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Vergoldeter Grenzübertritt

Statt seines Stadtpalais in Paris oder einer Datscha nahe Moskau könnte der französische Schauspielstar Gerard Depardieu künftig ein wenig glamouröses Eckhaus in der 2.000-Seelen-Gemeinde Nechin bewohnen. Dort gibt es ein paar Bistros, eine Kirche und sehr viel Gegend, durch die hin und wieder ein Traktor fährt. Und es gelten dort die attraktiven belgischen Steuergesetze.

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In Nechin ansässig ist etwa schon die Familie Mulliez, Betreiber der französischen Hypermarktkette Auchan. Auch der Meunier-Clan, eine maßgebliche Kraft hinter dem Carrefour-Konzern, hat die Gegend laut der französischen Zeitung „Le Figaro“ schon für sich entdeckt. Für sie ergebe die Übersiedlung auch Sinn, sagte Bertrand Marot zuletzt gegenüber der Zeitung. Marot hat sich darauf spezialisiert, reichen Franzosen den „Schlepper“ nach Belgien zu machen.

Ein paar Kilometer mehr, ein paar Millionen weniger

Nechin ist nicht einmal 13 Kilometer vom nordfranzösischen Wirtschaftsknotenpunkt Lille entfernt, wo etwa auch die Konzernzentrale von Auchan beheimatet ist. Die dazwischen liegende Grenze ist für reiche Franzosen Goldes wert: In Frankreich will Präsident Francois Hollande trotz einer Niederlage weiterhin einen 75-prozentigen Steuersatz für Spitzenverdiener mit Einkommen über einer Million Euro pro Jahr beschließen. Mit einem Hauptwohnsitz in Belgien beträgt der Höchststeuersatz 50 Prozent.

Wegweiser in Richtung Nechin

Reuters/Pascal Rossignol

Immer mehr suchen den Weg nach Nechin

Nach Belgien übersiedelt ist etwa auch schon Bernard Arnault, der 31 Milliarden Euro schwere Lenker des Luxuskonzerns LVMH (Louis Vuitton, Moet, Hennessy und anderes mehr). Er wählte jedoch Brüssel als neue Heimatstadt - im Vergleich zu Nechin ein Moloch von Großstadt. Brüssel wäre vielleicht auch für Depardieu die bessere Wahl gewesen. Für „eine Show-Business-Person“ der Machart Depardieus sei Nechin wie ein „Begräbnis erster Klasse“, so „Promischlepper“ Marot.

Bürgermeister buhlt um reiche Franzosen

Was Nechin aber zu bieten hat, ist ein äußerst „kooperativer“ Bürgermeister namens Daniel Senesael. Er hat die Zeichen der Zeit erkannt und vermarktet seine Gemeinde offensiv bei reichen Franzosen als Fluchtpunkt. Das bedeutet nicht äußerstes Entgegenkommen bei der Ansiedlung, sondern ein „Komplettpaket“. So kümmert sich Senesael auch darum, dass Depardieu möglichst schnell einen belgischen Pass bekommen kann, um mehr Steuern zu sparen.

Ein neues Gesetz wird ihm dabei helfen, denn was Nechin im Kleinen tut, tut Belgien im Großen: Bisher galt die eiserne Regel, dass man für einen belgischen Pass drei Jahre im Land gelebt haben muss. Zum Jahreswechsel wird jedoch ein neues Gesetz in Kraft gesetzt, wonach „Normalsterbliche“ fünf Jahre warten müssen, VIPs aber nur noch sechs Monate. Eine wahre Flut von Einbürgerungsgesuchen reicher Franzosen wird erwartet.

Dorfidylle von Nechin

Reuters/Pascal Rossignol

Viel Platz für Steuerflüchtlinge

„Europäisches Denken“ der anderen Art

Schon jetzt liegen laut dem britischen „Independent“ 500 Einbürgerungsgesuche von - vor allem reichen - Franzosen in Belgien vor. Tausende mehr haben in Belgien einen Zweitwohnsitz begründet, ohne die Staatsbürgerschaft abzugeben. Das Problem von „legaler Steuerflucht“ innerhalb der EU ist spätestens auf der gesamteuropäischen Agenda, seit die Europäische Kommission Anfang Dezember angekündigt hat, in dem Bereich „hart durchzugreifen“.

Depardieu selbst rechtfertigt seinen Ortswechsel als „europäisches Denken“. Er ist in dieser Hinsicht nicht allein: Schauspieler Sean Connery war etwa schon einmal Spanier, die Mitglieder der Rockband Rolling Stones allesamt aus steuerlicher Sicht Franzosen, selbst US-Soul-Legende Marvin Gaye war während seiner letzten drei Lebensjahre Belgier; nicht zu vergessen die steuerlichen „Österreicher“ von Flick und Horten über Schuhmacher bis Beckenbauer.

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