Vorratsdatenspeicherung vor EuGH
Etappensieg für die 11.139 Bürger, die sich der Verfassungsbeschwerde gegen die pauschale Überwachung aller Internet- und Telefonieverbindungen ausgesprochen haben: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) lässt den Europäischen Gerichtshof (EuGH) prüfen, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta in Einklang zu bringen ist.
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Nach dem irischen High Court ist der VfGH das zweite Höchstgericht eines EU-Mitgliedslandes, das die 2006 beschlossene Richtlinie für die Vorratsdatenspeicherung vom EuGH daraufhin prüfen lässt, ob diese mit den Grundrechten der EU vereinbar ist. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger sagte gegenüber ORF.at, dass die österreichische Anfrage nicht mit jener der Iren zusammengelegt werde, da sie detailliertere Fragen zur Vereinbarkeit mit den Grundrechten stelle.
Mit der Vorratsdatenspeicherung, die seit 1. April dieses Jahres in Österreich in Kraft ist, verpflichtet der Staat Internet- und Telefonieprovider dazu, sämtliche Verbindungs- und Handystandortdaten für mindestens sechs Monate zur Bekämpfung schwerer Straftaten zum Abruf durch die Exekutive bereitzuhalten. Dabei werden zwar keine Kommunikationsinhalte gespeichert und übermittelt. Aber die Informationen darüber, wer wann wo mit wem telefoniert oder gemailt hat, ergeben bereits ein sehr deutliches Profil eines Menschen. Entscheidend dabei ist, dass verdachtsunabhängig pauschal alle Daten sämtlicher Nutzerinnen und Nutzer gespeichert werden.
Konflikt mit Grundrechtecharta
„Dadurch kommen zum weitaus überwiegenden Teil Bürger ins Visier der Sicherheitsbehörden, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen“, so Holzinger. „Wir haben Zweifel daran, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit den Rechten, die durch die EU-Grundrechtecharta garantiert werden, wirklich vereinbar ist.“ Artikel acht der Grundrechtecharta schützt nämlich die personenbezogenen Daten aller Bürger. Der Datenschutz ist auch in der österreichischen Verfassung verankert. Darüber hinaus hatte der VfGH im Frühjahr entschieden, dass die EU-Grundrechtecharta im Rang der heimischen Verfassung steht, wenn in einem Verfahren das EU-Recht berührt wird.
Dass der VfGH die Vorratsdatenspeicherung in deren Substanz dem EuGH vorlegt, ist ein großer Erfolg für die Beschwerdeführer, den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat), die Kärntner Landesregierung und den Mitarbeiter eines Telekommunikationsunternehmens, der Individualbeschwerde eingereicht hat. Der VfGH geht in seinem Engagement einen entscheidenden Schritt weiter als das deutsche Bundesverfassungsgericht, das in einem vergleichbaren Verfahren die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung zwar als verfassungswidrig erkannte, aber den Konflikt mit den EU-Grundrechten nicht vor den EuGH trug.
Überwachung bleibt in Kraft
Ein Wermutstropfen für die Gegner: Die Vorratsdatenspeicherung bleibt vorerst in Kraft, die Provider müssen weiter speichern. Und der EuGH hat laut Zahlen für das Jahr 2011 für ein Vorabentscheidungsverfahren im Schnitt rund 16,4 Monate gebraucht. Was die inhaltlich verwandte irische Beschwerde betrifft, so rechnet man im EuGH laut Auskunft gegenüber ORF.at damit, dass im Frühjahr das Schlussplädoyer des Generalanwalts vorliegen wird.
Die Verbindungs- und Kundendaten der Provider sind auch bei der anstehenden Novelle des Urheberrechts ein strittiger Punkt. Medienindustrie und Verwertungsgesellschaften hätten gerne Zugriff darauf, um Urheberrechtsverletzer abmahnen zu können. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Grüne und SPÖ haben sich bereits gegen die Nutzung der Daten zu diesem Zweck ausgesprochen.
Günter Hack, ORF.at
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