Katastrophale Sicherheitsvorkehrungen
Der bisher folgenschwerste Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch am Samstag mit 112 Toten und über 200 Verletzten hat auch in Europa Nichtregierungsorganisationen auf den Plan gerufen. Sie fordern von den Billigtextilketten ein Umdenken. Für den deutschen Diskonter KiK ist es bereits das zweite Mal, dass Arbeiter in Werken seiner Auftragnehmer durch Feuer starben.
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Am Samstagabend waren bei dem Brand in dem Werk der Firma Tazreen Fashion nördlich von Dhaka 112 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als tausend Arbeiter wurden in den oberen Stockwerken der neunstöckigen Fabrik von den Flammen eingeschlossen. Nur zwei Tage später, am Montag, stand erneut eine zwölfstöckige Fabrik in der Hauptstadt Dhaka in Flammen. Todesopfer gab es diesmal nicht.
Verstellte Türen, vergitterte Fenster
„In Bangladesch starben in den letzten sechs Jahren über 600 Menschen bei Bränden in Textilfabriken“, sagt Michaela Königshofer von der Clean Clothes Kampagne (CCK) Österreich, die selbst zweimal in dem Land war. „Viele Fabriken sparen sich alle Brandschutzmaßnahmen, haben keine Notausgänge, verstellte Türen, vergitterte Fenster. Mitunter werden im Brandfall sogar die Tore vom sogenannten Sicherheitspersonal verschlossen gehalten, damit niemand Waren oder Nähmaschinen aus der Fabrik mitnehmen kann“, berichtet Königshofer.

APA/EPA/Abir Abdullah
In der neunstöckigen Fabrik starben 112 Arbeiter
Auch die Organisationen medico international und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) fordern einen grundlegenden Wandel im Umgang mit den Sicherheitsvorkehrungen in Bekleidungszulieferbetrieben. „Das erste, was jetzt erfolgen muss, ist die umfassende Entschädigung der Betroffen“, sagt Miriam Saage-Maaß von ECCHR. Sie erinnert auch an die Brandkatastrophe in Pakistan, wo im September rund 300 Menschen ums Leben kamen. KiK als Hauptauftraggeber bot den Hinterbliebenen damals eine Million Dollar. „Das ist deutlich zu wenig“, so Saage-Maaß.
Volle Entschädigung gefordert
Die Organisationen fordern für die Opfer die volle Entschädigung, eine umfassende und unabhängige Aufklärung der beiden Brandkatastrophen und konkrete Maßnahmen zur Verhütung künftiger Katastrophen. „Dass es in so kurzem Abstand zu zwei solchen Unglücken kommt, ist kein Zufall“, sagt Thomas Seibert von medico international. „Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen haben in der internationalen Bekleidungsindustrie System.“
Die deutsche Gewerkschaft ver.di forderte die Handelskette C&A, die neben KiK und dem US-Kaufhausriesen Wal-Mart in der Fabrik produzieren ließen, auf, einem internationalen Brandschutzabkommen beizutreten. C&A müsse das Abkommen unterzeichnen, „um endlich das Sterben in den Textilfabriken zu stoppen“, forderte der Gewerkschaftsexperte für den Textileinzelhandel, Johann Rösch.
Als Erster habe das US-Unternehmen PVH, zu dem Marken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein gehören, das Abkommen im Frühjahr unterzeichnet. PVH setzte allerdings voraus, dass sich mindestens drei weitere namhafte Textilkonzerne beteiligen. Tchibo war im September dem Brandschutzabkommen beigetreten. Die Modeketten H&M und Zara hingegen weigerten sich bisher, so Rösch.
KiK sieht „Umsetzungslücke“
KiK sieht jedoch in den Produktionsländern die Hände gebunden. Die Einwirkungsmöglichkeiten ausländischer Handelsketten auf den Brandschutz in den Fabriken seien gering, sagte KiK-Geschäftsführer Michael Arretz der Zeitung „Die Welt“ (Dienstag-Ausgabe). Die Notwendigkeit des Feuerschutzes sei „einfach noch nicht in allen Köpfen in den Produktionsländern angekommen“.
„Es gibt Brandschutzprogramme, Informationsmaterial für Mitarbeiter wie Filme oder Plakate. Es ist alles da, um Großbrände zu verhindern. Aber ich sehe eine Umsetzungslücke“, so Arretz. Er plädiert dafür, dass Hersteller, die gegen Vorschriften verstoßen, abgemahnt werden oder im Wiederholungsfall den Auftrag verlieren. „Brandschutz ist ja nicht so kompliziert - das macht die jüngsten Vorfälle umso tragischer.“
Riesiger Textilexporteur
Bangladesch ist mit rund 4.500 Textilfabriken hinter China der größte Exporteur von Kleidung. Der Textilbereich macht 80 Prozent des jährlichen Exportvolumens von 18 Mrd. Euro aus. Ein Arbeiter verdient im Monat rund 28 Euro.
Wal-Mart zog hingegen bereits die Konsequenz und beendete laut Medienberichten seine Arbeit mit der Textilfabrik in Bangladesch. „Heute haben wir die Beziehung mit diesem Lieferanten beendet“, zitierte der Sender CNN am Dienstag eine Erklärung von Wal-Mart. Ein Lieferant habe die Fabrik ohne Erlaubnis als Subunternehmer eingesetzt.
Trauertag in Bangladesch
In Bangladesch wehen drei Tage nach der Brandkatastrophe schwarze Flaggen. An Regierungsgebäuden und Privathäusern wehten die Nationalflaggen auf halbmast. Per Dekret verfügte die Regierung, dass die rund drei Millionen Arbeiter in der Textilbranche am Dienstag nicht arbeiten müssen. Mehrere tausend Arbeiter zogen laut Polizeiangaben in Trauerumzügen durch das Industriegebiet Ashulia in der Nähe der Hauptstadt Dhaka. Die Regierung schickte ein Großaufgebot an Polizisten in das Industriegebiet, um Unruhen zu verhindern.
Suche nach Fabriksbesitzer
Unterdessen läuft die Suche nach dem Besitzer der Fabrik. Delwar Hossain solle unter anderem zu den Vorwürfen befragt werden, wonach Bauvorschriften bei der neunstöckigen Fabrik nicht eingehalten wurden, sagte der Polizeichef von Dhaka, Habibur Rahman, der Nachrichtenagentur AFP. Auch gebe es Berichte, wonach Manager der Fabrik trotz des Feuers den Arbeitern verboten hätten, das Gebäude zu verlassen. So sei den Arbeitern gesagt worden, es handle sich um eine Brandschutzübung.
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