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Ende eines „Nagelhauses“

Lange hat sich ein Ehepaar aus China gegen den Abriss ihres Hauses gewehrt, nun zieht es doch aus. Das Bild des Hauses ging davor um die Welt: Von einer fertig asphaltierten Autobahn eingezwängt, stand das fünfstöckige Gebäude einsam in der Landschaft der ostchinesischen Stadt Wenling.

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Doch der Entenzüchter Luo Baogen und seine Ehefrau weigerten sich auszuziehen. Sie waren die einzigen einer ganzen Siedlung, die sich den Behörden noch widersetzten. Die Autobahn führt zu einem neu errichteten Bahnhof am Rande der Stadt Wenling in der Provinz Zhejiang.

Haus auf Schnellstraße in China

Reuters/Aly Song

Chinesische Behörden kennen keinen Pardon

Geringe Entschädigung

Nun gaben die beiden nach und akzeptierten eine Entschädigung, die sie vorher als viel zu niedrig angesehen hatten. Außerdem sollen sie ein neues Grundstück erhalten. Der 67-jährige Luo hatte sein Haus eben erst fertiggestellt, als die Regierungsbehörden ihn zum Ausziehen und zum Verkauf aufforderten. Sie boten ihm den in China für Enteignungen üblichen Standardbetrag von 220.000 Yuan (ca. 27.000 Euro) für das fünfstöckige Haus an. Laut Luos Angaben hatte ihn die Errichtung des Hauses aber 600.000 Yuan (ca. 73.000 Euro) gekostet. Das letzte Angebot der Behörden war dann 260.000 Yuan.

Blick von Balkon von Haus auf Straße

Reuters/Aly Song

Besitzer Luo letzte Woche mit der trostlosen Aussicht von seiner Terrasse

Der Widerstand des Ehepaars hatte bei Chinas Internetnutzern und sogar in offiziellen Medien breite Unterstützung gefunden. Die Zeitung „China Daily“ sprach von einem „einsamen Kampf gegen die Abrissbirne“. Gebäude, die - zunächst - wegen des Widerstands Einzelner mitten in neuen Entwicklungsprojekten übrig bleiben, heißen in China „Nagelhaus“, weil sie wie ein Nagel aus einem Holzbrett emporragen.

Haus auf Schnellstraße in China

Reuters/Aly Song

Die Autobahn scheint mitten durch das Haus zu führen

„Erklärungen der Regierung“

Es war zunächst unklar, warum Luo das Angebot der Behörden am Freitag dann doch akzeptierte, obwohl diese das letzte Angebot nicht mehr erhöht hatten. Der Bürgermeister des Dorfes meinte, Luo habe von der ständigen Anwesenheit von Reportern genug gehabt. „Es war nie eine definitive Lösung für uns, in einem einsamen Haus in der Straßenmitte zu leben“, sagte Luo der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, „nach den Erklärungen der Regierung habe ich schließlich entschieden auszuziehen.“

Aus freiem Willem dürfte sich Luo aber nicht zum Ausziehen entschlossen haben, wie zahlreiche ähnliche Beispiele in China zeigen. Es ist an der Tagesordnung, dass Behörden Betroffene mit radikalen Methoden erpressen - etwa indem sie Strom und Wasser abdrehen oder gar untertags, wenn die Bewohner außer Haus sind, in dieses eindringen und die Einrichtung zerstören. Luo hatte letzte Woche allerdings betont, dass er weiterhin Strom und Wasser habe.

Abgerissenes Haus auf Schnellstraße in China

Reuters/China Daily

Wenige Stunden nach der „Einigung“ begann bereits der Abriss

Mann von Walze überrollt

Erst Ende September hatten weltweit Bilder von einem Mann, der von einer Walze niedergerollt und getötet wurde, weil er sich einer Enteignung widersetzte, für ungläubiges Entsetzen gesorgt. Das war offensichtlich kein Unfall, sondern klare Absicht. Der verantwortliche Vizebürgermeister habe gesagt, damit die Straße fertig werde, müssten einfach ein paar Menschen sterben, bestätigten damals Augenzeugen die Ereignisse gegenüber dem ORF-Radio.

Dann habe er dem Fahrer der Baustellenwalze den Auftrag gegeben, den Mann niederzuwalzen. Trotz Widerstands der Familie seien die auf der Straße liegenden Leichenteile von der Polizei weggebracht worden. Der Informant beruft sich bei seinen Angaben auf die Tochter des Getöteten, die Augenzeugin des Vorfalls war.

Soziale Unruhen

Grund- und Immobilienbesitz ist einer der wichtigsten Faktoren von Chinas Wirtschaftswachstum. Aber das enorm schnelle Aufziehen gigantischer neuer Infrastrukturprojekte hat den Widerstand Hunderttausender Chinesen, die als Anrainer unmittelbar betroffen sind, provoziert. Längst ist das eine der wichtigsten Ursachen für soziale Unruhen und Proteste im ganzen Land.

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