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„Verrückter Plan“

Die sich in Großbritannien stets weiter ausbreitende Tuberkulose bei Rindern hat die Behörden vor wenigen Wochen dazu veranlasst, Dachse in bestimmten Gebieten zum Abschuss freizugeben - schließlich sei die geschützte Art maßgeblich für die Übertragung der Krankheit verantwortlich. Doch diese Maßnahme ist umstritten, Wissenschaftler und Aktivisten sehen darin eine reine Scheinmaßnahme.

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Die Zahlen in Zusammenhang mit der Ausbreitung der Krankheit unter Rindern sind jedenfalls alarmierend: Wegen Tuberkulose mussten in England innerhalb eines Jahres über 26.000 Rinder notgeschlachtet werden, der Schaden belief sich auf rund 115 Millionen Euro.

Erlaubnis für „testweises“ Töten

Nachdem ein Gutachten Dachse als maßgebliche Überträger der auch auf den Menschen übertragbaren Krankheit ausmachte, erteilte die Regierungsbehörde Natural England Hunderten Farmen im südwestenglischen Gloucestershire und West Somerset eine Lizenz, den Großteil des Dachsbestandes im Zuge eines „Testballons“ zu töten.

So sollte ein eigens dafür geschultes Personal die systematische Keulung der Tiere durchführen. Bereits im Juli hatte ein Londoner Gericht dafür grünes Licht gegeben und erklärt, dass Impfungen nicht ausreichen würden. Die Testphase ist nur der Vorbote für eine zeitlich aufwendigere und großflächigere Keulung.

Dachs in einem Wald nahe dem nordenglischen Ort Pickering

Reuters/Nigel Roddis

Englands Dachse stehen als Krankheitsüberträger im Visier der Behörden

„Kostspielige Ablenkung“

Doch mit Bekanntwerden der Maßnahme zogen sich die zuständige Behörde und der für die Keulung eintretende Bauernverband den breiten Unmut von Tierschützern zu. Seit Wochen laufen Umweltschützer Sturm gegen die Tötung von Dachsen. Ihre Argumente: Weniger als elf Prozent des Dachsbestandes seien tuberkulosekrank, trotzdem befänden sich 130.000 Tiere im Visier der Jäger.

Die Protestbewegung kann auch mit einem prominenten Gesicht aufwarten: So engagiert sich der ehemalige Queen-Gitarrist Brian May in der Organisation Team Badger (Team Dachs, Anm.) - seine Petition sammelte bereits mehr als 100.000 Unterschriften gegen die Keulung.

Am Wochenende schloss sich auch eine Reihe von bedeutenden Tierseuchenexperten dem Protest an. Sie meinen, dass die Maßnahme mit einer seriösen Bekämpfung des Problems nichts zu tun hätte. Vielmehr sei die systematische Keulung der Dachse eine „kostspielige Ablenkung“. Das wahre Krisenmanagement würde unter dieser Maßnahme leiden, die Erkenntnisse des Testballons seien verhältnismäßig unbedeutend.

Keulung als langfristiges Projekt?

Ein weiteres Argument der Gegner: Die testweisen Keulungen seien viel zu beschränkt und kurzfristig angelegt, um eine qualifizierte Auskunft über den Grad der Tuberkulose-Bekämpfung bei Rindern erteilen zu können. Auch eine Rechenbeispiel legten die Wissenschaftler vor: So könnten die Tuberkulose-Infektionen bei Rindern um zwölf bis 16 Prozent reduziert werden - die Keulung müsste allerdings über zehn Jahre so weitflächig wie möglich durchgeführt werden. Die Experten richteten in der Folge einen dringenden Appell an die Regierung, die Keulung abzusagen.

Weiters pikant: Der Plan der Regierung basiert auf den Ergebnissen einer neunjährigen Studie, die belegt, dass die Ausbreitung der Krankheit nur dann gesenkt werden konnte, wenn mindestens 70 Prozent des Dachsbestandes in einem definierten Gebiet ausgerottet würde. Wird diese Quote nicht erreicht, könnte sich die Ausbreitung der Krankheit sogar beschleunigen, wie die Studie bescheinigt.

Wann sind 70 Prozent der Tiere getötet?

Jener Wissenschaftler, auf dessen Studie sich die Regierung bezieht, sprach gegenüber der BBC von einem „verrückten Plan“: Die zuständige Stelle innerhalb des Ministeriums für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung könne nicht wissen, wie viele Tiere es in den auserwählten Gebieten gebe - so wisse man auch nicht, wann 70 Prozent der Tiere getötet worden sind, wie John Richard Krebs erläuterte.

Wenn sich nach einigen Jahren zeigt, dass die Keulung keine signifikante Verbesserung bringt, werde es die National Farmers Union (der nationale Bauernverband, NFU, Anm.) mit vielen verärgerten Bauern - die dann sinnlos Geld dafür ausgegeben haben -, zu tun bekommen, legt Krebs das drohende Szenario dar. NFU-Präsident Peter Kendall stellte daraufhin klar: „Niemand - weder die NFU noch die involvierten Bauern wollen die Dachse töten. Aber die Ausbreitung der Rindertuberkulose muss gestoppt werden.“

Rinder bringen „Krankheit übers Land“

Doch gemäß den Aussagen des Wissenschaftlers John Bourne im Guardian (Montag-Ausgabe) geht die Suche nach Alternativen zu dieser Maßnahme „bei weitem nicht weit genug“. Laut Bourne sei der Hebel für Maßnahmen ausschließlich bei Rindern anzusetzen. „Bei der Biosicherheit ist die Regierung nicht weit genug. Es sind nicht die Dachse, die die Krankheit über das Land bringen, es sind die Rinder“, so Bounre.

Die Wissenschaftler gehen mit ihrer Argumentation noch weiter: Die Ausbreitung der Krankheit sei ein komplexer Vorgang. So sei es mit einer weitgehend planlosen - und zugleich für Steuerzahler und die betroffenen Bauern kostspieligen - Massentötung nicht getan.

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