Dem Schmerz und dem Tod trotzen
Seine zweite Goldene Palme hatte sich Michael Haneke dafür bereits abgeholt, nun hat er auch einen Golden Globe erhalten. Außerdem ist er für fünf Oscars nominiert - darunter jener für den besten Film und die beste Regie: Der 2012 auch zum besten europäischen Regisseur gekürte Haneke zeigt in seinem viel gepriesenen Film „Amour“ („Liebe“) die Kraft der Liebe angesichts der Zumutungen des Alterns.
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Seit Jahrzehnten leben die beiden Musikprofessoren Anne und Georges glücklich zusammen. Die beiden, knapp über 80 Jahre alt, gehen gemeinsam zu Konzerten, plaudern über die Vergangenheit, über ihre Verwandten und lesen einander Zeitungsmeldungen vor, die sie gerade interessant finden. Doch dann ereilt Anne ein Schlaganfall - und noch ein zweiter. Sie verfällt nach und nach, am Ende wird sich Anne nicht mehr artikulieren können. Aber Georges kümmert sich aufopferungsvoll um sie, eine Konsequenz der jahrzehntelangen Liebe der beiden.

Denis Manin
Haneke mit seinen beiden Hauptdarstellern Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant
Aber was ist das nun - die Liebe? Wer den Kinosaal verlässt, dem hat Haneke eine kleine Anleitung für ein gelungenes Leben zu zweit mit auf den Weg gegeben. Man keppelt sich im Alltag an - aber ohne einander zu verletzen. Man nimmt einander liebevoll auf den Arm. Man anerkennt die Kompetenzen und Stärken des Partners und nimmt seine Schwächen mit Humor. Man hat gemeinsam eine für beide angenehme Balance von Nähe und Distanz gefunden. Und im Notfall hält man zusammen, bis zur letzten Konsequenz - bei Haneke bis zur allerletzten, dem Tod.
Rührung - über die Leinwand hinaus
In typischer Haneke-Manier sagt er, der Oscar-Anwärter und zweifache Cannes-Gewinner, dass ihn seine eigenen Filme nicht rühren. Aber alles an diesem Film und um ihn herum atmet Liebe - und Rührung. Bei der Preisverleihung in Cannes standen sie zu dritt auf der Bühne: Haneke (70), Jean-Louis Trintignant (81) und Emmanuelle Riva (85). Haneke sagt, dass der Film ein Nichts gewesen wäre ohne die beiden Darsteller.
Trintignant seinerseits bezeichnete Haneke als besten Regisseur der Welt, obwohl er in der Vergangenheit mit Chabrol, Rohmer, Bertolucci, Vadim, Truffaut, Costa-Gavras und Lelouch drehte. Riva wiederum streut ihrem „charmanten“ Filmpartner verschmitzt Rosen und lobt Haneke ebenfalls überschwänglich. Die drei strahlen einander an. Hanekes Frau sitzt, mit gespannten Gesichtszügen, im Publikum und lauscht der Rede ihres Mannes. Erst als er sich bei ihr für ihre Unterstützung bedankt, entspannt sie sich für ein Lächeln.
Hanekes persönlichster Film
Dieser Film ist für Haneke ein durch und durch persönlicher - und dadurch allein stehend in seinem Werk. Die Wohnung von Anne und Georges hat er dem Domizil seiner Eltern nachempfunden: bürgerlicher Stil, Bücher bis zur Decke, ein Flügel im Wohnzimmer, vollgerammelt, mit Fotos und Erinnerungsstücken an den Wänden und in den Regalen. Obwohl alles von einer staubigen Patina überzogen ist, wirkt die Szenerie lebendig.
Vor allem aber hat sich Haneke von einem Ereignis in seinem eigenen Leben zu der Geschichte inspirieren lassen. Wer genau die sterbende Person war, darüber hält sich Haneke bedeckt, er machte aber in diversen Interviews keinen Hehl daraus, dass er von den Themen Liebe und Alter seither zutiefst bewegt ist. Um dieses tiefe Empfinden an den Kinobesucher weiterzugeben, setzt Haneke einmal mehr auf handwerkliche Präzision, und er konzentriert sich auf die Essenz der Beziehung zwischen Anne und Georges.

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Sorge und Angst um seine Liebste spiegeln sich in Georges Gesicht wider
Georges’ mutiges Versprechen
Außer einer Szene ganz am Anfang spielt der Film ausschließlich in der Wohnung des Paares. Neben Trintignant und Riva, die beide eine Ausnahmeleistung bieten, spielt nur noch Hanekes Stammbesetzung Isabelle Huppert als Tochter der beiden eine tragende Rolle. Sie kommt gelegentlich zu Besuch und will ihren Vater überreden, ihre Mutter in ein Heim oder ein Krankenhaus zu verfrachten. Der aber weigert sich standhaft.
Anne hatte ihn gebeten, zu versprechen, dass sie nicht von zu Hause wegmuss, und er versprach es ihr. Und so erträgt Georges ihre unablässigen Hilfeschreie, die sie, schon nicht mehr bei Besinnung, ausstößt. Er wickelt sie. Er versucht sie zu überreden, zu essen und zu trinken und nicht durch Mangelernährung Selbstmord zu begehen - über Wochen und Monate hinweg.
Heldenhafter als Spartacus und Bruce Willis
Georges ist ein Held. Vor allem zeigt sich das in einer Szene, die an heroischer Erhabenheit in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht. Kein Spartacus, der in den sicheren Tod zieht, kein Bruce Willis in „Stirb Langsam“ kann es an Mut, Entschlossenheit und Stärke mit Georges aufnehmen, wenn er die Pflegerin, die lieblos mit Anne umgeht, trotz allen Greisentums mit klaren Worten und unerbittlichem Blick aus der Wohnung wirft, um sich fortan wieder selbst um seine sterbende Frau zu kümmern.
Hanekes Trostpflaster
Haneke gibt aber auch jenen, die der Film einfach nur traurig zurücklässt, ein Trostpflaster mit auf den Weg. Schließlich, sagte er sinngemäß in einem Interview mit der österreichischen Nachrichtenagentur APA, sei es doch auch schön, wenn man durch einen Film wie diesen wisse, dass man mit dem Sterben und dem Schmerz nicht allein sei, sondern dass es anderen ähnlich ergehe. Bleibt zu hoffen, dass einem dann jemand wie Georges zur Seite steht. An der Liebe kann man ja schon einmal zu arbeiten beginnen, mit Hanekes filmischer Anleitung.
Simon Hadler, ORF.at
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