Zensur in China verteidigt
Schwedens König Carl XVI. Gustaf hat am Montag in Stockholm den Nobelpreis für Literatur an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan überreicht. Gleichzeitig erhielten acht durchwegs männliche Preisträger aus den USA, Japan, Frankreich und Großbritannien die wissenschaftlichen Nobelpreise für Medizin, Physik, Chemie sowie Wirtschaftswissenschaften.
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Der Literaturnobelpreis ist wie die anderen Nobelpreise mit acht Millionen schwedischen Kronen (927.000 Euro) dotiert. Mo Yan sieht Kritik an seiner politischen Rolle in China als „Dreckwasser“ und „Steinewerfen“. Bei der traditionellen Nobelvorlesung drei Tage vor Entgegennahme der Auszeichnung sagte der 57-Jährige am Freitag in Stockholm, der Gegenstand der Debatte habe mit ihm als Person „so gut wie nichts zu tun“.

AP
Mo Yan wehrt sich mit deftigen Worten gegen seine Kritiker
Chinesische Kritiker sowie unter anderen die deutsch-rumänische Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller werfen Mo Yan unkritische Anpassung an die Machthaber in China vor. Empörung lösten Äußerungen Mo Yans vom Vortag in der schwedischen Hauptstadt aus, als er die Zensur in seiner Heimat mit lästigen, aber unumgänglichen Sicherheitskontrollen auf Flughäfen verglich. Gleichzeitig lehnte er es ab, sich einer Initiative von 134 Nobelpreisträgern zur Freilassung des inhaftierten chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo anzuschließen.
„Schmutzwasser“ und „Blumen“
Zur Kritik an auch vorher getroffenen ähnlichen Äußerungen sagte der Schriftsteller bei der Nobelvorlesung nach dem vorab verbreiteten Text: „Ich fühle mich wie ein Theaterbesucher, der dem Treiben auf der Bühne zusieht. Ich sehe, wie ein Preisträger mit Blumen überhäuft, aber auch mit Steinen beworfen und mit Dreckwasser überschüttet wird.“ Er wische sich das „Schmutzwasser“ aber gelassen ab und sage zum Publikum: „Für einen Schriftsteller ist der beste Weg, sich zu äußern, das Schreiben.“
Als vorsichtige, indirekte Aufforderung zu mehr Zivilcourage werteten Beobachter eine von Mo Yan wiedergegebene Geschichte aus seiner Kindheit. Dabei habe er als Schüler in den 60er Jahren einen Mitschüler denunziert, der sich dem Gruppenzwang zu allseitigem „Weinen“ bei einer Ausstellung über Leiden des Volkes verweigerte. Mo Yan sagte weiter: „Wenn alle weinen, dann sollte es einen geben, der nicht weint. Und wenn das Geheule zudem nur zur Schau gestellt ist, dann ist es umso wichtiger, dass einer sich dem Weinen verweigert.“
Huldigung an Mutter
Den größten Raum bei der Vorlesung nahm eine Huldigung des Nobelpreisträgers an seine Mutter mit Erzählungen aus der eigenen, bitterarmen Kindheit in einem Dorf ein. Mo Yan berichtete auch über seinen literarischen Weg als „Geschichtenerzähler“ von ersten Versuchen während der Armeezeit über Nachahmungsversuche von großen westlichen Vorbildern wie William Faulkner und Gabriel Garcia Marquez bis zur späteren Besinnung auf alte chinesische Erzähltraditionen.
„Halluzinatorischer Realismus“
Zur Begründung für den Literaturnobelpreis hieß es, Mo Yan habe „mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart vereint“. Die Jury in Stockholm schrieb: „Mit einer Mischung aus Fantasie und Wirklichkeit, aus historischen und sozialen Perspektiven hat Mo Yan eine Welt erschaffen, die in ihrer Komplexität an William Faulkner und Gabriel Garcia Marquez erinnert. Zugleich fußt sie auf der älteren chinesischen Literatur und mündlichen Erzähltraditionen des Volkes.“
Der Preisträger selbst reagierte zunächst „überglücklich und erschrocken“, spielte dann aber die Bedeutung der Auszeichnung für sich herunter. „Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Nachricht gehört habe“, sagte er kurz nach Bekanntgabe Anfang Oktober der Nachrichtenagentur China News Service. „Doch glaube ich nicht, dass der Preis etwas bedeutet. China hat viele großartige Schriftsteller, die auch dazu befähigt sind, von der Welt anerkannt zu werden.“
Romanverfilmung mit Berlinale-Preis ausgezeichnet
Im Westen wurde der Bauernsohn aus der ostchinesischen Provinz Shandong, der sich in seinen Werken immer wieder mit dem harten Landleben auseinandersetzte, vor allem durch die Verfilmung seines Romans „Das rote Kornfeld“ durch Zhang Yimou bekannt, die 1988 mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet wurde. Mo Yan ist übrigens ein Pseudonym und heißt „ohne Sprache“ oder „der Sprachlose“. Sein wirklicher Name ist Guan Moye.
Mo Yan wurde am 17. Februar 1955 in Gao Mi geboren. Seine schriftstellerische Tätigkeit begann er als Soldat der Volksbefreiungsarmee, wo er später auch an der Kunsthochschule studierte und an der Literaturabteilung der Kulturakademie der Armee unterrichtete. „Das rote Kornfeld“, 1987 erschienen, wurde sein größter Erfolg. In seinen weiteren Werken entfernte er sich mit absurden Einsprengseln und raffinierten Konstruktionen immer weiter von einem simplen Realismus - auch als Taktik gegen die restriktiven Behörden, wie es heißt.
2009 war Mo Yan Mitglied der offiziellen Delegation des Ehrengastlandes China auf der Frankfurter Buchmesse. Dass er sich dabei am Auszug der Delegation von einem Literatursymposion, an dem auch Dissidenten teilnahmen, beteiligte, trug ihm heftige Vorwürfe ein.
Romane über gesellschaftspolitische Themen
Auf Deutsch übersetzt wurden unter anderem seine Bücher „Die Schnapsstadt“, „Die Sandelholzstrafe“, „Die Knoblauchrevolte“ und „Der Überdruss“. Diesen Roman stellte er 2009 auch in der Aula des Campus der Universität Wien vor. Mit seinem Roman „Frosch“ (in China ein traditionelles Symboltier für Geburten) griff er das aktuelle Thema der gesellschaftlichen Auswirkungen der chinesischen Einkindpolitik auf und sorgte für Diskussionen.
Thema ist das Schicksal einer Kinderärztin auf dem Land, die in heftigen Gewissenskonflikt zwischen der strikten staatlichen Geburtenkontrolle und dem Wert jedes einzelnen Lebens geriet. Als Vorbild für die Figur soll Mo Yan seine Tante gedient haben, die selbst seit Anfang der 80er Jahre bei Geburten als Ärztin tätig war. Für das Buch gewann er 2011 den Mao-Dun-Preis.
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