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Schwere Geburt mit gutem Ausgang

Dass das Wiener Kunsthistorische Museum (KHM) am Mittwoch einen ersten Blick auf - nur - einen Saal der neuen Kunstkammer öffentlich zelebriert hat, steht in der Tradition der elf Jahre verschleppten Wiedereröffnung einer der wichtigsten Sammlungen der Republik: An sich hätte die ganze Kunstkammer jetzt öffnen sollen. Am 28. Februar soll es wirklich so weit sein. Vorfreude macht auch der erste Blick.

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Das Event vom Mittwoch stand somit eher unter dem Vorzeichen, zum versprochenen Zeitpunkt zumindest irgendetwas herzeigen zu können. Damit sollte wohl mit der Tradition gänzlich unerfüllter Versprechen gebrochen werden: Im Jahr 2002 war die Kunstkammer „für einige Tage“ geschlossen worden. Seither gab es Jahr für Jahr Ankündigungen, dass die Kunstkammer im jeweils folgenden Jahr „jetzt aber wirklich“ wieder öffnen werde. Auch die jetzige Museumsdirektorin Sabine Haag hatte den Eröffnungstermin vor neun Monaten einmal mehr verschoben.

Kulturministerin Claudia Schmied und KHM-Generaldirektorin Sabine Haag

ORF.at/Zita Köver

Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) und Museumsdirektorin Sabine Haag

Der Erste wird der Letzte sein

Die jahrelange - nie wirklich erklärte - Blamage der geschlossenen Kunstkammer geht allerdings nur zum geringsten Teil auf Haags Konto. Die frühere Kuratorin der Kunstkammer-Bestände legte sich im Gegenteil ins Zeug, um diesen unrühmlichen Teil aus der Ära ihres Vorgängers Wilfried Seipel schnellstmöglich zu beseitigen. Die Erleichterung darüber, dass das „Projekt, das uns seit vielen Jahren begleitet“, nun langsam in einen „Tag der Freude“ mündet, war ihr am Mittwoch anzumerken.

Auch Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) verwies indirekt auf die Vergangenheit, indem sie meinte, am Mittwoch „gönne“ man es sich, eine „einzelne Etappe zu feiern“. Dass der eine am Mittwoch zu besichtigende Saal ausgerechnet jener ist, der ab März der letzte der Route durch die Kunstkammer sein wird, verfälscht das Bild dessen, was dann zu sehen sein wird: Gezeigt werden darin nicht die Hits - Stichwort „Saliera“ - der Sammlung, sondern Stücke aus dem 18. und 19. Jahrhundert, etwa das wenig beeindruckende Rasierset von Kaiser Franz I. - eher ein monarchistisches Souvenir als ein bedeutender Kunstgegenstand.

„Absolut nicht repräsentativ“

Am ehrlichsten bei der Präsentation blieb noch Projektleiter Franz Kirchweger. Er gestand ein, dass der am Mittwoch geöffnete „Berger-Saal“ (benannt nach einem Deckenfresko des Malers Julius Victor Berger) „absolut nicht repräsentativ“ für den Rest der Kunstkammer sei, sondern nicht umsonst der Schlusspunkt des künftigen Rundgangs durch die Schau: Der Raum zeige mit seiner Hinwendung zu bloßem Kunsthandwerk gerade das „erlahmende Sammlerinteresse“ der Habsburger an der besten Kunst ihrer Zeit.

Schmieds Aufforderung „Kommen Sie und staunen Sie!“ war denn wohl eher auf die kommende echte Eröffnung zu beziehen - und zum Teil überzogenes Versprechen, denn vom Plan einer „Wiederauferstehung“ der ebenso kunstgeschichtlich bedeutenden wie kuriosen „Kunst- und Wunderkammern“ der Renaissance ist wenig übrig geblieben. Statt einer „Welt der Fantasie und des Staunens“, wie sie auch noch Haag nach ihrem Amtsantritt versprach, ist das KHM als Museum endlich in der Gegenwart angekommen. Was aber auch nicht wenig ist.

