Spekulationen über Militärputsch
Nach den nächtlichen Krawallen in Kairo ist die Republikanische Garde am Donnerstag mit Panzern vor dem Präsidentenpalast aufgefahren. Das verlautete aus Sicherheitskreisen in der ägyptischen Hauptstadt. Ein Sprecher betonte, es handle sich nicht um Soldaten der Armee.
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Nach den Ausschreitungen zwischen Oppositionellen und Anhängern der regierenden Islamistenparteien war in Ägypten über einen möglichen Militärputsch spekuliert worden. Die Armee versprach unterdessen, nicht mit Gewalt gegen Demonstranten vorzugehen, wie die staatliche ägyptische Nachrichtenagentur MENA am Donnerstag berichtete.
Mursi-Gegner stehen Soldaten gegenüber
Die Garde stellte den Demonstranten vor dem Palast ein Ultimatum. Die Anhänger des islamistischem Präsidenten Mohammed Mursi zogen sich auf Anweisung der Sicherheitskräfte vom Präsidentenpalast zurück. Augenzeugen berichteten am Donnerstagnachmittag, rund 200 Gegner stünden nun alleine den Soldaten gegenüber. Die für den Schutz des Präsidenten abgestellte Garde habe zudem ein Verbot für Protestaktionen rund um zur Präsidialverwaltung gehörende Institutionen erlassen.

Reuters/Asmaa Waguih
Die Panzer sind vor dem Präsidentenpalast postiert
Angesichts der neuen Gewalt will sich Präsident Mohammed Mursi nun doch mit einer Ansprache an das Volk wenden. Die staatlichen Medien kündigten am Donnerstag an, der Staatschef werde binnen weniger Stunden eine Ansprache halten. Ob Mursi mit einem Kompromissvorschlag an die Öffentlichkeit treten will, blieb jedoch unklar.

Reuters/Asmaa Waguih
Ein bei den Krawallen ausgebranntes Auto
Mindestens fünf Tote in der Nacht
Am Mittwoch war es nicht nur in Kairo, sondern auch in anderen Städten zu schweren Zusammenstößen zwischen Anhängern Mursis und oppositionellen Demonstranten, die seit Tagen den Sturz des erst vor wenigen Monate gewählten Staatsoberhaupts fordern.
In der Nacht wurden mindestens fünf Menschen getötet. Ärzte bemühten sich weiter um einen Fotografen der Zeitung „Al-Fagr“, der nach einem Kopfschuss am frühen Morgen für klinisch tot erklärt worden war. Nach den blutigen Zusammenstößen stieg die Zahl der Verletzten auf 644. Das berichteten die staatlichen Medien am Donnerstag unter Berufung auf das Gesundheitsministerium. Insgesamt 635 Verletzte zählten die Ärzte bei den Krawallen vor dem Präsidentenpalast in Kairo. Fünf Menschen wurden bei Ausschreitungen in Sues verletzt. Vier Verletzte gab es auf dem Tahrir-Platz in Kairo.
Büros der Muslimbrüder niedergebrannt
Schauplatz von Straßenschlachten waren am Mittwochabend unter anderem auch Sues und Alexandria sowie andere Städte im Nildelta, berichtete ORF-Korrespondent Karim EL-Gawhary in der ZIB2. Büros der Muslimbruderschaft, der politischen Bewegung, aus der Mursi kommt, seien niedergebrannt worden. In Kairo kam es nach einem direkten Aufeinandertreffen beider Lager vor dem Präsidentenpalast zu schweren Krawallen. Es flogen Steine und Molotowcocktails. Autos gingen in Flammen aus.
Die Muslimbrüder und die radikalen Salafisten hatten mit ihrem Marsch zum Präsidentenpalast auf die regelrechte Belagerung des Areals am Dienstagabend durch rund 100.000 Anhänger der liberalen Opposition reagiert. Nach den Krawallen versuchten die Muslimbrüder, ihre Anhängerschaft zurückzurufen. Sie forderten sie auf, sich aus der Kairoer Innenstadt zurückzuziehen - was nur sehr bedingt Widerhall fand.

