Themenüberblick

Von Spanien bis Korsika

Während sich Europa trotz aller Zwistigkeiten in der Euro-Krise gegenseitig unterstützt und sich zunehmend verschränkt, peilen immer mehr Regionen offen die Unabhängigkeit von ihren Mutterstaaten an. Vom spanischen Baskenland über Katalonien und Schottland bis Flandern reichen die Bestrebungen. Selbst Südtirol kocht sein eigenes Süppchen.

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Die finanziellen Turbulenzen in vielen Teilen Europas spielen dabei eine bedeutsame Rolle. In Westeuropa wollen sich vorwiegend wirtschaftlich starke Regionen von den maroden Staaten ablösen. Dahinter steckt oft das Gefühl der regionalen Regierungen, zu viel Geld an die jeweiligen Hauptstädte abliefern zu müssen.

Für die Europäische Union (EU) könnten die separatistischen Bestrebungen schwerwiegende Konsequenzen haben: Spalten sich Regionen ab, treten sie automatisch aus der EU aus und müssen erneut um Mitgliedschaft ansuchen. Eine einvernehmliche Trennung ist daher wohl von zentraler Bedeutung, sonst könnte der ehemalige Mutterstaat ein Veto gegen die Aufnahme seiner ehemaligen Region einlegen.

Spaniens Separatisten im Aufwind

Diese Drohung steht auch Katalonien ins Haus. Die 7,5 Millionen Einwohnern zählende Region gilt als Wirtschaftsmotor Spaniens. Die katalanische Regierung hat zuletzt die seit Jahren schwelenden Abspaltungsdiskussionen vehement befeuert. Regierungschef Artur Mas, ein gemäßigter Nationalist, forderte im Sommer Madrid auf, die Steuerabgaben für seine krisengeplagte Region zu senken.

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy lehnte das ab. Daraufhin kündigte Mas ein Unabhängigkeitsreferendum nach den Regionalwahlen an. Spanien stellt sich diesen Plänen vehement in den Weg und drohte bereits, ein unabhängiges Katalonien nie in die EU zu lassen.

Auch im spanischen Baskenland trugen im Oktober die gemäßigte Baskische Nationalistenpartei (PNV-EAJ) und die separatistische Gruppierung EH Bildu bei den Regionalwahlen im spanischen Baskenland einen klaren Sieg davon. Zwar nimmt der PNV-Chef das Wort „Unabhängigkeit“ selbst nicht in den Mund, im Wahlkampf legte er aber seine Vision dar, das Baskenland zu einer „europäischen Nation“ zu machen.

Es wird erwartet, dass die 2,2 Millionen Bewohner bis 2015 über eine Loslösung abstimmen sollen. Im Gegensatz zu Katalonien hebt das Baskenland selbst Steuern ein und führt nur geringe Teile an die Zentralregierung in Madrid ab. Die Terrororganisation ETA, die gewaltsam für ein unabhängiges Baskenland in Nordspanien und im Südwesten Frankreichs kämpft, verkündete im Oktober 2011 das Ende ihres bewaffneten Kampfs. Eine Entwaffnung steht allerdings noch aus.

Mehrheit der Schotten noch gegen Abspaltung

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Großbritannien. Dort stimmen die Schotten im Herbst 2014 über ihre Unabhängigkeit ab. Die Volksabstimmung wurde von der Schottische Nationalpartei (SNP) vorangetrieben, die bei der Regionalwahl 2011 die meisten Stimmen bekommen hatte. Umfragen zufolge gibt es derzeit aber keine Mehrheit für eine Loslösung von London. Die SNP argumentiert, dass Milliardeneinnahmen aus der Verarbeitung des Nordsee-Öls, das vor einigen Jahren entdeckt wurde, nach London fließen würden. Außerdem will sie in Schottland den Euro einführen. Schottland ist seit 300 Jahren Teil des Vereinigten Königreichs.

Ein anderer jahrzehntelanger Konflikt scheint hingegen beigelegt zu sein: 1998 wurde mit dem „Karfreitagsabkommen“ eine Abspaltung Nordirlands von Großbritannien ad acta gelegt. Einzelne kleine Gruppen halten zwar weiterhin an sporadischen Gewaltaktionen fest, und die katholische Sinn Fein tritt immer noch für eine „Wiedervereinigung“ mit Irland ein. Die Politik hat aber aufgehört, den Konflikt zu schüren.

