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Ermittler suchen weiter nach Gräbern

Auf dem Gelände der Arthur G. Dozier School for Boys im US-Bundesstaat Florida suchen seit knapp zwei Jahren Teams aus Mordermittlern, Gerichtsmedizinern und Humanbiologen nach den Überresten Dutzender Kinder und Jugendlicher - Opfer von Misshandlung und Mord. Anfangs waren die Behörden von rund 30 Todesfällen ausgegangen, mittlerweile sind fast 100 bestätigt - und es dürften noch mehr werden.

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Die Suche war in den letzten Monaten intensiviert worden: Die Liste mutmaßlicher Opfer wurde nach Aussagen von Ex-Schülern der „Besserungsanstalt“, in der bis vor einigen Jahren männliche Jugendliche wegen kleinerer Vergehen einsaßen, immer länger, auf dem Friedhof des Schulgeländes fanden sich vorerst aber nur rund 30 Gräber. Zahlreiche weitere entdeckten Ermittler in einem angrenzenden Wald, überwuchert von Gestrüpp.

Die Schule war im Juni des Vorjahres nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals endgültig geschlossen worden. Ihren Betrieb hatte die euphemistisch als „Reform School“ bezeichnete Anstalt bereits im Jahr 1900 aufgenommen.

Mehr dokumentierte Opfer als Gräber

Nach einer Untersuchung des Florida Department of Law Enforcement (FDLE) seien bisher 98 Todesfälle dokumentiert, berichtete zuletzt der britische „Guardian“. Dabei handle es sich um 96 Jugendliche und zwei Erwachsene. Zwischen 1914 und 1952 seien 45 davon auf dem Gelände der Anstalt beerdigt worden, 31 auf Friedhöfen außerhalb. In 22 Fällen seien bisher noch immer keine Grabstätten gefunden worden.

Prügel statt Erziehung

Die Dozier School for Boys hat eine lange Geschichte. Sie wurde 1900 als staatliche Umerziehungsanstalt gegründet und war lange für ihre brutalen Erziehungsmaßnahmen berüchtigt. Schon 1903 gab es Berichte, wonach Kinder dort in Ketten gehalten werden. Aus den 1950er und 1960er Jahren gibt es viele Berichte über schwere Misshandlungen. 2008 wurden Untersuchungen eingeleitet. 2011 wurde die Schule geschlossen.

„Wir haben fast doppelt so viele Gräber gefunden, wie wir zu finden geglaubt hatten, aber viele davon waren unter Gebüschen und Bäumen im Wald verschwunden“, zitierte die Zeitung Erin Kimmerle von der Universität Tampa. Sie leitet ein Team aus Anthropologen und Archäologen, das das Gelände untersucht. Die Todesumstände seien in den meisten Fällen unklar, so Kimmerle. „Wo die Ursachen geklärt werden konnten, haben wir zumeist Infektionskrankheiten, Tod durch Feuer, physische Traumata oder Ertrinken festgestellt.“

Bei den meisten der Toten habe es sich um Kinder afroamerikanischer Herkunft im Alter zwischen sechs und 18 Jahren gehandelt. Das bedeute, dass das Ausmaß das Gewalt, von dem ehemalige Insassen gesprochen hatten, noch viel größer sei als bisher angenommen, so der „Guardian“. Ex-Schüler hatten von regelmäßig Schlägen, Vergewaltigungen und Mord berichtet.

Kaum juristische Folgen

Kimmerles Team habe trotz spärlicher Aufzeichnungen herausgefunden, dass die Todesfälle oft Folge von Fluchtversuchen gewesen seien bzw. sich häufig in den ersten drei Monaten des Aufenthalts in der Schule ereigneten. Juristische Folgen dürfte der Skandal kaum noch haben, so die britische Zeitung. Viele Lehrer, die an der Schule gearbeitet hatten, seien längst tot.

Außerdem sei die FDLE zu dem Schluss gekommen, dass die Beweislage gegen Erzieher überhaupt zu dünn sei. Die Universität Tampa will ihren Bericht trotzdem demnächst an die Behörden übergeben und erhielt auch grünes Licht für weitere Grabungen rund um das Gelände. Selbst wo Aufzeichnungen über Todesfälle geführt wurden, ließen diese Fragen zu den genauen Umständen meist offen, heißt es in dem Papier. Vielfach sei nicht einmal klar, wer in welchem Grab liege.

„White House Boys“ wollen Aufklärung

Die Überlebenden der Anstalt, die sich selbst als „White House Boys“ („Die Buben vom weißen Haus“) bezeichnen, fordern Aufklärung. Der Name bezieht sich auf ein kleines weißes Gartenhaus auf dem Gelände der Anstalt, in der die Kinder ab fünf Jahren an Wände oder Betten gefesselt und geschlagen worden sein sollen.

Das Gebäude auf dem Schulgelände, in dem die Kinder misshandelt wurden

AP/Phil Coale

Ex-Schüler berichten von Folter in weißem Gartenhaus

„Ich weiß von einem, den ich persönlich in einer Badewanne habe sterben sehen, nachdem er erst halb tot geschlagen worden war“, sagte Roger Kiser, ein ehemaliger Schüler. „Ich hatte geglaubt, er sei bei einem Fluchtversuch von den Hunden angegriffen worden. Ich habe nie die Wahrheit darüber erfahren.“ Ein andere Bub sei in einen Wäschetrockner gesperrt worden und darin gestorben.

Wegen Bagatellen in „Besserungsanstalt“

Die Kinder seien wegen Bagatellen wie Rauchen in der Schule in die Besserungsanstalt gekommen, erzählte ein anderer früherer Insasse, der 67-jährige Jerry Cooper. „Wir waren keine schlechten Kinder. Wir hätten vielleicht etwas Hilfe gebraucht. Aber dort war nicht der richtige Platz dafür.“ Dutzende weitere frühere „White House Boys“ schilderten ähnliche Horrorszenen wie Kiser und Cooper. Gerüchte, dass in der Schule etwas nicht mit rechten Dingen zugehe, hatten sich jahrzehntelang hartnäckig gehalten. Nach einer ersten Untersuchung 2008 wurden offiziell keine Beweise für Misshandlungen gefunden, dafür aber zahllose Gräber - von Schülern, die es offiziell nie gegeben hatte.

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