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Wulzendorf und Brunnenmarkt

Der benebelte, aber nichtsdestoweniger unbestechliche Blick auf die Gesellschaft ist fest verankert im literarischen und cineastischen Suspense: alkoholgetränkte Kommissare gibt es zuhauf. Aber gar nicht so selten müssen auch Kiffer vor Gangstern fliehen oder sie jagen. Heimische Autoren setzen diese Tradition mit aberwitzigen Romanen fort.

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Suchanek sucht Frieden, findet aber das Verbrechen, als er mitten in der Nacht auf dem Balkon seines niederösterreichischen Elternhauses gemütlich einen Joint raucht. Ein paar hundert Meter weiter fackelt ein Brandstifter den Stadel eines Bauernhauses samt Bäuerin ab. Als kurz darauf die Feuerwehr unverhofft eine weitere Leiche mit dem Hochdruckschlauch aus einem Kanalrohr schießt, glaubt niemand mehr an Versicherungsbetrug.

Andere Länder, dieselben Sitten: In Wien saugt Rock Rockenschaub gierig an den letzten Millimetern seiner konischen Selbstgedrehten, nachdem er den Tag statt mit Zähneputzen mit einem kräftigen Schluck vom „Russenwasser“ begrüßt hat. Zwei Mädchen, eine dick, eine dünn, werden tot aufgefunden. Kommissar Guttmann und Psychotherapeut Kubelka bitten Rock, seine Winterdepression kurz zu unterbrechen, denn er gilt als bester Schnüffler zwischen Brunnenmarkt und Gürtel.

Szene aus dem Film "Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott"

Dor Film

Kifferkrimikomödie für die Leinwand: Andreas Kiendl, Elfriede Ott und Michael Ostrowski (v. l.) in „Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott“

Ein Pointenstroboskop

Suchanek ist die Hauptfigur in „Volksfest“, dem ersten Roman des „profil“-Kolumnisten Rainer Nikowitz. Rock Rockenschaub wiederum lässt der Schriftsteller Manfred Rebhandel bereits zum zweiten Mal ermitteln, nach „Das Schwert des Ostens“ (2011) nun in „Dürre Beweise“. Die Bücher von Nikowitz und Rebhandl unterscheiden sich deutlich von Krimimassenware, haben aber auch mit dem Retrotrend zum brutalen Neo-Hardboiled-Thriller wenig gemein.

Was sie von anderen unterscheidet, ist der Humor; freilich - nicht der Humor an sich. Von Carlo Manzoni („Ein Schlag auf den Schädel und du bist eine Schönheit“, 1961) über Kinky Friedman („Lone Star“, 1987) bis hin zu Wolf Haas, der mit seinen Brenner-Krimis (ab 1996) das Krimigenre in Österreich neu erfunden hat, durfte man auch angesichts von Mord und Totschlag schon lange lachen. Aber Nikowitz und Rebhandl feuern ihre überdrehten Pointen im Schlagtakt von einer pro Satz ab - Minimum; dass diese Atemlosigkeit mitunter der Krimihandlung im Weg steht, lässt sich offenbar nicht vermeiden.

Die Bücher "Volksfest" und "Dürre Beweise"

ORF.at/Zita Köver

„Dürre Beweise“ und „Volksfest“

Während andere Autoren da und dort witzige Dialoge einstreuen oder die Handlung zwischendurch auf humoreske Höhepunkte zusteuern lassen, kann man bei den Büchern rund um Country-Slacker Suchanek und City-Rabauken Rockenschaub ohne Übertreibung von Kabarettkrimis sprechen. Auf der Bühne steuert man auch nicht eine halbe Stunde lang auf den ersten Schmunzler zu: jeder Satz ein Lacher, pro Minute ein Kracher, sonst fängt das Publikum an zu wetzen auf den Sitzen.