„Padanien“ vorerst gescheitert

In Italien träumt der reiche Norden schon seit Jahrzehnten von einer Abspaltung vom wirtschaftlich schwächeren Süden. Einer der stärksten Vertreter dieser Tendenz ist die aus verschiedenen Autonomiebewegungen entstandene Lega Nord unter ihrem Chef Umberto Bossi. Er fordert ein unabhängiges Padanien (der Name leitet sich von der italienischen Bezeichnung „pianura padana“ für die Po-Ebene ab.) Bossi zählt zu Padanien die Regionen Lombardei, Aosta, Piemont, Ligurien, Trient-Südtirol, Venetien, Friaul-Julisch Venetien und Emilia-Romagna mit insgesamt 25 Millionen Einwohnern.

Von 1994 an gehörte die Lega Nord mehreren Regierungen von Ministerpräsident Silvio Berlusconi an. 1996 wurde sogar eine „Bundesrepublik Padanien“ ausgerufen, allerdings ohne Folgen. Im Zuge von Vorwürfen im Zusammenhang mit Veruntreuung, Betrug, Geldwäsche und illegaler Parteienfinanzierung trat Bossi im April 2012 als Parteichef zurück. Die Rufe nach der Errichtung Padaniens werden zwar von Separatisten immer wieder erneuert, das Thema ist derzeit aber nicht so virulent, wie es schon einmal war.

Dafür wird in Südtirol der Ruf nach dem Los von Rom wieder lauter. Verantwortlich dafür ist vor allem die Landtagsfraktion „Südtiroler Freiheit“, die zuletzt mit einer neuen „Selbstbestimmungsbroschüre“ für die Loslösung des Landes von Italien mobilisierte. Anhand von wirtschaftlichen Daten soll in der Broschüre aufgezeigt werden, „dass die Zugehörigkeit zu Italien in jeder Hinsicht eine Belastung für Südtirol darstellt“. Südtirol war bis Ende des Ersten Weltkriegs ein Teil der Habsburger-Monarchie, wurde aber im Herbst 1919 im Vertrag von Saint-Germain dem Königreich Italien zugesprochen.

Jahrhundertealter Konflikt in Belgien

Deutlich länger schwelt der Streit zwischen den Bevölkerungsgruppen Belgiens. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts existieren Zwistigkeiten zwischen dem wirtschaftlich besseren flämischen Teil des Bundesstaates und den ärmeren französischsprachigen Wallonie. Im Juni 2010 avancierten die flämischen Nationalisten mit der Partei N-VA, die einen unabhängigen Staat Flandern anstrebt, zur stärksten politischen Kraft in Belgien. Nach der Wahl verhinderte monatelang ein Sprachenstreit die Bildung einer Zentralregierung in Brüssel. Erst nach mehr als einem Jahr einigten sich die Parteien und verhinderten vorerst eine drohende Aufspaltung Belgiens.

Anschläge auf Korsika

Seit gut 20 Jahren versuchen Separatisten in Korsika mit Gewalt eine Unabhängigkeit der Mittelmeerinsel von Frankreich zu erzwingen. Bei ihren Anschlägen haben sie oft Villen von Festlandfranzosen und Ausländern im Visier, aber auch Verwaltungsgebäude, Politiker und Beamte. Erst im vergangenen Juli bekannte sich ein Kommando der Untergrundorganisation Nationale Befreiungsfront Korsikas (FLNC) zu einem Anschlag auf das Anwesen eines Pariser Bankiers.

Zypern versucht die Wiedervereinigung

Während anderswo an einer Abspaltung von Regionen gearbeitet wird, wird in Zypern um die Eingliederung der Türkischen Republik Nordzypern in den griechisch dominierten südlichen Staat gerungen. An der von UNO-Soldaten überwachten Demarkationslinie zwischen dem rund 260.000 Einwohner zählenden Nordzypern und dem Süden mit rund 766.000 Einwohnern kam es immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen. Mehrere Anläufe zur Wiedervereinigung der beiden Inselteile scheiterten, Gespräche zu Jahresanfang 2012 unter UNO-Vermittlung brachten wenig Fortschritte.