche näherstehen, sehen mit der Umstellung auf Unisex kaum Auswirkungen verbunden. Der Tag der Umstellung war nur in „der öffentlichen Wahrnehmung ein entscheidender Tag für die Versicherungswirtschaft. In Wirklichkeit wurden die meisten Tarife schon viel früher angepasst“, teilt Thomas Lang, Vorstand des Vergleichsportals Chegg.net, mit und verweist auf die erfolgte „Langzeitplanung“ der Versicherer. Die neuen Tarife seien dennoch erst mit dem Stichtag im Dezember veröffentlicht worden.
Spürbare Teuerungen seien - im Verweis auf eine eigens erstellte Marktanalyse, bei der die (nach eigener Argumentation bereits „angepassten“, Anm.) Tarife vor und nach dem Stichtag verglichen wurden - ausgeblieben. „Fast durchwegs normale Indexanpassungen“ habe es in diesem Zeitraum gegeben.
Trotzdem gibt es der Analyse des Portals folgend (bei der nur die drei günstigsten Angebote als Werte eingeflossen sind, Anm.) einige markante Tarifänderungen: Ablebensversicherungen seien für Frauen 25 Prozent teurer und für Männer ebenso viel billiger geworden. Ein Anbieter habe gar um 68 Prozent erhöht - Chegg.net spricht von „strategischen Preiserhöhungen“, um „keine neuen Abschlüsse“ mehr zu bekommen, um sich von der Produktsparte zurückzuziehen.
Leistungen und Selbstbehalte als Fragezeichen
In den Sparten Unfall und Kfz gab es laut Chegg.net kaum spürbare Auswirkungen, während Berufsunfähigkeitsversicherungen für Frauen durchschnittlich um zwölf, Krankenversicherungen sogar um 13 Prozent günstiger geworden seien. Im Speziellen für jüngere Männer bedeutete das jedoch steigende Preise. Die Leistungen bzw. die Selbstbehalte der einzelnen Angebote sind jedoch in der Analyse als nicht berücksichtigt zu erkennen.
Für die Verbraucherschützer ist jedoch gerade dieser Umstand ein Hauptargument für schwierige Vergleichbarkeit. Beiderseits wird darauf verwiesen, dass das der springende Punkt für Konsumenten ist, die eine Versicherung abschließen wollen. Also letztlich die Frage: Wann kommt die Versicherung für welchen Schadensfall auf - wie viel bezahlt wird, und wie viel selbst bezahlt werden muss.
Zudem drängt sich die Frage auf, wieso Versicherungen im Vorfeld der Tarifumstellung mit dem Verweis auf steigende Preise Kunden zu Abschlüssen vor dem Stichtag animierten, wenn es nun heißt, dass Unisex-Tarife kaum Teuerungen gebracht hätten.
Valentin Simettinger, ORF.at
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