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ElBaradei warnt vor Bürgerkrieg

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi stößt mit seiner neuen Machtpolitik auf eine Front der Ablehnung. Am Sonntag trat ein Großteil der Richter und Staatsanwälte des Landes in den Streik. Der Widerstand im Inland und die Kritik aus dem Ausland beunruhigen Mursi offensichtlich. Nach Angaben der staatlichen Medien rief er am Sonntag zum zweiten Mal binnen 24 Stunden seine Berater zu sich.

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In Kairo und der Provinz al-Baheira gab es erneut Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Gegnern der Muslimbruderschaft, aus der Mursi stammt. Allein auf dem Kairoer Tahrir-Platz protestierten am Sonntag mindestens 5.000 Menschen gegen den Kurs des islamistischen Präsidenten.

Toter bei Angriff auf Muslimbrüder-Zentrale

Am Abend versammelten sich Tausende Islamisten in mehreren Städten Ägyptens zu Solidaritätskundgebungen für Mursi. An den Demonstrationen nahmen nicht nur Angehörige der Muslimbruderschaft teil, aus der Mursi stammt, sondern auch Anhänger der radikalislamischen Salafisten-Bewegung. Sie erklärten, nun sei die Zeit gekommen, um Mursi in seinem Kampf gegen die Überreste des alten Regimes beizustehen.

Das Hauptquartier der Muslimbrüder in Ägypten wurde nach Angaben der Glaubensgemeinschaft am Sonntag angegriffen. Dabei sei ein Mensch ums Leben gekommen und weitere 60 verletzt worden, teilte die Muslimbruderschaft auf ihrer Internetseite mit. Das Hauptbüro befindet sich in der Stadt Damanhour im Nildelta.

Richtervereinigung verkündet Dauerstreik

Die ägyptischen Aktienkurse brachen unterdessen dramatisch ein. Die Anleger reagierten eindeutig auf die jüngsten politischen Turbulenzen. Die Aktienkurse waren am Sonntag zu Beginn der ägyptischen Börsenwoche im freien Fall. Der EGX-30-Index verlor 9,5 Prozent. Damit ist Ägypten aus wirtschaftlicher Sicht wieder an dem Punkt angelangt, an dem es die Investoren mitten in der Revolution gegen den ehemaligen Machthaber Hosni Mubarak gesehen hatten. Die weitere Schwächung der ohnehin schon darniederliegenden ägyptischen Wirtschaft bringt Mursi noch mehr in Bedrängnis.

Demonstranten vor dem Obersten Gerichtshof in Kairo

AP/Mohammed Asad

Demonstrationen in Kairo

Ohnehin hatte sich Mursi verkalkuliert: Der Plan, sein Dekret zwischen Jubelmeldungen über seine Rolle als Nahost-Vermittler und innenpolitische Infrastrukturdebatten zu schummeln, ist nicht aufgegangen. Die Richtervereinigung erklärte nun, die Richter wollten ihre Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn Mursi seine Verfassungserklärung zurücknimmt. Der Oberste Richterrat warf dem Staatschef vor, er gefährde die Unabhängigkeit der Justiz.

Nach den Richtern riefen auch die Journalisten zu einem Generalstreik auf. Mit den Arbeitsniederlegungen solle gegen die fehlenden Garantien der Pressefreiheit im derzeitigen Entwurf für eine neue Verfassung protestiert werden. Ein Termin für die Streiks stehe aber noch nicht fest.

„Er hat die ganze Macht an sich gerissen“

Mursi hatte am Donnerstag eine Verfassungserklärung erlassen, die von der Opposition als „Staatsstreich“ bezeichnet wurde. Laut seiner Erklärung dürfen die Gerichte des Landes die Umsetzung seiner Dekrete nicht behindern. Sie haben auch nicht das Recht, die Verfassungskommission aufzulösen. Mursi erklärte den Schritt damit, dass er „das Erbe der Revolution beschützen“ wolle.

Der Versuch des Präsidenten, seine Macht auf Kosten der Justiz zu vergrößern, war aber auch von der UNO und westlichen Regierungen kritisiert worden. Der ägyptische Friedensnobelpreisträger und säkulare Politiker Mohammed ElBaradei warnte in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bereits vor einem Bürgerkrieg - Mursi führe Ägypten in die Diktatur: „Er hat die ganze Macht an sich gerissen. Nicht einmal ein Pharao hatte so viele Befugnisse, von seinem Vorgänger Hosni Mubarak ganz zu schweigen.“

Oppositionelle sollen mundtot gemacht werden

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden bei den Protesten gegen Mursi seit Freitag mehr als 300 Menschen verletzt. Die Polizei setzte am Samstag Tränengas gegen Demonstranten ein. Je mehr der Protest gegen Mursi zunimmt, desto aggressiver werden auch die Gegenaktionen von Islamisten auf Mursis Seite: So sollen sechs verschleierte Islamistinnen einer jungen Anti-Mursi-Demonstrantin am Samstagabend vor dem Justizpalast in Kairo die Haare angezündet haben.

Das Oberhaupt der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, erklärte in der Nacht zum Sonntag: „Die überwältigende Mehrheit des ägyptischen Volkes hat die Entscheidungen des Präsidenten der Republik begrüßt.“ Auch juristisch machen Mursis Leute gegen Kritiker mobil: Mehrere Oppositionelle, darunter ElBaradei, wurden von den Islamisten angezeigt. Mursis neuer Generalstaatsanwalt, Talat Ibrahim Abdullah, lud seinerseits bereits einen Politiker und zwei Juristen wegen versuchten Staatsstreichs vor.

„Showdown“ am Dienstag?

Kleine Gruppen von Oppositionellen harrten das Wochenende in rund 30 Zelten in der Mitte des Platzes aus. Am Dienstag wollen sowohl die Islamisten als auch die liberalen Kräfte erneut auf die Straße gehen, was bei vielen Ägyptern die Angst vor Gewalt schürt.

Bei einem direkten Aufeinandertreffen beider Gruppen wird eine Eskalation der Gewalt befürchtet. Die Polizei begann in einer Seitenstraße mit dem Bau einer Mauer, um den Zugang zum angrenzenden Regierungsviertel zu blockieren. Mehrere Straßen sind bereits durch Betonmauern versperrt.

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