Feuer in Queens
Der Supersturm „Sandy“ ist mit voller Wucht auf die US-Ostküste geprallt. Mit Windstärken von 130 Kilometern pro Stunde und starkem Regen traf sein Zentrum am Montagabend (Ortszeit, gegen 1.00 Uhr MEZ) im Süden des US-Staats New Jersey in der Nähe von Atlantic City auf das Festland. Im Verlauf weniger Stunden forderte der Sturm mindestens 16 Menschenleben.
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Die meisten der Opfer kamen durch umstürzende Bäume ums Leben, hieß es am Montagabend (Ortszeit) in US-Medien und seitens der Behörden. Zwölf Tote habe es in den Bundesstaaten New York, New Jersey, Maryland, Pennsylvania, West Virginia und North Carolina gegeben. In der kanadischen Metropole Toronto starb laut Polizeiangaben eine Frau durch ein umstürzendes Straßenschild.
Mindestens fünf Menschen wurden in Zusammenhang mit dem Unwetter im Staat New York getötet. Darunter war ein 30-jähriger Mann, der im New Yorker Stadtteil Queens von einem Baum erschlagen wurde. Nahe der Metropole in Westchester wurden nach Behördenangaben zwei Kinder von einem Baum getötet, der das Dach eines Wohnhauses durchschlug.

AP/Frank Franklin
Der „Supersturm“ zieht über Manhattan
Vor der Küste von North Carolina sank infolge des Sturms ein Dreimaster. Während 14 der 16 Besatzungsmitglieder per Helikopter aus ihren Rettungsbooten geborgen werden konnten, kam für eine 42-jährige Frau, die am Abend von der Küstenwache leblos aus dem Atlantik geborgen wurde, jede Hilfe zu spät. Der 63-jährige Kapitän der 1962 für einen Filmdreh gebauten „HMS Bounty“ wurde weiter vermisst. Bei seinem Zug durch die Karibik hatte der Hurrikan in den vergangenen Tagen bereits 67 Menschen getötet. In der Nacht auf Dienstag war „Sandy“ zu einem Zyklon herabgestuft worden.
Millionen ohne Strom
Das Nationale Hurrikanzentrum stufte ihn zwar nunmehr als posttropischen Wirbelsturm ein. Das machte ihn aber nicht weniger gefährlich: Seine Böen hatten immer noch Hurrikanstärke. In zahlreichen Städten stehen Straßen unter Wasser. Bei mehr als drei Millionen Menschen fiel der Strom aus. Die Behörden wiesen mehr als eine Million Menschen an, küstennahe Gebiete zu verlassen.

Flut in Atlantic City
Atlantic City war vom Wirbelsturm besonders schwer betroffen
In New York stiegen die Pegelstände auf Rekordhöhen. Damit wuchs die Gefahr größerer Überflutungen. Schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde die U-Bahn in New York: Ganze Stationen und der Tunnel unter dem East River wurden überschwemmt, die betreffenden Abschnitte könnten nun für längere Zeit außer Betrieb sein. In New York und im benachbarten Westchester County waren fast 600.000 Menschen ohne Strom. Die Spielermetropole Atlantic City im Staat New Jersey wurde laut CNN-Berichten schwer überflutet.
Zwischenfall in AKW
Wegen des steigenden Meerespegels wurde ein Atomkraftwerk in New Jersey in einen mittleren Alarmzustand versetzt. Der Stromkonzern Exelon Corp. habe für sein bereits zuvor als Vorsichtsmaßnahme abgeschaltetes AKW Oyster Creek die zweite von vier Alarmstufen ausgerufen, teilte die US-Atomaufsicht in der Nacht auf Dienstag mit.
Sollten die Fluten weiter steigen, könnten die Wasserpumpen des Reaktors beeinträchtigt werden, die für das Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente genutzt würden. Das Unternehmen könne aber notfalls Wasser aus dem Reservoir für den Brandschutz nutzen, um das Abklingbecken zu kühlen.