Bigotterie, Bolidenwahn, Feuerwehr

Billige Schenkelklopfer sucht man dabei vergeblich. Die Bücher sind gegenwartsgesättigt, ihre Autoren mit allen Wassern postmoderner Lebensunarten gewaschen. Nikowitz für seinen Teil nimmt die Landbevölkerung aufs Korn. Sein stets bekiffter Suchanek, der eigentlich längst in der Stadt lebt, jetzt aber das Elternhaus hüten muss, ermittelt im Dunstkreis von Bigotterie, jugendlichem Bolidenwahn, freiwilliger Feuerwehr und großbäuerlicher Arbeitsgeräteprotzomanie.

Buchhinweise

Rainer Nikowitz: Volksfest. Rowohlt, 318 Seiten, 9,99 Euro.

Manfred Rebhandl: Dürre Beweise. Czernin, 215 Seiten, 19,90 Euro.

Manfred Rebhandl: Das Schwert des Ostens. Czernin, 180 Seiten, 19,80 Euro.

Besonders dramatisch ist in „Volksfest“ die Rivalität zwischen dem Hauptort Bernhardsau und der gedemütigten Katastralgemeinde Wulzendorf. Die Wulzendorfer finden die „Bernhardsäue“ vertrottelt. Immer. Fast immer - eine Ausnahme ist der Tierarzt, der den Hund von Suchaneks Eltern zusammenflickt.

„Aber was der Bernhardsauer, dem Suchanek gerade auf die Finger schaute, aufführte, warf jegliche Wulzendorfer Theorie über den Haufen. Er wäre nämlich selbst in einem Hinterhof-Sweatshop in Bangladesch, in dem minderjährige Leibeigene in Lichtgeschwindigkeit coole Markenkleidung für konsumkritische Westler nähen, Mitarbeiter des Monats geworden. Er hatte gerade erst angefangen, die Wunde zusammenzuflicken, und war schon beim vierten Stich.“ So finden auch welthaltige Kommentare ihren Weg nach Wulzendorf.

Gerhard Greiner, Michael Ostrowski, Raimund Wallisch, Simon Hatzl

ORF/Dor Film/Marc Haader

Rurale Krimis mit bösem Witz: Gerhard Greiner, Michael Ostrowski, Raimund Wallisch und Simon Hatzl (v. l.) in der Serie „Vier Frauen und ein Todesfall“

Wahre Freundschaft, echte Liebe

Wer Nikowitz’ Kolumnen im „profil“ kennt, wird vieles davon in seinem Buch wiederfinden - besonders die eingeschobenen Minidramolette und die Volten in Form lakonischer, nachgeschobener Beisätze. Der Autor geht mit seinen Figuren nicht respektlos um. Er gönnt Suchanek ein romantisches, wenn auch patschertes Techtelmechtel mit der Supermarktverkäuferin, Momente wahrer Freundschaft mit dem Tankstellenbesitzer und sogar einige Stunden verdienten Heldenruhms.

Bobomütter, BMW-Migranten, schwule Nazis

Ähnliches gilt für Rebhandl - auch wenn seine hinfälligen Charaktere im Pornokino onanieren, entweder ausgezehrt oder fett, auf jeden Fall aber hässlich und verhaltensoriginell sind. Ohne selbst einen nachvollziehbaren Standpunkt zu haben geizen sie, stets geifernd, nicht mit gnadenlosen Kommentaren über die „Sacktitten“ der Edelkinderwagen schiebenden Bobomütter, über in Jogginghosen mit alten BMWs um den Brunnenmarkt cruisende Migranten und über verkappt schwule Neonazis.

Rebhandls Trick, um keinen Aufstand bei etwaigen auf Political Correctness wertlegenden Lesern auszulösen: Alle bekommen ihr Fett weg: die Konservativen, die vermeintlich Progressiven, In- und Ausländer, Loser und Gewinner. Vor seinen Rockenschaub-Krimis hatte sich der 1966 geborene Autor neben Drehbüchern (etwa „Ternitz, Tennessee“, „Auf Wolke 7“ oder Folgen der deutschen TV-Krimireihe „Polizeiruf 110“) bereits mit einschlägigen Krimis rund um den Gendarmen Biermösel einen Namen gemacht. Kritiker bescheinigen ihm sinngemäß, dass seine Texte komplett gaga - und auf verschrobene Weise gleichzeitig genial sind.

