Themenüberblick

Versteckspiel als Marketingkampagne

Sie sei völlig „in Einklang mit der Wirklichkeit“, ihre besten Ideen kämen ihr im Flugzeug, und mit dem Ruhm umzugehen sei „heute kein Problem mehr“: Am Donnerstag ist „Ein plötzlicher Todesfall“ erschienen, Joanne K. Rowlings erster Roman für Erwachsene. Weil zum Buch eine beispiellose Geheimhaltungspolitik herrschte, erfuhr man zuvor in Interviews vieles über die Autorin - und nur sehr wenig über das Buch.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Schon die letzten „Harry Potter“-Bände wurden unter strengster Geheimhaltung ausgeliefert, vorab geisterten dennoch Raubkopien durchs Netz und in gedruckter Form in Asien herum. Die Idee, den Fans das spannende Ende einer Fortsetzung nicht durch Vorabdrucke vermiesen zu wollen (bei gleichzeitiger Steigerung des Hypes rundherum), ist im Grunde nachvollziehbar.

J.K. Rowling

AP/Bill Haber

„Es gibt nur einen Grund, warum ich heute schreibe - wenn ich wirklich etwas sagen will und etwas veröffentlichen will,“ erklärt Rowling ihre Motivation.

Das Konzept auf einen eigenständigen Roman mit völlig neuen Figuren und neuem Plot umzulegen hingegen eher nicht: Da lässt sich die Marketingstrategie nur noch sehr schwer kaschieren. Denn nicht der Inhalt ist es, der neugierig macht und dessen Enthüllung befürchtet wird, sondern die Antwort auf die Frage, ob Rowlings literarische Fähigkeiten auch außerhalb ihrer Zauberwelt bestehen können.

Autorin „vor Piraterie schützen“

Man müsse die Autorin natürlich vor dem immer größer werdenden Problemen der Piraterie schützen, sagte Joachim Kaufmann, Kaufmännischer Geschäftsführer des Carlsen Verlags, der das Buch in Kooperation mit Ullstein auf Deutsch herausbringt. Der Inhalt sei „so gut und so überraschend anders als ‚Harry Potter‘“, dass man eine Meinungsbildung aufgrund von Vorabgerüchten vermeiden wolle. Was für andere Romane - auch von Autoren der literarischen Oberliga - selbstverständlich ist, kam für „Ein plötzlicher Todesfall“ nicht infrage. Es gab keine Rezensionsexemplare, keine Leseproben, keine Vorabdrucke und keine Interviews zum Inhalt.

Mit hohen Strafen gedroht

Stattdessen erfährt man Details zu den streng geheimen Abläufen im Verlag: Die deutschen Übersetzerinnen mussten hinter verschlossenen Türen im britischen Verlag arbeiten, in den Druckereien gab es für die Mitarbeiter Taschenkontrollen, die Bücher wurden in verplombten Lkws an die Geschäfte ausgeliefert - und sollte jemand aus dem winzigen Kreis der Eingeweihten das Schweigen brechen, drohten hohe Konventionalstrafen.

„Das ist das geheimste Buch, das wir je gemacht haben“, sagte Ullstein-Verlegerin Siv Bublitz. Seitens des Verlages wurden nur wenige Zeilen zum Inhalt von „Ein plötzlicher Todesfall“ veröffentlicht. Es gehe um eine englische Kleinstadt, die durch den plötzlichen Tod eines Gemeinderatsmitglieds aus den Fugen gerät und hinter deren trügerischem Idyll Krieg herrscht: Zwischen „Arm und Reich, zwischen Kindern und ihren Eltern, zwischen Frauen und ihren Ehemännern, zwischen Lehrern und Schülern“. Das alles sei „aufwühlend, berührend und spannend“ geschrieben, gewürzt mit einer „großen Portion schwarzen Humors“.

Bublitz, die das Manuskript (selbstverständlich „unter größten Sicherheitsvorkehrungen“ im Londoner Verlag Little, Brown) einsehen durfte, sieht in dem Roman ein „vielschichtiges und komplexes Werk, das einer häufigen Lektüre standhält“. In dem Buch würden Themen wie Heroinsucht, Prostitution und sexuelle Begierden angesprochen, was als klare Ansage eines Genrewechsels der Autorin zu werten sei, schrieben zahlreiche britische Medien.

Mit den Lesern erwachsen geworden

Tatsächlich sind Rowlings Werke schon vor dem neuen Roman von „Potter“-Band zu „Potter“-Band immer erwachsener geworden. Obwohl im Hogwarts-Zauberinternatsumfeld angesiedelt, wurden die Handlungsstränge mit immer komplexeren psychologischen und emotionalen Themen angereichert. Vor allem in den Verfilmungen wurde klar, dass die Autorin schon beim Schreiben längst das erwachsene Publikum mit bedacht hatte - das zu erreichen sie vor der Veröffentlichung des ersten Bandes mit ziemlicher Sicherheit nicht einmal zu träumen gewagt hatte.

Warum sie das Genre gewechselt, und nach ihren Jugendbuch-Bestsellern nun einen Roman für Erwachsene geschrieben habe, könne sie nicht erklären, sagte Rowling in einem aktuellen BBC-Interview. „Es ist einfach das, was ich jetzt schreiben wollte“, so die Autorin. Einen Erfolg wie den, den sie mit den „Potter“-Büchern gefeiert hatte, würde sie ohnehin nie wieder erreichen - „egal, wie viele Bücher ich schreibe, egal, wie gut oder schlecht sie sind“. Spitzenplätze in den Bestsellerlisten sind „Ein plötzlicher Todesfall“ trotzdem gewiss: Mehr als eine Million Mal wurde der Roman, der zeitgleich in Großbritannien, Österreich, Deutschland und den USA veröffentlicht wurde, bereits vorbestellt.

Sophia Felbermair, ORF.at

Links: