Innere Unruh
Luxusuhren gibt es viele - Werke, die unter dem schönen Design und Finish ticken, hingegen wenige. Sehr oft ist es ein identes, oft ein gerade einmal leicht „überarbeitetes“ Werk der Firma ETA, das im Herzen nicht nur der Schweizer Edeluhren tickt. Doch das könnte für manchen Hersteller bald der Vergangenheit angehören.
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Der Uhrwerkshersteller ETA mit Sitz im Schweizer Städtchen Grenchen und 8.000 Mitarbeitern ist mittlerweile Teil der Swatch Group; und es ist die Swatch Group, die nicht länger viele große Uhrenhersteller mit den vergleichsweise günstigen und gut wartbaren ETA-Automatikwerken ausstatten will.
Bisher haben einige Hersteller Werke von ETA überarbeitet oder verfeinert. Wenige Hersteller sind in der Werksfertigung komplett von ETA unabhängig. Doch auch sie greifen gerne aus Kostengründen auf die Grundwerke von ETA und die Federn aus dem Hause Nivarox, das ebenso zur Swatch Group gehört, zurück.
ETA-Werke nur noch für Mitglieder im „Swatch-Club“?
Die Swatch-Group möchte, und das wurde wieder bei der renommierten Uhrenausstellung Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH) zu Jahresbeginn deutlich, aus der Auftragsherstellung mechanischer Uhrwerke für Fremdproduzenten aussteigen. Der Grund: Swatch nennt mittlerweile selbst derart viele Luxusuhrenmarken sein Eigen, dass man für diese ohnedies genügend Werke herstellen muss. Und eigentlich ist es ja nur die Marktmacht über das ETA-Uhrenwerk, die Swatch verpflichtet, sein Uhrwerk auch anderen Herstellern anzubieten, auf dass diese es in anders designten Produkten verkaufen können.
Zu großer Player auf dem Markt
Die Dominanz von Swatch ist im Bereich der Uhrwerke so groß, dass die Schweizer Wettbewerbskommission dem Konzern bis 2010 vorschrieb, bis zu 50 Prozent der hergestellten Werke an die Konkurrenz zu verkaufen.
Wettbewerbshüter ordnen den Markt neu
Die Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO) hatte ermöglicht, dass die Swatch Group ihre Liefermengen langsam zurückfahren darf. 2012 durfte man bei Uhrwerken (aus dem Hause ETA) auf 85 Prozent und bei anderen Komponenten (aus der Tochterfirma Nivarox) auf 95 Prozent der 2010 verkauften Menge zurückgehen. Eine Entscheidung, ob die Swatch Group über ihre Töchter ETA und Nivarox ihre Lieferung an Fremdhersteller ganz einstellen dürfe, soll durch die WEKO im Juli fallen. So schrieb es jüngst das Magazin „BusinessWorld“.
Radikaler Eingriff in den Uhrenmarkt
Das Heikle an der Entscheidung der Wettbewerbskommission ist der Eingriff in den Schweizer Uhrenmarkt. Letztlich zwingt man viele Hersteller, sich nach anderen Manufakturanbietern umzusehen. Damit die Uhren weiter „Swiss Made“ sind, müssten die neuen Werke auch aus einem Schweizer Betrieb kommen. Die Eigenentwicklung von Werken ist für viele Uhrenhersteller wirtschaftlich keine Option.
Betroffen sind die Marken im mittleren Preissegment und die im unteren Segment, wobei man das mittlere Segment im Bereich von 2.000 bis 4.000 Euro pro Uhr ansetzen muss, den unteren Bereich zwischen 800 und 2.500 pro Uhr. In der Oberliga, wo die Preise über 10.000 Euro liegen, da erwartet der Kunde ein Werk eigener Manufaktur.
ETA-Werk als Gradmesser
Doch wie sieht es bei den Herstellern im mittleren und unteren Preissegment aus? ETA-Werke hatten den Vorteil, dass jeder Uhrmacher gut mit diesen Werken arbeiten konnte. Neuentwicklungen oder Eigenbauwerke orientieren sich demgemäß nicht selten an der Bauweise von ETA. Gerade in Deutschland haben viele, gerade auch kleinere Hersteller zwischen den Standorten Glashütte und Niederbayern zahlreiche Eigenentwicklungen vorgelegt.
Aber eine Schweizer Uhrenmarke wird kaum Werke aus Deutschland beziehen können, will sie das Siegel „Swiss Made“ behalten. Das war durch die ETA-Werke immer möglich. Die leichte Abwandlung von Werken ermöglichte nämlich, dass man sich das Prädikat Uhrenmanufaktur umhängen konnte, auch wenn die Werke nicht wirklich selbst entwickelt und hergestellt wurden.