Reuters/Brendan McDermid
In Manhattan kommt man derzeit nur per Schlauchboot voran
Der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg forderte die Einwohner der Stadt auf, auf keinen Fall auf die Straße zu gehen. „Wo immer Sie gerade sein mögen: Bleiben Sie da!“, sagte Bloomberg am Montagabend im Rathaus. Zugleich solle der Notruf nicht wegen Sachschäden oder leichter Verletzungen genutzt werden: „Rufen Sie nur an, wenn es um Leben und Tod geht.“
Damm in New Jersey gebrochen
Ein Damm im dicht besiedelten Bundesstaat New Jersey, der an New York City angrenzt, brach ein Damm. Die folgende Flut setzte die drei Städte Moonachie, Little Ferry und Carlstadt bis zu eineinhalb Meter hoch unter Wasser. Es gab vorerst keine Berichte über Tote. Laut Polizei wurden die drei Städte „zerstört“.
Der Sturm löste auch einen Großbrand im Stadtteil Queens - in einer Gegend, die zuvor bereits überschwemmt worden war - aus. Dabei wurden mindestens 50 Häuser zerstört.
Metro geflutet
Insgesamt sieben U-Bahn-Schächte wurden überschwemmt. Wie die Verkehrsbehörde Metropolitan Transportation Authority (MTA) Dienstagfrüh weiter mitteilte, handelte es sich in diesem Bereich um die schlimmste Katastrophe seit mehr als einhundert Jahren. „Die New Yorker U-Bahn ist 108 Jahre alt, aber niemals war sie mit einer derart verheerenden Katastrophe konfrontiert, wie wir sie in der vergangenen Nacht erlebt haben“, sagte MTA-Chef Joseph Lhota.
Die meisten überschwemmten U-Bahn-Tunnel befanden sich unter dem East River, der sich an der Halbinsel Manhattan entlangzieht, auf die heftige Regenfälle niedergingen. „Sandy“ verursachte der MTA zufolge im gesamten U-Bahn-Netz „Chaos“, führte zu Stromausfällen und überschwemmte Busdepots. Die New Yorker U-Bahn hatte ihren Betrieb am Sonntagabend vorsorglich unterbrochen.
Laut MTA ist bisher unbekannt, wie hoch das Wasser unter der Erde gestiegen sei, hieß es. Mehrere Sender berichteten, dass in den Tunneln das Wasser 1,20 Meter hoch stehe. Der Battery-Tunnel, Nordamerikas längster Unterwasser-Straßentunnel, lief ebenfalls voll Wasser. Er liegt unter dem East River und verbindet den Stadtteil Manhattan über drei Kilometer mit Brooklyn. Auch auf Ground Zero, wo einst die Türme des World Trade Center standen, strömte Wasser in eine Baugrube.

AP/John Minchillo
Wasser fließt in die Baustelle auf Ground Zero
Schwere Schäden durch Salzwasser?
Rechtzeitig vor dem aufkommenden Sturm war der U-Bahn-Verkehr auf unbestimmte Zeit eingestellt worden. Die Verkehrsbehörde MTA dementierte Spekulationen, wonach es mindestens eine Woche dauern werde, bis die U-Bahn wieder fahren könne. „Diese Gerüchte sind falsch. Die MTA kann den Schaden nicht vor Dienstag abschätzen. Es ist zu früh, um einen Zeitplan für die Wiedereröffnung zu nennen“, teilte das Unternehmen über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Experten befürchten, dass das einströmende Salzwasser unter anderem das Signalsystem der Untergrundbahn erheblich beschädigen wird. Nach entsprechenden Wetterprognosen war neben dem Brooklyn-Battery-Tunnel bereits am Montagnachmittag (Ortszeit) auch der Holland-Tunnel geschlossen worden. Er verläuft unter dem Hudson River und verbindet Manhattan mit New Jersey. Beides sind Verkehrsnadelöhre in der Millionenmetropole.

