Dem Arbeitgeber ausgeliefert
Tagsüber Anwaltskanzlei und abends Yoga-Ausbildung: Immer mehr Erwerbstätige in Österreich entscheiden sich für einen Nebenjob, ob als Ausgleich für einen nicht befriedigenden Hauptberuf oder aus finanziellen Gründen. Letzteres führt bei Menschen mit mehreren geringfügigen Beschäftigungen häufig zur existenziellen Bedrohung.
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Auf Platz eins der beliebtesten Nebenberufe stehen Buchhalter. Das ergab eine Erhebung der ING Diba vom August 2012. Hauptgrund dafür ist, dass viele kleine Firmen keine Ganztagskraft brauchen und die Finanzen auslagern. Dahinter folgen Vertriebsmitarbeiter (zumeist aus dem Banken- und Versicherungssektor). Auch der Handel sucht häufig Verkaufspersonal, das besonders in Randzeiten - am Abend oder am Wochenende - eingesetzt werden kann. Ebenfalls groß scheint der Bedarf an Nachhilfe sowie an Lektoren an Bildungseinrichtungen wie WIFI, VHS und bfi sowie Universitäten und Fachhochschulen.
56 Stunden pro Woche - Burn-out
Dass in diesem Sektor Arbeitnehmer nicht selten in die Armutsfalle tappen, weiß auch Hans P. (Name geändert). Er arbeitete von 2010 bis Mitte 2012 für gleich drei Bildungseinrichtungen. Als mehrfach geringfügig Beschäftigter hat nur ein Arbeitgeber seine Sozialversicherung abgedeckt.
„Das war sehr mühsam, da es mich erst viel Überredungsarbeit gekostet hat. Den Bogen überspannt hat dann schließlich mein Arbeitgeber, indem er mich rückwirkend von der Versicherung abgemeldet hat. Erfahren habe ich davon drei Wochen später - beim Arzt“, erzählt der 37-Jährige. Weitere drei Monate später wurden bei Hans Erschöpfungsdepression und Burn-out diagnostiziert. Innerhalb eines halben Jahres rutschte er von drei Jobs auf null. Ein Riesenproblem sei in der Weiterbildungsbranche das geringfügige Beschäftigungsverhältnis, mit dem sich die Arbeitgeber Auslastungsreserven schaffen. Damit seien ihnen die Beschäftigten hilflos ausgeliefert.
Ausgleich neben dem Hauptberuf
Als Edith K. (Name geändert) auf der Suche nach einem Zweitjob war, ging es nicht ums nackte Überleben. In ihrem Vollzeitjob arbeitet sie in einer Wiener Anwaltskanzlei. „Das ist der Teil meines Lohns, der für die lebensnotwendigen Fixausgaben draufgeht. Ich habe die Entscheidung für ein Jusstudium schon früh getroffen und bin natürlich froh, dass der Job gut bezahlt ist. Die große Liebe ist es nicht“, so Edith.
Ihre Leidenschaft für Spiritualität sieht die 34-Jährige in einer deutlich körperbezogeneren Arbeit erfüllt. Die Sehnsucht nach dem Ausgleich zum „kopflastigen“ Job - Ediths Hauptmotivation noch vor dem Finanziellen - führte die Wienerin ins Yoga-Zentrum. „Hier finde ich zu mir. Das klingt zwar sehr esoterisch, aber ich finde es wichtig zu wissen: Arbeit ist nicht alles.“ Das Problem kenne sie von vielen Bekannten und Freunden. Nur wenige fänden den nötigen Abstand zu beruflichen Belastungen, „und stattdessen rattert zu Hause das Kopfkino“, so die ausgebildete Anwältin. Das zusätzliche Einkommen fließt in Urlaub und Extraanschaffungen.
Zwei Jobs, keine Freizeit
Mit einem 40-Stunden-Vollzeitjob und zwölf Wochenstunden abendlicher Yoga-Kurse bleibe weder Platz für ausgiebige Freizeitgestaltung noch für Kinderplanung. „Diese zwei nicht unwichtigen Faktoren liegen in meinem Leben momentan auf Eis“, sagt sie. Langfristig hofft sie, in ihren Nebenberuf wechseln zu können, doch das hänge vor allem von einem ab: „Ich möchte finanziell nicht grundlegend zurückstecken. Meinen Lebensstandard, an den ich mich gewöhnt habe, könnte ich durch das Einkommen einer Yoga-Lehrerin wohl schwer halten.“
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