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Django reitet wieder

Quentin Tarantinos Filme kann man auf zwei Arten betrachten. Erstens gibt es Action, Witz und Coolness - und zweitens die Debatten, die Tarantino auslöst, seine filmhistorischen Spielchen und das, was man den Tarantino-Faktor nennen könnte. Der ist denkbar hoch bei „Django Unchained“. Der Film ist mehrfach Oscar-nominiert und Golden-Globes-geadelt.

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In seinem ersten Film „Reservoir Dogs“ (1992) führte Tarantino die für ihn charakteristische Form von genüsslich in Szene gesetzter expliziter Gewalt ein. Die Folterszene mit dem Tanz um den Gefesselten und das abgeschnittene Ohr setzten neue Maßstäbe - und sorgten für Diskussionen. Mit „Pulp Fiction“ (1994) kamen der Humor, der Soundtrack als Popkunstkonzept und die angeberisch zur Schau gestellte Coolness dazu. So „geil“ kann es ausschauen, wenn man sich Heroin spritzt - aber darf man das zeigen?

In „Jackie Brown“ (1997) setzte Tarantino mit dem Blaxploitation-Kino einem Genre ein Denkmal. 38-mal kam das Wort „Nigger“ vor, nicht nur Regiekollegen Spike Lee, der sich nun auch zu Wort meldete, war das zu viel. Die beiden „Kill Bill“-Filme (2003/2004) sind ein Racheepos und haben außer Uma Thurman und Gewalt (Martial Arts diesmal) Anleihen bei asiatischen Eastern und bei Italowestern zu bieten. In „Inglourious Basterds“ (2009) trieb Tarantino sein Spiel mit Juden, die ultrabrutal gegen Nazis kämpfen. Aber warum mussten sie noch abartiger und durchgeknallter dargestellt werden als die Nazi-Schergen?

Dr. King Schultz (Christoph Waltz) und Django (Jamie Foxx) in "Django Unchained"

2012 Sony Pictures Releasing GmbH

Christoph Waltz als Dr. Schultz, Jamie Foxx als Django

Christoph Waltz auf den Leib geschrieben

Der dreistündige Western (Tarantino selbst nennt ihn in Interviews lieber „Southern“) „Django Unchained“ vereint all das in sich, er ist die Synthese des bisherigen Werks des Regisseurs. Er setzt dem Genre des Italowestern ein Denkmal, neben „Django“ (1966) sei Sergio Leones „Dollar“-Trilogie (1964 bis 1966) genannt, und er zitiert das Sklavendrama „Mandingo“ (1975). Tarantinos Variante ist brutal wie „Reservoir Dogs“, witzig und überdreht wie „Pulp Fiction“, ein Racheepos wie „Kill Bill“, und widmet sich mit der Sklaverei einem ähnlich schwierigen Thema wie dem Nationalsozialismus in „Inglourious Basterds“.

Mit dem Original-„Django“ aus dem Jahr 1966 hat der neue Django wenig Plot gemein, eher die Haltung: Ein Antiheld kämpft entgegen allen Widerständen und Konventionen für Gerechtigkeit, für eine Frau und für sich selbst gegen den Rest der Welt. Christoph Waltz (er erhielt einen Golden Globe für die Rolle) spielt den deutschen Dr. King Schultz, einen (angeblichen?) Zahnarzt, der auf Kopfgeldjäger umgesattelt hat. Tarantino dürfte Waltz das Drehbuch auf den Leib geschrieben haben. Für seine Rolle in „Inglourious Basterds“ bekam dieser ja seinen Oscar.

Tarantino und die Sklavenpeitsche

Man schreibt das Jahr 1858. Schultz jagt drei Outlaws, weiß aber nicht, wie diese aussehen. Deshalb kauft er den Sklaven Django (gespielt von Jamie Foxx, weil mit Will Smith kein Vertrag zustande kam), der das Trio kennt, verspricht ihm für später die Freiheit und heuert ihn als Ko-Kopfgeldjäger an. Schultz soll Django in der Folge helfen, seine Frau aus der Sklaverei zu befreien. Sprich: Django lernt das Morden und macht mehr und mehr davon Gebrauch, bis zum blutrünstigsten Western-Showdown der Filmgeschichte.

Die Sklaverei, Auspeitschungen, andere Folter und viel spritzendes Blut und Beuschel bei den Schießereien sorgen drei Stunden lang für Tarantino-Stimmung. Das Zelebrieren von Coolness und der Humor finden auch diesmal Platz. Django fragt Schultz im Geschäft: „Ich darf mir meine eigene Garderobe aussuchen?“ In der nächsten Szene sitzt er mit blauem, hautengem Seidenanzug und Rüschenhemd auf dem Pferd. Später wird er dieses Outfit gegen Sonnenbrille, Lederkluft und Cowboyhut eintauschen. Dann ist er schon Django, der Killer.