AP/Nasser Nasser
Verletzte durch Steine und Molotowcocktails
Kaum Kompromissbereitschaft
Während der Scharmützel vor dem Präsidentenpalast rief laut dem in Katar ansässigen Nachrichtensender al-Jazeera Vizepräsident Mahmud Mekki in einer Pressekonferenz zur Ruhe auf. Er appellierte an die Opposition, ihre Straßenproteste einzustellen, und stellte eine Änderung umstrittener Artikel in der Verfassung nach einer Parlamentswahl 2013 in Aussicht. Ein Verfassungsdekret Mursis war vor knapp zwei Wochen Auslöser der Proteste. Mekki rief zu „Kommunikation zwischen den politischen Kräften“ auf. „Es muss einen Konsens geben.“ Eine Rücknahme des Dekrets schloss Mekki allerdings aus.
Die Muslimbrüder warfen der Opposition vor, für die politische Krise verantwortlich zu sein. Mursis Gegner sagten, sie könnten „an der Rechtmäßigkeit rütteln und ihre eigene Sicht mit Gewalt durchsetzen“, zitierte der Nachrichtensender al-Arabija mit Sitz in Dubai den Sprecher der Muslimbruder-Partei, Mahmud Ghoslan.
Explizite Drohungen der Islamisten
Am Mittwoch hatten die Islamisten ihren Gegnern erstmals offen mit Gewalt gedroht. Der Generalsekretär der Partei für Unversehrtheit und Entwicklung, Mohammed Abu Samra, sagte in der Nacht auf Mittwoch in einem Interview mit al-Arabija: „Wenn sie sich gegen die Legitimität stellen, dann werden wir äußerste Gewalt anwenden.“

Reuters/Mohamed Abd El Ghany
Beide Lager trafen vor dem Amtssitz Mursis aufeinander
Der für seine radikalen Ansichten bekannte Fernsehprediger Abdullah Badr sagte in einer Talkshow des ägyptischen Islamsenders al-Hafes, die Christen seien es, die den Protest gegen Mursi anführten. „Und wenn ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann reißen wir ihnen die Augen aus“, drohte er. Die Opposition hatte ihrerseits ihre Proteste am Dienstag unter das Motto „Letzte Warnung“ an Mursi und sein politisches Lager gestellt.
Ermittlungen gegen ElBaradei und Mussa
Die Unterstützer des Präsidenten wollen die Anführer der Opposition offenbar auch auf dem Umweg über die Justiz ausschalten. Der von Mursi im November ernannte Generalstaatsanwalt Talaat Ibrahim Abdullah ordnete am Mittwoch Ermittlungen gegen Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, gegen den früheren Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, sowie gegen mehrere andere führende Oppositionspolitiker an. Diese wiederum machten Mursi für die Eskalation der Gewalt verantwortlich, berichtete al-Jazeera.
Gleichzeitig scheint der Rückhalt Mursis etwas zu bröckeln. Am Mittwoch traten drei seiner Berater aus Protest gegen die Gewalt auf der Straße zurück. Der Politologe Seif Abdel Fatah verkündete seinen Rücktritt am Abend in einem Interview mit al-Jazeera live. Er sagte, die komplette Elite des Landes sei eigennützig und habe nicht die Interessen der Bevölkerung im Blick. Außer ihm legten laut ägyptischen Presseberichten auch Aiman al-Sajjid und der Fernsehmoderator Amr al-Laithi ihre Funktion zurück. US-Außenministerin Hillary Clinton forderte die Machthaber in Kairo auf, das „demokratische Versprechen der ägyptischen Revolution“ einzulösen.
Tiefe Krise wegen Verfassungsdekrets
Ägypten steckt in einer tiefen politischen Krise, seit sich Mursi am 22. November per Dekret weitreichende neue Befugnisse gesichert hatte. Vor allem untersagte er der Justiz die Prüfung und Aufhebung seiner Beschlüsse und verbot die gerichtliche Auflösung der von den Islamisten dominierten verfassungsgebenden Versammlung, die im Eilverfahren den Entwurf des neuen Grundgesetzes absegnete. Am 15. Dezember soll nach dem Willen Mursis in einem Referendum über den Text abgestimmt werden.
Durch die darin enthaltene Ausweitung des Einflusses islamischer Gelehrter wächst die Sorge, dass das ein erster Schritt in Richtung Gottesstaat sein könnte. Der Entwurf wird vor allem von linken und liberalen Kräften, aber auch von der christlichen Minderheit in Ägypten kritisiert. Die Vorlage verleiht dem islamischen Recht, der Scharia, und den islamischen Rechtsgelehrten ein noch stärkeres Gewicht bei der Gesetzgebung als bisher. Mursi hatte die Präsidentenwahl im Juni knapp für sich entschieden.
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