APA/EPA/Andrew Gombert
Ein beschädigter Kran an der Fassade eines New Yorker Hochhauses
Die Behörden evakuierten unterdessen auch die Umgebung der Baustelle eines 90-stöckigen Wolkenkratzers in der Nähe des Central Parks: Nachdem die Spitze eines riesigen Krans in dem starken Wind zusammenbrach, bestand die Gefahr, dass sein ganzer Ausleger abstürzen könnte.
Einer der schwersten Stürme in USA
„Sandy“ gilt als einer der schwersten Stürme in der Geschichte der USA. Tausende Geschäfte bleiben auch am Dienstag geschlossen. Busse und Bahnen blieben vielerorts schon seit Sonntagabend in den Remisen, zahlreiche Flüge wurden gestrichen. Die Börsen an der Wall Street machten erstmals seit 27 Jahren wetterbedingt zu. Auch am Dienstag bleiben sie geschlossen. Zuletzt war der gesamte Handel nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gestoppt worden.
Sturm, Flut und Schnee
Die Wetterbehörde sagte ein lebensbedrohliches Anschwellen des Sturmes, Böen in Hurrikanstärke an der Küste und heftige Schneefälle in den Appalachen voraus. Neun US-Staaten riefen den Notstand aus. Insgesamt dürften rund 50 Millionen Amerikaner von dem Sturm betroffen sein. Der Sturm dürfte nordwestlich weiterziehen und auch über die Großstädte Washington, Baltimore und Philadelphia fegen.

Reuters/ Michelle McLoughli
An der Küste sorgte „Sandy“ für meterhohe Flutwellen
Der Sturm wirkte sich auch auf den Endspurt zur US-Wahl am 6. November aus. Sowohl Präsident Barack Obama als auch sein Herausforderer Mitt Romney sagten mehrere Termine ab.
Obamas Appell
Obama hatte seine Landsleute aufgerufen, den Sturm ernst zu nehmen. „Das ist ein ernster und großer Sturm“, sagte Obama, der eine Woche vor der Präsidentschaftswahl auf Kundgebungen verzichtete, um das Krisenmanagement zu übernehmen. Das Land müsse gewappnet sein, sagte er und forderte die Bürger auf, den Evakuierungsanweisungen der örtlichen Behörden Folge zu leisten. Obama stimmte die Amerikaner zudem auf tagelange Stromausfälle ein. Die Aufräumarbeiten würden länger dauern.
Romney kündigte inzwischen an, am Dienstag im besonders umkämpften Bundesstaat Ohio einem „Sturmhilfe-Event“ beizuwohnen. Es ist de facto eine Umbenennung eines dort geplanten Wahlkampfauftritts.
Raffinerien stellen Arbeit ein
Wegen „Sandy“ mussten auch mehrere Ölraffinerien ihre Produktion einstellen. Das führt dazu, dass die ohnehin hohen amerikanischen Lagerbestände an Rohöl weiter wachsen, was Druck auf die Ölpreise ausübt. Ein entgegengesetzter Effekt ergibt sich bei Ölprodukten wie Benzin. Dort ziehen die Preise wegen der geschlossenen Weiterverarbeitungsanlagen an.
Riesiges Ausmaß
Meteorologen zufolge handelt es sich bei „Sandy“ um einen sehr seltenen „Supersturm“, bei dem sich arktische Luftströme um den aus den Tropen kommenden Wirbelsturm wickeln. Die Kombination dieser beiden Wetterphänomene an sich ist schon gefährlich genug. Doch droht über dem Festland der Zusammenschluss mit einem dritten Sturm, der sich aus dem kalten Norden Kanadas nähert. Dadurch würde sich der Sturm nur noch langsam bewegen und relativ lange über der Region toben.
Die Folge können unter anderem sintflutartige Regenfälle mit bis zu 30 Zentimeter Niederschlag sein. In den Höhenzügen kann bis zu ein Meter Schnee fallen. Vom Auge des Sturms bis zu seinen entferntesten Ausläufern liegen mehr als 800 Kilometer - ein enormes Ausmaß, für das „Sandy“ als einmalig eingestuft wird.
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