Ein barockes Aquarium in der Oper
Als Georg Friedrich Händels Oper „Radamisto“ im April 1720 in London uraufgeführt wurde, hat der Komponist große Triumphe gefeiert. Fast 300 Jahre später wird das Werk nur selten gespielt und gilt als inhaltlich eher sperrig. Im Theater an der Wien feierte die Barockoper am Sonntag Premiere - in einer recht eigenwilligen, tiefenpsychologischen Deutung.
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Fast drei Akte und ebenso viele Stunden lang führt König Tiridate (Florian Boesch) Krieg gegen seinen Schwager, den Prinzen Radamisto (David Daniels). Obwohl mit dessen Schwester, der schönen Polissena (Sophie Karthäuser), verheiratet, hat er sich in den Kopf gesetzt, Radamistos Ehefrau Zenobia (Patricia Bardon) für sich zu gewinnen. Die würde sich aber lieber umbringen, als ihren Mann zugunsten des eitlen Tiridate zu verlassen (und probiert das auch erfolglos).
So sind die Fronten de facto die ganze Oper hindurch starr und unveränderlich - bis sich Tiridate knapp vor Schluss von einer Minute auf die andere von der Treue und Tapferkeit seiner Frau so beeindrucken lässt, dass er von schlechtem Gewissen geplagt zu ihr zurückkehrt. Nachvollziehbar ist der plötzliche Sinneswandel zwar überhaupt nicht, wie sich das in einer anständigen Opera Seria gehört, musste aber ein Happy End her - koste es, was es wolle. Tugend wird eben belohnt, auch wenn sie spät kommt, so die Botschaft des Librettos von Nicola Francesco Haym.

Monika Rittershaus
Radamistos Arie „Ombra Cara“ („Teurer Schatten“) war angeblich die Lieblingsarie des Komponisten
Vater-Sohn-Konflikt als zentrales Thema
Der Text ist für den musikalischen Leiter der Produktion, Rene Jacobs, auch der Grund dafür, dass „Radamisto“ trotz seiner musikalischen Qualitäten innerhalb der Händel-Opernrenaissance auf der Strecke geblieben ist, wie er im Programm des Abends erklärt. Regisseur Vincent Boussard liest den merkwürdigen Plot als Initiationsgeschichte und Vater-Sohn-Konflikt. Und um diese tiefenpsychologische Interpretation herauszustreichen, illustriert er die Handlung mit allerhand Symbolik aus der Traumdeutung nach Sigmund Freud.
Besonders angetan haben es ihm dabei die für den Individualisierungsprozess stehenden Fische, die in permanenten Projektionen das (einer recht reduzierten Personenführung geschuldete) karge Bühnengeschehen untermalen. Aber auch der Regenschirm (Schutz) und ein langer Tisch (die Familie als geschlossener Bereich) sollen zur assoziativen Betrachtung einladen. Erschließen wird sich der psychoanalytische Subtext aber wohl nur recht versierten Traumdeutern - der Großteil des Publikums bleibt ratlos und auf Erklärtexte im Programmheft angewiesen.
Designerroben auf der Bühne
Das Kostümbild im Theater an der Wien stammt von keinem Geringeren als dem französischen Designer Christian Lacroix, der bereits seit mehr als zehn Jahren an der Seite von Boussard am Theater arbeitet. Er habe schon seit seiner Kindheit eine Schwäche fürs Theater gehabt, so der 80er-Jahre-Modestar.
Der Weg zur Barockoper scheint da nur konsequent - galt Lacroix doch als der Barockmeister der französischen Modewelt, bekannt für seine üppig anmutenden Kleider, Ballonröcke und Puffärmel. Für „Radamisto“ hat der Designer eine Kostümwelt erschaffen, die historistisch, zeitlos und modern zugleich erscheint. Man könnte sagen: unentschlossen, aber nicht unstimmig zur Interpretation des Stücks als düsteren Traum.
Barockzitate finden sich vor allem in den Kleidern der Damen. Entgegen der Farbenpracht der damaligen Zeit setzt Lacroix jedoch auf eine komplette Reduktion. Genau wie im Bühnenbild von Vincent Lemaire, ebenfalls bereits langjähriger Mitarbeiter Boussards, beherrscht eine schwarz-weiße Ästhetik die Szenerie.
Der heimliche Protagonist Tiridate
Daniels als Titelheld Radamisto gelang es am Premierenabend nicht gänzlich, mit seinem Countertenor zu überzeugen. Und mit dem Bassbariton Florian Boesch als eitel-tyrannischem Tiridate scheint die Inszenierung am Theater an der Wien ohnehin einen anderen männlichen Protagonisten zu haben.

Monika Rittershaus
Zenobia (Patricia Bardon) würde eher sich selbst und ihren Mann Radamisto (David Daniels) opfern, als Tiridates Geliebte zu werden
Stimmlich sind es jedoch hauptsächlich die Damen, die zu überzeugen wissen: Bardon stattet die Zenobia mit ihrem intensivem Mezzo mit femininen Raffinessen aus, während Karthäuser als Polissena mit zarten Tönen und jugendlicher Leichtigkeit glänzt.
Minuziöse musikalische Ausgestaltung
Das Freiburger Barockorchester unter der Leitung des Belgiers Jacobs lässt musikalisch keine Wünsche offen. Jeder Takt sitzt. Die Rezitative bestechen durch ihre elegante Ausgestaltung, die 18 Da-capo-Arien decken das volle Repertoire barocker Affekte in abwechslungsreicher Ausgestaltung in Perfektion ab.
Hinweis
„Radamisto“ ist noch am 22., 24., 27., 29. und 31. Jänner jeweils um 19.00 Uhr im Theater an der Wien zu sehen.
Jacobs und das Orchester durften sich dementsprechend über ebenso große Zustimmung freuen wie die Sänger. Über die Leistungen des Regieteams war sich das Premierenpublikum schon weniger einig - und so mischten sich deutliche Buhrufe in den Premierenjubel.
Sophia Felbermair, ORF.at
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