Suche nach Alternativen
Die Schweizer Firma Sellita könnte attraktiv für all jene Schweizer Uhrenhersteller werden, die sich bisher sehr auf ETA verlassen mussten. Sellita hat sich dort positioniert, wo Patente von ETA abgelaufen sind. Die Frage wird sein, ob Sellita die möglicherweise rapid wachsende Nachfrage bei neuen Kunden wird decken können. Unklar ist im Moment auch, wie viele ETA-Werke bei diversen Herstellern auf Halde liegen.
Die Hersteller SOPROD und Technotime versuchen sich momentan ebenso in diesem Segment zu positionieren. Sie haben eigene Werke, stammen aus der Schweiz und bemühen sich, ihre Werke so gut als möglich in den ETA-Bauplatz passen zu lassen.
Japan ante portas
Von außen könnte aber auch ein Anbieter aus Japan in den Markt quasi via Hintertür eintreten. Der Citizen-Konzern nennt mit Miyota ebenfalls einen Uhrwerkshersteller sein Eigen. Citizen hat sich 2012 via Übernahme des Prothor-Konzerns beim Uhren-Kaliber-Hersteller La Joux-Perret eingekauft und könnte nun über einen Schweizer Traditionsnamen, der schon Größen wie Hublot bei Werken in der Entwicklung half, den Fuß in den Schweizer Markt setzen.
Warnungen von Hayek
Nicolas Hayek (Jr.), Vorstandsvorsitzender der Firma Swatch, hatte seine Konkurrenz in der Vergangenheit gewarnt, zu viel in Werbung und Sponsoring zu investieren und zu wenig in die Produktion. Bei mancher Traditionsmarke, die in den letzten Jahren oder Jahrzehnten von einem großen Konzern gekauft wurde, könnten Erinnerungen wach werden, auf alte Tugenden zu setzen. Hatte mancher Hersteller mit großen Namen früher selber Werke entwickelt, war man dazu übergegangen, sich auf ETA-Werkskomponenten zu verlassen. Es sind im Moment just jene Marken, die auf dem Markt Alarmismus betreiben und vor einer Verteuerung von mechanischen Uhren warnen.
Sorge um die „Swissness“
Auf der anderen Seite gibt Hayek Interviews, in denen er sich um die „Swissness“, also die Herkunftbezeichnung eines Produkts aus der Schweiz, sorgt. „Kauft jemand etwas mit der Aufschrift ‚Swiss Made‘, geht er zu Recht davon aus, dass alles in der Schweiz hergestellt worden ist“, so Hayek jüngst gegenüber dem Schweizer „Blick“: „Akzeptieren wir faule Kompromisse wie die 50 Prozent, schneiden wir den Ast ab, auf dem wir sitzen“, so der Uhrenhersteller, der ja die Swatch, vor allem aber die Luxusuhren in seinem Portfolio leichter rein „Swiss Made“ herstellen kann als die Konkurrenten, die sich nach neuen Uhrwerken umsehen müssen. Wie sehr wäre eine Schweizer Uhr eine Schweizer Uhr, in der beispielsweise ein deutsches Nomos-Werk ticken würde?
Markt wird weiter wachsen
Swatch, einst bekanntgeworden durch seine Billiguhren, zählt mittlerweile zahlreiche Luxusmarken zu seinem Sortiment, wie etwa Breguet, Blancpain und Jaquet Droz. Das Unternehmen darf zufrieden sein mit seinem Absatz: Swatch erwartet dieses Jahr eine deutliche Umsatzsteigerung. „Wenn die Uhren so dynamisch wachsen wie 2012, liegen neun Milliarden 2013 in Reichweite“, sagte Hayek kürzlich. 2012 erhöhte Swatch die Erlöse um 14 Prozent auf 8,14 Milliarden Franken.
Die Schweizer Wettbewerbskommission steht nun vor einem heiklen Spagat. Einerseits will sie eine längst nötige Dynamik in den Bereich der Werkshersteller bringen, andererseits soll sie gleichzeitig die vielen Uhrenbauer, die in der Schweiz ansässig sind, vertreten. Diese gehören zwar mittlerweile meist internationalen Konzernen - repräsentieren letztlich aber doch Arbeitsplätze in der Schweiz.
Gewinner ist in jedem Fall der Swatch-Konzern, der seine Umsätze weiter nach oben treiben kann. Mancher Uhrenkunde könnte beim Kauf einer mehrere tausend Euro teuren Uhr vielleicht auch genauer nachfragen, welches Herz da unter dem tollen Finish tickt.
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