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Hightech schützt vor Schiffbruch nicht

Spektakuläre Landschaften, unbezwingbare Naturgewalten, wilde Tiere und einen Helden, dessen Glaube Berge versetzt - das alles hat „Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger“ zu bieten. Und doch ist die abenteuerliche Geschichte, die dieser Tage in den Kinos anläuft, mehr Ärgernis als Offenbarung.

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Die Lobeshymnen der US-Kritik machen es beinahe unmöglich, an „Life of Pi“, dem diesjährigen Weihnachtsfilm, vorbeizukommen. In Zeiten, in denen viele Menschen Halt im Spirituellen suchen, haben auch Filme, die von der Suche nach dem Sinn des Lebens handeln, Hochkonjunktur. Und immerhin ist es ja nicht irgendeiner, der sich hier ans Werk gemacht hat, den Bestseller „Schiffbruch mit Tiger“ (2001) des kanadischen Schriftstellers Yann Martel zu verfilmen. Ang Lee, oscarprämierter Allrounder auf dem Regiestuhl, Meister der Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz, galt bisher als Garant für hochwertiges Popcornkino mit Tiefgang.

Götter als Superhelden

Diesmal bedient sich Lee der hochmodernen CGI-Technik, um das Drehbuch mit opulenter 3-D-Animation auf die Leinwand zu bringen. Die Geschichte handelt von Piscine Molitor Patel, genannt Pi, Sohn eines Zoodirektors im indischen Pondicherry. Der aufgeweckte Bub interessiert sich sehr für den Werdegang allen Seins und – zum Missfallen seines atheistischen Vaters – für alle Religionen mitsamt ihren Göttern. Er liest Comics, in denen nicht Spiderman & Co., sondern hinduistische Götter die Superhelden sind. Pi ist ein gläubiger Hindu, der in sein persönliches Glaubensspektrum auch das Christentum und den Islam integriert.

Szene aus "Life of Pi"

2012 Twentieth Century Fox

Für Pi ist die Welt eine bunte Mischung aus Göttern und Religionen

Als der Vater beschließt, nach Kanada auszuwandern, begibt sich Pis Familie mit dem halben Zoo auf einen japanischen Frachter. Mitten auf dem Ozean sinkt das Schiff mitsamt der Besatzung, nur der mittlerweile 16-jährige Pi und ein bengalischer Tiger namens Richard Parker landen gemeinsam auf einem Rettungsboot und überleben. Monatelang treiben die beiden auf offener See, Pi braucht seinen ganzen Einfallsreichtum, um für sich selbst und das Tier zu sorgen. Teenager und Tiger bilden eine Zweckgemeinschaft, die langsam zu einer schicksalhaften Freundschaft wird. Die Abenteuer, die sie gemeinsam bestehen, werfen Fragen auf, für die nur Gott allein die Antwort zu kennen scheint.

Szenen mit Wow-Effekt

Die ersten Szenen des Films sind ein einziger Wow-Effekt. Seit „Avatar - Aufbruch nach Pandora“ (2009) hat man keine so perfekte 3-D-Technik mehr im Kino gesehen. Die Aufnahmen der Zootiere zu Beginn sind atemberaubend, beinahe möchte man in Deckung gehen, wenn einem ein Kolibri direkt entgegenzufliegen scheint.

Leichtfüßig und humorvoll kommt die Geschichte über den indischen Buben, der die Welt hinterfragt, anfangs daher. Die Rahmenhandlung bildet ein Gespräch des erwachsenen Pi mit einem Schriftsteller, der sein Abenteuer aufschreiben soll. „Es ist eine Geschichte, die einem den Glauben an Gott zurückgibt“, wird behauptet. Man weiß also gleich, dass zumindest die Hauptfigur das Ganze überleben wird.

Szene aus "Life of Pi"

2012 Twentieth Century Fox

Der Bub und der Tiger streiten um das Revier

Bombastisch und überlang wird der Untergang des Frachters auf dem tobenden Ozean gezeigt. Was folgt, ist die Kapitulation eines armen Sünders vor der Allmacht Gottes (Pi: „Gott, ich gebe mich in deine Hände“) und seine wachsende Ehrfurcht vor der Gewalt der Natur. Durch die Angst zu sterben bleibt der Schiffbrüchige wachsam, das Zähmen des Tigers gibt seinem Überleben einen Sinn.

Nervtötendes religiöses Pathos

In der Folge wird der Zuschauer förmlich erschlagen von fluoreszierenden Meerestieren und spektakulären Himmelsbildern mit ihrer märchenhaft-kitschigen Opulenz. Der zur Gänze 3-D-animierte Tiger als Gegenspieler des mutigen, seelenvollen Jungen ist mit seinem lauten Knurren mit der Zeit ebenso nervtötend wie die Aufladung der Actionszenen mit religiösem Pathos. „Ich habe alles verloren! Ich ergebe mich! Was willst du denn noch von mir, Gott?“, schreit Pi etwa händeringend, während sein Rettungsboot von haushohen Wellen gepeitscht wird.

Als er sich dann auch noch weinend bei einem gefangenen Fisch dafür entschuldigt, ihn getötet zu haben, wird der Druck auf die Tränendrüse mit dem Holzhammer beinahe unerträglich. Szenen wie diese schaffen eine Distanz zwischen Zuschauer und Geschichte, die Lee, sonst Meister der feinen Zwischentöne in Beziehungsfragen, im Laufe des Films nicht mehr aufheben kann.

Szene aus "Life of Pi"

2012 Twentieth Century Fox

Die gigantische 3-D-Technik schadet dem Film eher, als sie ihm nützt

Sieht man „Life of Pi“ als philosophisch-religiöse Parabel, so erkennt man vor allem in dem Gespräch des erwachsenen Pi mit dem ungläubigen Schriftsteller Parallelen zu Gotthold Ephraim Lessings Ringparabel. Die Botschaft lautet, dass die Menschen sich nicht darauf versteifen sollen, die einzige wahre Religion zu finden. Auch Pi will sich nicht beschränken und setzt seinen Glauben aus Hinduismus, Christentum und Islam zusammen.

Film erleidet Schiffbruch

Der Aufruf des Films zu Toleranz in einer martialischen Welt verhallt aber in den moralisierenden Untiefen der unglaubwürdigen Geschichte. Die Frage am Ende des Films - „Welche Geschichte möchten wir glauben?“ - ist man versucht, mit „Diese nicht!“ zu beantworten. Lee, der sich der Kitschästhetik seines Films bewusst sein muss, hat diesmal zu den falschen Stilmitteln gegriffen. Das Abenteuermärchen, dessen Plot per se schon schwülstig ist, kippt durch die überladene Bildsprache – perfekte 3-D-Animation hin oder her – und den erhobenen Zeigefinger ins Triviale und hat dadurch leider Schiffbruch erlitten.

Sonia Neufeld, ORF.at

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