Die Kiffertypologie

Mit Suchanek und Rebhandl haben die beiden Autoren einem Typ Mann ein Denkmal gesetzt, den man in der Realität nicht selten antrifft: Dauerkiffer, zwischen 30 und 50, antriebslos. Das schließt jene Generation ein, die bei Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ das Drehen des perfekten Joints übte, Metallica für Gegenkultur hielt und statt in der Gesellschaft oder auch nur im eigenen Leben eine Rolle zu spielen lieber Rollenspiele spielte.

Szene aus dem Film "Contact High" mit Michael Ostrowski

Lotus Film/Petro Domenigg

Drogenbedingte Perspektivenveschiebung, während Kleinganoven von Gangstern gejagt werden: Michael Ostrowski (links) und Raimund Wallisch in „Contact High“

Dazu kommen noch die eigentlich viel zu jungen Überbleibsel der 70er-Jahre-Kultur, mit Jimi-Hendrix-Poster im Wohnzimmer, langen Haaren, vielleicht einem dicken Silberring auf dem Daumen und als modernstem Accessoire einer Lavalampe neben dem Sofa. Abseits der Krimihandlungen erfährt man recht wenig über die Hauptfiguren von „Volksfest“ und „Dürre Beweise“; möglich, dass Suchanek eher ersterem Typ entspricht und Rock Rockenschaub eher letzterem.

Viel Stoff für weitere Kabarettkrimis

Für beide bietet sich noch viel Stoff. Die Landbevölkerung befindet sich im Wandel. Die Verschränkung digitaler und realer Lebensräume liefert genug Versatzstücke für weitere Suchanek-Storys; etwa sündteure Gasgriller, auf denen nach Rezepten aus neuen, internationalen Hochglanzgrillfibeln Steaks verkohlen, weil sich der Grillmeister mehr darauf konzentriert, nach jedem Mal Wenden ein Foto des Fleisches samt Kommentar auf Facebook hochzuladen („Bloody Steak!“ - „Mama“ und drei weiteren Usern gefällt das).

Genauso wenig bleibt die Stadtbevölkerung stehen. Bei H&M verkaufen sie nächstes Frühjahr Fahrradmode, die gemeinsam mit dem kultigen Londoner Brick-Lane-Bikeshop entworfen wurde, Fixies mit Poserfelgen gibt es bald in jedem Trendshop ums Eck und sogar Autowerkstätten lassen sich die Fassade von Streetart-Künstlern gestalten. Williamsburg goes Gemeindebau! Da schauen selbst die Brunnenmarktbobos alt aus.

Vorschlag für „Tatort“-Teams

Das wären jedenfalls einmal zwei tolle „Tatort“-Teams für Österreich: Rockenschaub und sein Dealerfreund Lemmy in Wien, Suchanek und sein Grasversorger Grasel in Wulzendorf. Schwierig wäre nur die Besetzung der Hauptrollen, weil für beide Typen derselbe Schauspieler die Idealbesetzung wäre: Michael Ostrowski.

Er hat in Michael Glawoggers „Contact High“ (2009) und in „Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott“ (2010) bewiesen, dass er kriminologisch und kriminell begabte Drogenfreaks mit herzhaftem Lokalkolorit kabarettreif spielen kann - und rurale Krimis mit Biss und Humor kennt er aus Wolfgang Murnbergers TV-Serie „Vier Frauen und ein Todesfall“ (ab 2005, nach einer Idee von Wolf Haas). Jetzt noch ein trashiges „Legalize it“-T-Shirt in Jamaica-Farben und es kann losgehen.

Simon Hadler, ORF.at

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