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NATO „verurteilt“ Grenzverletzung

Wenige Stunden nach einem Granatenangriff auf ein türkisches Grenzdorf hat die türkische Armee Ziele in Syrien angegriffen. Es habe sich um eine Reaktion auf die Attacke gehandelt, bei der mindestens fünf Menschen von aus Syrien abgefeuerten Granaten getötet worden waren, berichteten türkische Medien am Mittwochabend unter Berufung auf Regierungsangaben.

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„Dieser Angriff ist von unseren Streitkräften sofort erwidert worden“, wurde der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zitiert. Die türkischen Streitkräfte feuerten demnach „auf Ziele entlang der Grenze, die mit Radar identifiziert“ worden waren und von denen aus das türkische Dorf beschossen worden sei, hieß es.

„Die Türkei wird solche Provokationen des syrischen Regimes, die unsere nationale Sicherheit bedrohen, niemals ungestraft lassen“, so Erdogan. Der türkische Vizeregierungschef Bülent Arinc sagte zuvor, dieser Angriff gehe „zu weit“. Zudem verwies Arinc darauf, dass die Türkei als NATO-Mitglied Anspruch auf Beistand habe, wenn sie angegriffen werde.

„Verstoß gegen internationales Recht“

Nach dem Angriff der türkischen Armee auf Ziele in Syrien haben die ständigen NATO-Botschafter am Mittwochabend in Brüssel über die neue Krise beraten. Es ging laut Diplomatenangaben um Konsultationen nach Artikel vier des NATO-Vertrags. Der Artikel sieht Beratungen vor, wenn eines der Mitglieder die Unversehrtheit seines Gebiets als bedroht ansieht.

Im Anschluss sicherte der NATO-Rat der Türkei im Konflikt mit Syrien einhellig seine „Unterstützung“ zu. Der Grenzzwischenfall wurde von den 28 Mitgliedsstaaten „verurteilt“. Bekräftigt wurde die NATO-Stellungnahme vom 26. Juni, nach der das Militärbündnis die Lage in Syrien „genau beobachtet“. Die Grenzverletzungen durch Syrien wurden als „aggressive Handlungen“ verurteilt und als „Verstoß gegen das internationale Recht“ eingestuft. Die syrische Führung müsse die „Verletzung internationalen Rechts beenden“, forderte der NATO-Rat.

„Wir stehen zu unseren türkischen Allierten und sprechen uns bei weiteren Schritten ab“, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses. Von türkischer Seite hieß es, US-Außenministerin Hillary Clinton habe ihrem Amtskollegen Ahmet Davutolgu ihre Unterstützung auch vor UNO und NATO zugesichert.

Türkisches Grenzdorf

Reuters/Anadolu

Akcakale wurde von mehreren Granaten getroffen

Fünf Tote, 13 Verletzte

Nach türkischen Angaben schlugen im Grenzort Akcakale mindestens drei Granaten ein. Die Ortschaft liegt unmittelbar an der Grenze zu Syrien und nahe dem lange umkämpften Grenzübergang Tel Abjad, den syrische Rebellen nach zweitägigen Gefechten eingenommen hatten. Fernsehsender zeigten Dorfbewohner, die in Panik über die Straßen rannten oder Deckung suchten.

Unter den Todesopfern soll sich auch eine Mutter und ihre drei Kinder befinden, wie CNN Türk unter Berufung auf lokale Behörden berichtete. 13 weitere Menschen wurden verletzt, darunter mehrere Polizisten. Das Dorf war in der vergangenen Woche bereits von einer aus Syrien abgefeuerten Mörsergranate getroffen worden. Dabei waren Hauswände beschädigt worden. Zuvor waren mehrere Türken von Schüssen aus Syrien getroffen worden.