Django (Jamie Foxx) und Broomhilda von Shaft (Kerry Washington) in "Django Unchained"

2012 Sony Pictures Releasing GmbH

Django und seine Brunhilde (Kerry Washington)

Der Soundtrack hat von Beethoven über Hip-Hop bis zu Johnny Cash alles zu bieten, was man sich bei den Themen US-Rassismus, Deutschland und Western vorstellen kann, rücksichtslos hintereinandergestückelt. Es wird spannend zu hören sein, wie sich das als Soundtrack auf CD macht.

Die Geschmacksfrage

Schauspielerisch liefert Waltz mit Bravour, was von ihm erwartet wird. Sein Dr. Schultz ist sehr deutsch, gleichzeitig brutal und gerecht, zynisch und zuvorkommend, dazu ein Gegner der Sklaverei und schonungslos bei der Kopfgeldjagd. Weil Djangos Frau in einem deutschen Haushalt aufwuchs, glaubt Schultz sein Glück kaum: Sie heißt Brunhilde, von ihren späteren Besitzern ignorant zu „Broomhilda“ (engl. broom: Besen) verballhornt. Spätestens da beschließt er, seinem „Siegfried“ Django zu helfen.

An diesem Punkt setzt die Debatte in den USA ein, wie der „Hollywood Reporter“ berichtet. Es ist zwar ein Schwarzer, der die Sklavenhalter slasht, aber davor musste er von einem Weißen befreit werden - und dann ist er auch noch auf dessen Hilfe angewiesen. Zudem sei es geschmacklos, die Gewalt gegen Sklaven ästhetisch auszukosten - etwa wenn ein Schwarzer Hunden zum Fraß vorgeworfen wird. Und schließlich, unvermeidbar: Auch diesmal wurde das „N-Wort“ gezählt, über 100-mal soll es vorkommen, wieder wird Kritik daran geübt.

„Die Sklaverei war kein Sergio-Leone-Spaghetti-Western“, twitterte Lee als Reaktion auf den Film. „Sie war ein Holocaust. Meine Vorfahren sind Sklaven. Gestohlen aus Afrika. Ich werde sie ehren“, schrieb der schwarze Regisseur.

„Nigger“ - Realität in den USA

Django-Darsteller Fox rechtfertigt den Film gegenüber der britischen „Daily Mail“. Das Wort „Nigger“ sei traurige Realität in den USA - und die könne man nicht ausblenden. Auch er selbst sei in seiner Jugend in Texas ständig als „Nigger“ bezeichnet worden. Dafür gestand Foxx nach dem Bekanntwerden des Schulmassakers von Newtown ein, dass Hollywood mit der vielen Gewalt in Filmen für eine Verrohung der Gesellschaft mitverantwortlich zeichne.

Aufgrund der zahlreichen Schießereien im Film wurde sogar die offizielle Premiere von „Django Unchained“ abgesagt. Nur für die Crew wurde der Film kurz vor Weihnachten gezeigt. Tarantino dürfte an der Entscheidung seines Produzenten Weinstein nicht beteiligt gewesen sein. Er sagte am Rande einer Veranstaltung zu Medien, er wolle seine Filme nicht jedes Mal verteidigen müssen, wenn es zu einem Massaker komme. Solche Tragödien passierten eben.

Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) in "Django Unchained"

2012 Sony Pictures Releasing GmbH

Leonardo DiCaprio als Sklavenhalter

Staraufgebot in Charakterrollen

Ausschließlich blöd ist Tarantinos Film im Umgang mit dem Thema Sklaverei freilich nicht. Die Figur des Sklavenhalters, gespielt von Leonardo DiCaprio, legt den Blick frei auf den grundlegenden Rassismus, der das massenhafte Ausbeuten, Quälen und Töten von Menschen erst möglich macht. Und die ambivalente, gemeine, von Samuel L. Jackson verkörperte Version eines „Onkel Tom“ wirkt ebenfalls nach. Don Johnson als Sklavenhalter sieht wenigstens gut aus.

Reizüberflutung als Programm

Tarantinos Filme haben neben der Geschmacksfrage oft ein anderes Problem: die Reizüberflutung. Ab einem gewissen Zeitpunkt, wenn alle Tabus gebrochen sind, kann einen nichts mehr überraschen. Dann wird es ein wenig langweilig, gerade wenn ein Film wie „Django Unchained“ knappe drei Stunden dauert. Manche werden sagen, das sei ja gerade der Witz an der Sache, das beständige „way too much“. Das mag stimmen.

Nur - die verpfuschte Ökonomie der Dramaturgie einer Story bleibt eine solche, auch wenn das Konzept ist. Es soll keine Entschuldigung Tarantinos sein, aber „Django Unchained“ leidet nicht allzu sehr darunter. Das Feuerwerk an abseitigen Bildern und ebensolchen Assoziationen, der Tarantino-Faktor also, entschädigt hinreichend dafür - diesmal. Denn ein Spaghettiwestern des Jahres 2012 ist das richtige Umfeld für seinen spezifischen Kinowahnsinn - selbst wenn es dabei um Sklaverei geht. Der Film hat das Zeug zum Klassiker, er ist der vielleicht beste Tarantino seit „Reservoir Dogs“.

Simon Hadler, ORF.at

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