Surtout des Herzogs Karl Alexander von Lothringen

ORF.at/Zita Köver

Surtout-Set des Herzogs Karl Alexander von Lothringen im „Berger-Saal“

Entstaubt und entpingelt

Die Präsentation hebt sich wohltuend vom verstaubten und archivarisch-pingeligen Geist ab, den Literat Thomas Bernhard nicht umsonst mit „Alte Meister“ archetypisch im KHM verortet hat. Die gezeigten Stücke harmonieren im Raum auf eine Weise, der dem Kunstgenuss durchaus eine sinnliche Komponente verleiht. Umgekehrt rutscht das Konzept nie ins Disneylandhafte ab, was gerade im Hinblick auf das Thema Kunstkammer - ursprünglich wirre Sammelsurien aus Kunst, Kuriositäten und Krempel - eine große Versuchung gewesen wäre.

Der ebenfalls am Mittwoch vorgestellte neue Bildband „Die Kunstkammer“ offenbart, wie sehnsüchtig das KHM auch heute noch auf jene Stücke schielt, die bis zu Kaiser Franz Joseph I. als Habsburgische Kunstkammer-Bestände noch vereint waren: etwa „Montezumas Federkrone“ (heute im Völkerkundemuseum), ausgestopfte Tiere und Fossilien (heute im Naturhistorischen Museum), wissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Darstellungen und Schriften (heute Nationalbibliothek) und vieles andere mehr.

Die neue Sehnsucht nach alten Wunderkammern

Wie Kirchweger selbst sagte, seien gerade die in Wien einander gegenüberstehenden Museen (KHM und Naturhistorisches Museum) das beste Symbol für die Zersplitterung der einstigen Sammlungen im Geist der damals erwünschten Systematisierung. Das KHM bekennt sich auch mit der neuen Kunstkammer zur Fortsetzung dieser Tradition. Das ist zum Teil bedauernswert, hätte doch eine Teildurchmischung der Sammlungen einen einmaligen und kompletten „direkten“ Blick in die Geisteswelt der Renaissance ermöglicht.

Ansicht der Kunstkammer im KHM

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Der erste neu gestaltete Saal der Kunstkammer im KHM Wien

Nicht umsonst greifen gerade in den letzten Jahren immer mehr Museen den Wunderkammer-Gedanken wieder auf und spiegeln ihn mehr oder weniger geglückt. Genannt seien etwa die Kunst- und Naturalienkammern der Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale. Ein bisschen Wunderkammer-Denken steckt etwa auch in der Art, wie Wolfgang Kos sein Wien Museum aufgestellt hat. Das KHM öffnet sich dieser Entwicklung bewusst nur zum allerkleinsten Teil.

Ka Gaudi muss sein

Es ist den Verantwortlichen jedenfalls hoch anzurechnen, dass sie - zum Unterschied von anderen leitenden Figuren des heimischen Kunstbetriebs - nicht der Versuchung billiger Effekthascherei erliegen, sondern sich in den Dienst der zu zeigenden Objekte stellen. Diese sollen bestmöglich präsentiert werden. Die Museumsmacher gehen ihrem Publikum gewissermaßen bis zu Mitte entgegen, vermeiden es aber, den Kunstgenuss zur substanzlosen Gaudi verkommen zu lassen.

Willkommen im 21. Jahrhundert

Das KHM ist mit der neuen Kunstkammer damit in museumsdidaktischer Hinsicht im 21. Jahrhundert angekommen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Da das im Fall des KHM in Wahrheit einen 200-Jahr-Sprung bedeutet, kann man auch Haags Urteil unterschreiben, dass der Mittwoch für das Museum „ein großer Tag (sei), der in die Annalen des Hauses eingehen wird“. Man habe, so Haag, „nicht nur ein paar Vitrinen hin- und hergeschoben“.

Und so ist es auch gut, dass noch ein wenig Zeit bis zur echten Eröffnung bleibt, denn die Ankunft des KHM im 21. Jahrhundert hat da und dort noch ihre Tücken: Die ambitionierte Vermittlung vertiefenden Wissens zu einzelnen Aspekten des Saales über iPads, die in den Sitzbänken verankert sind, ist etwa in Inhalt und Gestaltung noch sehr holprig. Am Mittwoch entpuppten sich außerdem gerade die älteren Besucher als gewiefte „Hacker“, die die Programme mit links zum Absturz brachten.

Lukas Zimmer, ORF.at

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