UNO-Chef tief besorgt

Die türkische Regierung hatte wiederholt gegen Schüsse über die Grenze hinweg protestiert. Außenminister Ahmet Davutoglu berief unmittelbar nach dem tödlichen Zwischenfall ein Krisentreffen ein und telefonierte mit UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, dem Sondergesandten für Syrien, Lakhdar Brahimi und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

Ban zeigte sich in einer ersten Reaktion tief besorgt. Laut einem Sprecher habe er bei dem Gespräch mit Davutoglu betont, dass die Türkei alle Kommunikationskanäle zu syrischen Behörden offenhalten müsse, um einen weiteren Aufbau von Spannungen zu vermeiden.

Auch die NATO beobachte die Lage „mit großer Sorge“, sagte Rassmussens Sprecherin Oana Lungescu in Brüssel. Der Generalsekretär habe den Vorfall „scharf verurteilt“. US-Außenministerin Hillary Clinton äußerte ihre „Entrüstung“ darüber, dass aus Syrien über die Grenze geschossen worden sei. „Wir bedauern den Verlust von Menschenleben auf der türkischen Seite“, sagte Clinton.

Syrien kündigt Untersuchung an

Auch Syrien reagierte am späten Mittwochabend auf den Grenzzwischenfall: „Syrien übermittelt den Familien der Opfer und unseren Freunden, dem türkischen Volk, sein tiefes Beileid“, erklärte Informationsminister Omran Soabi laut einem Bericht des syrischen Staatsfernsehens. Der Minister kündigte zudem eine Untersuchung des Vorfalls an.

Über 90.000 Syrer in Türkei geflüchtet

Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland mehr als 93.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Die Forderung Ankaras, eine Schutzzone für Vertriebene auf der syrischen Seite der Grenze einzurichten, hat international keine ausreichende Unterstützung erhalten. Die türkische Regierung sympathisiert mit den Gegnern des syrischen Regimes. Versuchen der Konfliktparteien, die Türkei zu einem militärischen Eingreifen zu bewegen, hat Ankara bisher widerstanden.

Zuletzt plädierte etwa das Golfemirat Katar für eine Intervention der arabischen Staaten in Syrien. „Der Sicherheitsrat hat es nicht geschafft, effektive Positionen zu beziehen“, so Katars Emir, Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani, bei seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung.

Neuer Vermittlungsversuch von Brahimi

Der internationale Syrien-Beauftragte Brahimi kündigte unterdessen an, noch in dieser Woche in die Krisenregion zurückkehren zu wollen. Brahimi werde versuchen, einen Weg zum politischen Dialog in Syrien zu ebnen, sagte der stellvertretende UNO-Generalsekretär Jan Eliasson am Dienstag in New York.

Eliasson sagte, er wisse nicht, ob Brahimi nach Syrien einreisen könne. In jeden Fall werde sich der Syrien-Beauftragte um einen Dialog zwischen Regierung und Rebellen bemühen. Den Anfang solle die syrische Führung mit einer Einstellung der Luftangriffe machen. Dieser Schritt müsse von einer „Reduzierung der Gewalt im anderen Lager“ beantwortet werden. So könnten „im besten Fall“ ein Waffenstillstand und eine Rückkehr zum politischen Dialog erreicht werden, sagte Eliasson.

UNO-Generalsekretär Ban hatte nach einem Treffen mit dem syrischen Außenminister Walid Muallem am Rande der UNO-Vollversammlung in New York gesagt, es sei an der Zeit, dass die Führung in Damaskus ihre Offensive zurückzufahren.

Dutzende Tote allein in Aleppo

Unterdessen ging die Gewalt in Syrien unvermindert weiter. Allein in der seit Wochen umkämpften Stadt Aleppo kamen bei einer Reihe von Autobombenanschlägen nach Angaben von Aktivisten rund 50 Menschen ums Leben. Die von Selbstmordattentätern gezündeten Autobomben explodierten kurz nacheinander auf und nahe des Saadalla-al-Dschabiri-Platzes am Rande der Altstadt, wo sich auch ein Club für Offiziere befindet. Der Platz in der heftig umkämpften Millionenmetropole wurde bisher von den Regierungstruppen kontrolliert.

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