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„Eierenge Sängerhose“

Orpheus hat Kummer. Aber nicht weil er wie bei Christoph Willibald Gluck „senza Euridice“ ist. Eher leidet er an sich selbst. So liest jedenfalls Elfriede Jelinek den Mythos von Orpheus und Euridike in „Schatten (Eurydike sagt)“ und will vor allem eines: entzaubern, um die Rollenklischees im großen (Kitsch-)Stoff freizulegen.

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Burg-Chef Matthias Hartmann ist bei der theatralischen Uraufführung dieses Texts Realist: Einen Jelinek-Text in voller Länge auf die Bühne zu bringen, das ist Thalia Theater, das ist Nicolas Stemann als Regisseur und Conferencier, das ist Festivalatmo, das heißt, am besten vor dem Theater eine Bar anbieten und das Publikum zwischen Text und Kaltgetränk wechseln lassen - so jedenfalls sah man es zuletzt bei den „Kontrakten des Kaufmanns“, und so kann Jelinek auf der Bühne in der Gesamtlänge funktionieren: in verdaubaren Häppchen.

Puppenspieler Nikolaus Habjan (l.) mit einer Elfriede Jelinek-Puppe

APA/Herbert Neubauer

Autorin in Puppenform: Nikolaus Habjan überzeugt an diesem Abend

Hartmann, unterstützt von Dramaturgin Amely Joana Haag, kürzt, präpariert im Bühnendekor von Johannes Schütze ein 90-Minuten-Pop-Album aus der Jelinek’schen Textkoloratur und lässt Orpheus allein gegen die siebenfache Eurydike und die Autorin selbst (auf die Bühne gebracht vom Star der Wiener Figurentheater, Nikolaus Habjan, antreten. Also eine kalkulierte Lose-lose-Situation (heißt auch: Hier kann man eigentlich nur gewinnen).

Die Autorin als Mit-Sprechpuppe

Jelinek ist im Vordergrund der Bühne Sprechpuppe, Echokammer und Beobachterin mit großen Augen: dabei mehr Basedow als Baselitz. Was sie da an dem Donnerstagabend im Akademietheater zu sehen bekam, das war mitunter zum Wegschauen, und ein bisschen war die auktoriale Puppe auch in die Rolle des Publikums geschlüpft.

Dieser Orpheus, er konnte einem leidtun. Auf dem Weg in die Unterwelt leidet er an sich selbst. Er hat, wie eine der Eurydikes dieses Abends sagen wird, „diese eierenge Sängerhose an“. „Ich habe Kummer“, intoniert gleich zu Beginn Lucas Gregorowicz, dem die Leidensrolle des Popstars, der „out of the dark into the blue“ schreitet, ein bisschen zu gut steht.

Unterwegs zur Schattenform

„Mein Mann singt auf seinem alten Soundtrack dahin“, konstatiert Eurydike. Er unterhält (oder meint zu unterhalten), Eurydike reflektiert, spaltet sich in sieben Personen (Elisabeth Augustin, Brigitta Furgler, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Katharina Lorenz, Christiane von Poelnitz, Yohanna Schwertfeger), die die Frauenrolle kommentieren, persiflieren und mitreflektieren. Sie ist Person, Chor und - wie es die Kostüme von Tina Kloempken verdeutlichen - Maske. Eurydike ist vor allem unterwegs zur Schattenform und Körperlosigkeit, über die sie sich dem geilen Mann entziehen könnte.

Puppenspieler Nikolaus Habjan (l.) mit einer Elfriede Jelinek-Puppe in einer Szene des Stückes "Schatten (Eurydike sagt)" von Elfriede Jelinek

APA/Roland Schlager

Christiane von Poelnitz als ein Siebentel der Eurydike

Am Mann kleben die Popschnulzen

Doch dieser Mann ist ohnedies nicht geil - zumindest nicht auf Frauen. Er ist weder hetero noch homo, er kreist nur um sich und die Frage, welcher Refrain zu welcher Gefühlslage passt. An ihm kleben alle möglichen Popschnulzen und Sängerkostüme: Mal ist er Falke, mal Kid Rock, mal Jamiroquai, in jedem Fall immer Witzfigur.

Die Frau, sie ist bei diesem Narziss bestenfalls Echokammer, Publikum, am besten Girlie-Publikum. Dem muss sie sich entziehen und nach dem vom Vergewaltiger Aristaios verursachten Schlangenbiss (in diesem Fall eine auf einem Strumpf aufgezeichnete Österreich-Flagge) nach dem Nichts sehnen.

Szene aus dem Stück "Schatten (Eurydike sagt)" von Elfriede Jelinek

APA/Roland Schlager

Die siebenfache Eurydike wird zum Chor, der Puppen- zum Schattenspieler

„Das Größte ist, nicht geliebt zu werden ...“

„Das Größte aber ist, nicht geliebt zu werden und nicht zu lieben“, steht programmatisch über die Suche nach der Schattenwelt und der Befreiung im Dunkel. Hartmann entscheidet sich für die Tonlage der Farce. Das rettet das Unterhaltungsformat Theater, macht den Abend aber nicht unbedingt kurzweilig. Nur am Ende, im Textnachspann im Dunkel darf man erahnen: In dieser Jelinek’schen Litanei steckt eine - den Mythos tatsächlich auf den Kopf stellende - Wehklage. Eine, die schonungslos und unsentimental auf die Rolle der Frau sieht.

Gerald Heidegger, ORF.at

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