Waffenlieferung und UNO-Veto
Zwischen der Türkei und Syrien hat sich der Ton in den vergangenen Tagen deutlich verschärft - und damit auch zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und Vladimir Putin, dem Präsidenten Russlands, der Schutzmacht von Syrien.
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Im türkischen Grenzgebiet schlagen seit mehreren Tagen immer wieder Granaten aus Syrien ein. Die Türkei feuert zurück. Auch in Hinkunft soll bei Grenzverletzungen durch Syrien „ohne Zögern“ zurückgeschlagen werden. Das kündigte Außenminister Ahmet Davutoglu am Samstag an.
Die Beziehungen zwischen Syrien und der Türkei sind zudem belastet, weil die Türkei am Mittwoch ein syrisches Passagierflugzeug auf dem Weg von Moskau nach Damaskus zur Landung in Ankara zwang. An Bord sollen Rüstungsgüter gewesen sein, die angeblich in Russland geladen worden waren. Der offene Vorwurf der Türkei steht im Raum, dass Moskau Waffen liefert, mit denen dann auf die Türkei geschossen wird.
Deutschland stellt sich hinter Türkei
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle stellte sich am Samstag in Istanbul hinter die Türkei. „Nach internationalem Recht muss die Türkei es nicht dulden, dass über ihren Luftraum Waffen oder rüstungsrelevante Güter nach Syrien transportiert werden“, sagte er bei seinem Treffen mit dem türkischen Außenminister Davutoglu.
Breitseite wegen UNO-Vetos
Angesichts der Blockadehaltung der Vetomächte China und Russland im Syrien-Konflikt forderte Erdogan zudem eine Reform des UNO-Sicherheitsrats. Wegen der anhaltenden Vetos der beiden ständigen Ratsmitglieder gegen alle Syrien-Resolutionen verliere der Weltsicherheitsrat in den Augen aller „Unterdrückter“ weltweit seine Legitimität, sagte Erdogan am Samstag in Istanbul.
Wenn sich nur eines der Mitglieder einer aktiven Politik entgegenstelle, seien die Vereinten Nationen handlungsunfähig. Sie seien so zu ungerechtem Handeln verurteilt, so Erdogan. So wie die UNO vor zwanzig Jahren tatenlos dem Morden auf dem Balkan zugesehen habe, so sprachlos seien sie angesichts der Syrien-Krise, so Erdogan. „Das kommt einer Aufforderung an das Assad-Regime gleich, ungestraft weiter täglich Hunderte Menschen zu ermorden“, wetterte der türkische Ministerpräsident auf dem Globalen Forum Istanbul.
Risikoreiches Vorgehen für Erdogan
All das wird in Moskau als Affront gegen Russland verstanden. Die Vorfälle könnten den zuvor sorgfältig gepflegten Beziehungen zu der reizbaren Supermacht in einer Zeit Schaden zufügen, in der die Türkei Freunde besonders nötig hat. „Das Risiko besteht darin, dass Syrien einen Keil in die wachsende und dynamische Partnerschaft zwischen Moskau und Ankara treibt“, sagt Nikolas Gvosdev, Professor für Sicherheitsstudien am US Naval War College, gegenüber der internationalen Nachrichtenagentur Reuters. „Putin könnte die Art und Weise, wie mit der Flugzeugaffäre umgegangen wurde, als direkte Herausforderung verstehen.“
Über ein Jahr lang schafften es beiden Seiten zu vermeiden, dass ihre Meinungsverschiedenheiten im Syrien-Konflikt auf andere Bereiche übergriffen. Russland liefert der Türkei zwei Drittel ihres Erdgasbedarfs und soll auch beim Bau des ersten türkischen Atomkraftwerks helfen. Zudem plant Russland den Bau einer Pipeline durch türkische Gewässer nach Europa.
Zumindest dieser Sektor dürfte nach Ansicht des Energieexperten Haluk Direskeneli auch künftig wenig unter den Spannungen leiden. „Beide Länder brauchen einander“, so Direskeneli gegenüber Reuters. Auch in türkischen Regierungskreisen geht man nicht davon aus, dass dieser Bereich stark in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.
Türkei kommen die Verbündeten abhanden
Verbesserte Beziehungen zu Russland sind für die Türkei von besonderer Bedeutung, denn die führende Rolle, die das Land am Bosporus bei den Gegnerschaft zu Assad spielt, hat ihm Verbündete in der Region gekostet. Insbesondere der Iran hat verbittert auf den Erdogan-Kurs reagiert. Und auch der Irak ist nicht gut auf die Türkei zu sprechen, da diese dem flüchtigen sunnitischen Vizepräsidenten Zuflucht gewährt hat.
„Russland und die Türkei befanden sich in einer in der Geschichte beider Länder einmaligen Phase der Annäherung“, sagt Andrew Kuchins, Russland-Experte am Centre for Strategic and International Studies in Washington, ebenfalls gegenüber Reuters. „Diese scheint - zumindest vorerst - zerstört.“
„Ziemlich isoliert“
Die Türkei fühlt sich im Syrien-Konflikt mehr und mehr allein gelassen. Das Land bietet Rebellenbefehlshabern Unterschlupf und fordert ein internationales Eingreifen. Die Streitkräfte haben wiederholt in Richtung Syrien gefeuert, da von dort immer wieder Geschoße auf türkischem Gebiet landen. „Die Türkei steht ziemlich isoliert da“, sagt der Vizechef der wichtigsten Oppositionspartei CHP, Faruk Logoglu. „Wir erhalten zwar pflichtgemäße Unterstützungserklärungen von der NATO, aus Washington, diese sind aber weitgehend substanzlos.“
Putin beriet am Freitag mit seinem Sicherheitsrat über die Lage in Syrien. Dabei sei auch über eine Verschlechterung der Beziehungen zur Türkei gesprochen worden, berichtete die Nachrichtenagentur RIA. Der Vorfall mit dem Flugzeug wurde jedoch nicht erwähnt. Zumindest momentan scheinen beide Seiten bemüht, auf Erklärungen zu verzichten, die den Streit weiter anheizen könnten.
In direkten Verhandlungen zeigte sich Syrien unterdessen seinerseits am Samstag offen für eine Sicherheitskooperation mit der Türkei. Wie die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA unter Berufung auf das Außenministerium berichtete, wird eine direkte Kommunikation mit den Verantwortlichen auf türkischer Seite angestrebt. Es solle dabei ein Mechanismus gefunden werden, um die Sicherheit auf beiden Seiten der Grenze wiederherzustellen und zugleich die Souveränität beider Länder zu gewährleisten.
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